| # taz.de -- Angelica Sanchez beim Jazzfest Berlin: Mit Partituren reisen | |
| > Zwischen Harmonie und Entfremdung: Die Pianistin Angelica Sanchez im | |
| > Porträt. Beim Jazzfest Berlin wird sie in zwei Formationen zu hören sein. | |
| Bild: Angelica Sanchez wurde 1972 in Phoenix, Arizona geboren. Über die Platte… | |
| Ein milder Herbsttag, Ende Oktober in Annandale-on-Hudson, Upstate New | |
| York. Vom Fenster fällt seitlich Licht im Büro von Angelica Sanchez, die am | |
| Bard College als Pianistin und Komponistin unterrichtet. In wenigen Tagen | |
| wird sie beim [1][Jazzfest Berlin] in zwei Formationen auftreten: In der | |
| Deutschland-Premiere ihres Trio-Kollektivs mit dem spanischen Schlagzeuger | |
| Ramón López und dem britischen Bassisten Barry Guy sowie beim London Jazz | |
| Composers Orchestra, gemeinsam mit der Pianistin Marilyn Crispell. | |
| Nach ihrem bisher einzigen Auftritt in Europa beim Festival Jazzdor in | |
| Strasbourg im vergangenen Jahr, kommt Sanchez erstmals nach Deutschland. | |
| Das Konzert wurde anschließend als Live-Album veröffentlicht, mit | |
| weiträumig verflochtenen Improvisationen und den | |
| minimalistisch-meditativen, repetitiven Strukturen von Sanchez. Wie in | |
| ihrer Komposition „Calyces in Held“, benannt nach der von dem Neurologen | |
| Hans Held 1893 entdeckten Synapse im Gehirn, die sich wie ein Blütenkelch | |
| öffnet und steuert, wie Geräusche und Musik verarbeitet werden. | |
| Sanchez interessiert sich für Neurobiologie und wie die Verästelungen der | |
| Nervenbahnen in Klangsysteme übersetzt werden können. Ausgehend von den | |
| anatomischen Forschungsillustrationen des Gehirns des spanischen Arztes | |
| Santiago Ramón y Cajal aus dem 19. Jahrhundert hat sie grafische Partituren | |
| gemalt, die als Quartettaufnahmen im kommenden Jahr veröffentlicht werden. | |
| „Für mich sind diese Partituren Orte, an die ich reise, während ich Musik | |
| spiele. Einige davon enthalten westliche Notation. Einige sind nur visuell. | |
| Es gibt keine Regeln.“ | |
| Sanchez ist auch eine ausgezeichnete Solistin, hörbar auf ihrem Soloalbum | |
| „A Little House“, wo sie ihr flächiges Innenraumspiel der Saiten mit | |
| perkussiven Tastenanschlägen variiert, aber auch über Country & Western | |
| Balladen wie Hank Thompsons „I´ll Sign My Heart Away“ improvisiert. Darüb… | |
| hinaus komponiert sie für ihr vor zehn Jahren gegründetes Nonett. „Ich | |
| liebe Bigband-Sound. Dann sind alle immer überrascht, doch das Nonett hat | |
| eine lange Geschichte im Jazz, wie bei ‚Birth of the Cool‘ von Miles | |
| Davis.“ | |
| Ihre Aufnahme „Sparkle Beings“, eingespielt mit einem Trio, wurde 2022 von | |
| der New York Times in die Top Ten der besten Jazzalben gewählt. 2024 | |
| erschien das Duo-Album „In Another Land, Another Dream“, entstanden | |
| zusammen mit der argentinischen Saxofonistin Camila Nebbia. | |
| ## Die fünfte Generation | |
| Angelica Sanchez wird 1972 in Phoenix, Arizona geboren. Über die | |
| Plattensammlung ihres Vaters kommt sie zur Musik, hört Ahmad Jamal, Dave | |
| Brubeck und das Modern Jazz Quartett, aber auch Skrjabin und Bach. Später | |
