| # taz.de -- Yoko Onos Fluxus-Musik „Grapefruit“: Den Kopf an die Wand schla… | |
| > „Grapefruit“ gehört zum Fluxus-Frühwerk von Yoko Ono. Jetzt hat das | |
| > schwedisch-britische Great Learning Orchestra die Partituren aufgenommen. | |
| Bild: Verloren in New York? Yoko Ono im Jahr 1965 | |
| Ein repetititiv gespielter Ton auf dem Cello, begleitet von | |
| Vogelzwitschern. „Music for the Mind“ betitelte Yoko Ono ihre | |
| Textpartituren in Form von Haikus, die sie von 1953 bis 1963 schrieb und | |
| 1964 als Künstleredition in einer Auflage von 500 Exemplaren | |
| veröffentlichte: Ihr Werk bestand aus einem weißen Karton mit dem | |
| handgeschriebenen Titel „Grapefruit“. Er enthielt Performance-Anleitungen, | |
| „event scores“, die alle Ono Gewogenen selbst aufführen können – ob im | |
| Geiste oder in Wirklichkeit. | |
| Darunter ist das „Secret Piece for Orchestra“ (1953) mit der Anweisung, es | |
| solle in der Morgendämmerung zwischen 5 und 8 Uhr frühmorgens im Wald | |
| gespielt werden, begleitet von Vogelstimmen. Es ist das erste Stück ihrer | |
| Spielanweisungen von poetischer Zartheit. Ono hatte es komponiert, als sie, | |
| gerade 20-jährig, aus Japan nach New York kam. Doch auch autoaggressive, | |
| selbstverletzende Stücke sind dabei wie „Wall Piece for Orchestra“ (1962) | |
| mit der Anweisung „Hit a wall with your head“. | |
| Die erste Auflage von „Grapefruit“ umfasst die Zeitspanne ihrer Begegnung | |
| und Ehe mit dem japanischen Komponisten Toshi Ichiyanagi, der [1][bei John | |
| Cage Komposition] studierte, bis zur gemeinsam organisierten Japantournee | |
| von Cage 1962, als dieser für Beide sein Stück „0:00“ alias „4:33 No. 2… | |
| komponierte. In ihrem gemeinsamen Downtown Loft in der Chambers Street in | |
| Manhattan fanden regelmäßig Fluxuskonzerte statt, darunter von La Monte | |
| Young und George Brecht. | |
| „Grapefruit“ enthält auch Onos „Voice Piece for Soprano“ (1961) mit der | |
| Anweisung „Scream. 1. against the wind / 2. against the wall / 3. against | |
| the sky“, das von ihr selbst mehrfach aufgeführt und unter anderem 1999 von | |
| Sonic Youth für das Album „Goodbye 20th Century“ aufgenommen wurde. | |
| [2][„Grapefruit“ gilt als Schlüsselwerk der heute 91-jährigen Künstlerin | |
| und Musikerin, die selbst zunächst bei Fluxus-Performances auftrat und | |
| konzeptuelle Alben veröffentlichte.] Wie „Plastic Ono Band“ (1970), [3][bei | |
| dem auf einem Stück US-Free Jazz-Legende Ornette Coleman spielt, gemeinsam | |
| mit Charlie Haden am Bass und Ed Blackwell am Schlagzeug.] | |
| Die meisten Textpartituren von „Grapefruit“ wurden jedoch bisher nie | |
| aufgenommen, da sie vor allem imaginäre Klänge beschreiben, die sich | |
| assoziativ in Musik und Geräuschen äußern können. Etwa: Wie klingt das | |
| Atmen eines Raumes oder das Zählen von Sternen? Jetzt hat der britische | |
| Komponist und Soundart-Kurator Robin McGinley, der an der Universität | |
| Stockholm unterrichtet, in Absprache mit dem New Yorker Studio von Yoko Ono | |
| erstmals eine Auswahl ihrer Spielanweisungen eingespielt. Über einen | |
| Zeitraum von einem Jahr an verschiedenen Orten und in Zusammenarbeit mit | |
| dem in Stockholm beheimateten Projekt The Great Learning Orchestra (TGLO). | |
| Das TGLO wurde 1999 von den Musikern und Komponisten Leif Jordansson und | |
| Pelle Halvarsson gegründet, um Fluxus-Kompositionen und Werke | |
| experimenteller Musik aufzuführen. Es besteht aus einem Netz werk von etwa | |
| 100 Musiker*innen und Klangkünstler*innen, aus denen sich wiederum | |
| Ensembles für verschieden Projekte zusammensetzen. Der Name des Orchesters | |
| ist abgeleitet vom gleichnamigen Stück des britischen Komponisten Cornelius | |
| Cardew für sein Scratch Orchestra, das sich 1969 aus Cardews Klasse für | |
| Experimentelle Musik am Londoner Morley College gebildet hatte. | |
| Darin aktiv war ein Pool aus Künstler*innen aus dem Bereich der | |
| Klassischen Musik, Jazz, Improvisation und Performancekunst, die sich mit | |
| der Idee des „sozialen Musizierens“ beschäftigten. Bevor er anfing, für | |
| Universitäten zu arbeiten und zu unterrichten, sei er im Bereich der | |
| „Community Arts“ tätig gewesen, so erklärt der 1976 in London geborene | |
| McGinley. Diese widme sich der Erforschung des Potenzials von Menschen, | |
| ihre eigene Musik zu erschaffen. Oft verwende man dafür Text- oder | |
| Grafikpartituren, da diese sehr offen seien, unabhängig von einer | |
| Musikausbildung. „Musikunterricht spaltet die Menschen ohnehin in | |
| Interpreten, die es können, und solche, die es nicht können“, erklärt | |
| McGinley. „Und experimentelle Ansätze brechen diese Art von Barriere auf.“ | |
| Die Gründer des TGLO lernte er 1999 in Stockholm bei einem Konzert des | |
| schwedischen Techno-Soundpoeten Sten Hanson kennen, die erste | |
| Zusammenarbeit war eine Aufführung eines Werkes des britischen Bassisten, | |
| Minimal-Komponisten und Cage-Schülers Gavin Bryars. Die Werkauswahl aus | |
| „Grapefruit“ habe er nach der Aufführbarkeit der Spielanweisungen | |
| getroffen. Dabei sei die einzige Vorgabe „Onos Texte“ gewesen. | |
| [4][Die Musik selbst habe sich aus der Improvisation entwickelt, auch weil | |
| Ono weder spezifische Instrumentierungen noch Längen vorgegeben hat.] So | |
| ist das Ergebnis der bisher nicht aufgeführten Performances eine sehr | |
| persönliche Interpretation von McGinley und dem Ensemble des TGLO geworden, | |
| die sich den Ideen Onos konzeptuell nähern. Die Musik des entstandenen | |
| Albums sieht McGinley als Hommage an die japanische Künstlerin. | |
| Die einzelnen Stücke versuchen, Onos Anweisungen möglichst genau | |
| umzusetzen. „Wir schufen ein Gleichgewicht zwischen Studio- und | |
| Feldaufnahmen, zwischen internen und externen Klängen“, sagt McGinley der | |
| taz. [5][Seine Version von „Voice Piece“ wurde unter freiem Himmel in | |
| Palermo aufgenommen, wo McGinley hauptsächlich lebt], unter Mitwirkung der | |
| Opernsopranistin Picci Ferrari. Entstanden ist eine 25-sekündige | |
| Soundperformance, bestehend aus drei Schreien. Bei Sonic Youth waren es 17 | |
| Sekunden. | |
| Andere Stücke dauern länger, wie „Tape Piece II (Room Piece)“ (1963), von | |
| Ono, das sie George Brecht gewidmet hatte, mit der Anweisung, das Atmen | |
| eines Raumes zu verschiedenen Tageszeiten aufzunehmen. Diese Aufnahme wurde | |
| bei geöffneten Fenstern in McGinleys Büro an der Stockholmer Universität | |
| über einen Zeitraum von 24 Stunden gemacht und anschließend von ihm und dem | |
| Klangkünstler und Architekten Ricardo Atienza geschnitten. | |
| Mit Atienza gemeinsam hat er an den Aufnahmen gearbeitet und diese zu einem | |
| rund fünfminütigen Stück montiert. Zu hören sind Motorrad- und | |
| Vogelgezwitscher, Kinderstimmen, in der Nacht dann nur noch die Straße. | |
| Dazu erklärt McGinley: „Ricardo und ich haben Aufnahmegeräte im Raum | |
| aufgestellt, eine Zeitrafferaufnahme über 24 Stunden gemacht und dann jedes | |
| Mal eine Auswahl innerhalb der Partitur getroffen.“ | |
| Das „Water Piece“ mit der Anweisung, dem Klang unterirdischen Wassers zu | |
| lauschen, wurde in der Therme von Cefalù unweit von Palermo aufgenommen. | |
| Über mehrere Minuten ist das Geräusch unterirdisch sprudelnden Wassers zu | |
| hören. Für „City Piece“, von Ono im Winter 1961 geschrieben, soll ein | |
| leerer Kinderwagen durch eine Stadt geschoben werden. Atienza vollführte | |
| dies in Madrid und nahm es auf wie ein Field Recording. | |
| Onos Spielanweisungen spiegeln ihre eigene Verlorenheit und Aggression | |
| wider, die sie selbst immer wieder in Interviews thematisierte. Die | |
| Klangperformances auf dem Album lösen sich davon und untersuchen ihre | |
| Spielanweisungen als sonische Experimente. McGinley sagt, letztlich habe er | |
| Onos „Grapefruit“-Partituren als musikalische Kompositionen aus der | |
| Perspektive der postexperimentellen Musik und der Post-Sound-Art des 21. | |
| Jahrhunderts erforscht. | |
| Das Album endet mit „Disappearing Piece“ von 1966, es stammt aus einer | |
| späteren, erweiterten Edition von „Grapefruit“ aus dem Jahr 1970. Atienza | |
| nahm es für das Album in der Küche seiner Stockholmer Wohnung auf, mit der | |
| Spielanweisung „Boil water“. Zu hören ist nur das komprimierte Geräusch v… | |
| kochendem Wasser, bis es vollständig verdampft ist. Was bleibt, ist Klang | |
| als Möglichkeitsort, als soziale Praxis. | |
| 22 Mar 2025 | |
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