| kommen Werke von Herbie Hancock, Thelonious Monk und der Pianistin Geri | |
| Allen dazu. „Es war sehr inspirierend, jemanden zu hören, der von Monk | |
| inspiriert und beeinflusst war, aber auch seine eigene Sprache hatte“, sagt | |
| Sanchez. | |
| Als sie mit 22 Jahren nach New York zieht, arbeitet sie tagsüber beim | |
| Plattenladen Tower Records und wirkt abends mit bei Jam Sessions in der | |
| Knitting Factory und in kleinen Clubs. Über ihre Herkunft sagt sie: „Ich | |
| bin so etwas wie die fünfte Generation. In einer gemischten Gemeinde aus | |
| Schwarzen und Mexikaner-Amerikanern in South Phoenix bin ich damit | |
| aufgewachsen, dass mein Vater sich als Chicano identifizierte, was eines | |
| von vielen verschiedenen Wörtern ist, um einen US-Amerikaner mit | |
| mexikanischem Erbe zu beschreiben. Ich identifiziere mich als mexikanische | |
| Amerikanerin.“ | |
| Wie ist es, derzeit in den Vereinigten Staaten zu leben, wo die | |
| Einwanderungsbehörde ICE Jagd auf insbesondere lateinamerikanische | |
| Migranten macht, die auf der Straße, am Arbeitsplatz und sogar im | |
| Klassenzimmer ihrer Schule festgenommen und in Abschiebungslager gebracht | |
| werden? „Es ist jetzt noch gefährlicher geworden, Schwarz oder Braun zu | |
| sein“, erklärt Sanchez. Es sei schon immer gefährlich gewesen, doch jetzt | |
| gäbe es in den USA neue Hassbotschaften, die sich insbesondere gegen Braune | |
| Menschen richten. Doch sie würde nicht verzweifeln. „Ich bleibe positiv. So | |
| gehe ich damit um und meine Musik leistet einen Beitrag zur Verständigung. | |
| Musik ist für mich immer etwas, das Kraft gibt, sie stiftet pure Freude. | |
| Gerade jetzt schätze ich diese Energie noch mehr, weil die Welt mehr | |
| positive, nährende Energie braucht.“ Das habe ihr bewusst gemacht, wie | |
| heilsam Musik sein kann. „Ich schätze mich sehr glücklich, Musik machen zu | |
| dürfen“, erklärt sie. „Das ist in vielerlei Hinsicht ein Geschenk.“ | |
| 27 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Jazzfest-Berlin-2024/!6046617 | |
| ## AUTOREN | |
| Maxi Broecking | |
| ## TAGS | |
| Jazzfest Berlin | |
| USA | |
| Jazz | |
| Jazz | |
| Freie Musik | |
| Jazz | |
| Experimentelle Musik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Notizen vom Jazzfest Berlin: Jazz lebt, obwohl die Welt in Flammen steht | |
| Improvisation, Verfremdung und Kollektivität: Konventionelle Besetzung oder | |
| Solo-Auftritt; alte Themen und neue Thesen. Notizen vom Jazzfest Berlin. | |
| Jazz-Saxofonist David Murray: Bebop in der Hinterhand | |
| Der New Yorker David Murray ist eine wichtige Figur der Downtown-Loftszene. | |
| Nun kommt der politische Künstler zum Berliner Jazzfest. Ein Portrait. | |
| Porträt Jazzsaxofonistin Ingrid Laubrock: Musikalischer Freigeist statt politi… | |
| Die in New York lebende Saxofonistin Ingrid Laubrock hat den deutschen | |
| Jazzpreis 2025 erhalten. Unerschrocken setzt sie sich gegen Donald Trump | |
| ein. | |
| Yoko Onos Fluxus-Musik „Grapefruit“: Den Kopf an die Wand schlagen | |
| „Grapefruit“ gehört zum Fluxus-Frühwerk von Yoko Ono. Jetzt hat das | |
| schwedisch-britische Great Learning Orchestra die Partituren aufgenommen. |