# taz.de -- Retrospektive im Tate Modern: Yoko Ono therapiert die Menschheit | |
> Die Londoner Tate Modern widmet der 91-jährigen Friedenskünstlerin Yoko | |
> Ono eine große Retrospektive. Ihre Kunst bohrt sanft unsere Psyche an. | |
Bild: Ohne Körper geht in Yoko Onos Kunst der Interaktion nichts. Ausschnitt a… | |
Der Mensch wird gern aufgefordert. Das entbindet ihn von der | |
Eigeninitiative und resultiert trotzdem meist in einer Erfahrung. Die | |
Künstlerin Yoko Ono stammt aus Japan. Das Japanische kennt eine eigene | |
Grammatik für das Auffordern: Die „Initiativform“ und die „Suggestivform… | |
markiert durch bestimmte Suffixe, bilden die Absicht ab, das Gegenüber zu | |
etwas zu motivieren. „Music of the Mind“, die [1][große Yoko Ono-Werkschau] | |
in der Londoner Tate Gallery of Modern Art, ist ein immer dringlicherer, | |
immer vertrauter wirkender Aufruf zur Partizipation. | |
Es geht los mit vorsichtigen Aufforderungen, den sogenannten Instruction | |
Pieces: Yoko Onos „Painting to be stepped on“ könnte man fast übersehen. | |
Für diese Arbeit aus ihrer ersten Solo-Show 1960/61 klebte sie einen | |
Leinwandrest auf den Boden, über den man – bewusst oder unbewusst – mit | |
einem großen Schritt hinweggehen, den man aber auch betreten kann. Wie sehr | |
man mit Onos Kunst interagiert, ist Ermessenssache. Yoko Ono macht | |
Vorschläge, stellt keine Bedingungen. Voraussetzung ist nur, dass der | |
Körper involviert wird. | |
Das „Painting to shake hands“ erfordert bereits aktivere Anteilnahme und | |
klare körperliche Interaktion: „Bohre ein Loch in eine Leinwand und stecke | |
von hinten deine Hand hindurch. Empfange so deine Gäste. Schüttele Hände | |
und wechsle die Hände.“ | |
So füllen sich die Wände der Ausstellungsräume neben den vielen | |
Dokumentationen von Straßenkunst, Happenings und Performances mit simplen | |
und komplizierteren, ideenreichen und absurden Ansprachen, die Ono mit der | |
Schreibmaschine auf kleine Zettel getippt hat: „Bandagiere einen Teil | |
deines Körpers. Wenn jemand nachfragt, denke dir eine Geschichte aus und | |
erzähle sie“, heißt es im „Conversation piece“. Das „Smoke Piece“ f… | |
„Rauche alles, was du kannst. Inklusive dein Schamhaar.“ | |
## Die Künstlerin baut eine Beziehung zwischen sich und den Betrachtenden | |
auf | |
Der/die Besucher:in der äußerlich chronologisch strukturierten, aber | |
eigentlich einer emotionalen Annäherung folgenden Show gewöhnt sich beim | |
Gang durch die Räume an Onos freundlich-sachlich vorgetragene Bitten und | |
ist immer schneller gewillt, ihnen nachzukommen. Die Künstlerin baut so | |
eine – temporäre, aber intensive – Beziehung zwischen sich selbst und den | |
Betrachtenden auf. Dass der vom [2][traumatisiert-schroffen | |
Nachkriegsengland geprägte John Lennon] bei seiner ersten Begegnung mit der | |
Kunst der damals bereits erfolgreichen Schöpferin sofort begeistert war, | |
leuchtet küchenpsychologisch ein. | |
Johns traurige Beziehung zu seiner früh verstorbenen Mutter Julia | |
inspirierte Ono: Der vorletzte Raum beherbergt einen Teil der Show „My | |
mummy is beautiful“, der 1998 in der Münchner Villa Stuck gezeigt wurde und | |
aus Farbfotos einer weiblichen Brust und des weiblichen Schritts besteht. | |
In der Tate hängen die Brüste und Vulven wie ein riesiges hautfarbenes | |
Memoryspiel an der Decke, ähnlich einem Baby beim Stillen schaut man von | |
unten auf die Nahrungs-, Lebens- und Geborgenheitsquelle. Subtil und sanft | |
bohrt Ono damit die Psyche an und kocht ihre Gäste weich. | |
Am Ende der Show steht die Einladung, Gedanken an seine Mutter | |
aufzuschreiben und an eine Wand zu heften. Diese ist bereits über und über | |
mit Zetteln beklebt. Selbst wenn man der Bitte nicht Folge leisten möchte, | |
erhascht man beim Vorbeigehen rührende, hilflose, dankbare und in jedem | |
Fall hoch emotionale Wünsche und Aussagen. Bei vielen Besucher:innen | |
fließen Tränen. Vielleicht hilft die große Künstlerin Yoko Ono mit ihrer | |
Kunst, die Menschheit zu therapieren. Nötig hat diese es allemal. | |
30 Jul 2024 | |
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[1] /Yoko-Ono-Ausstellung-in-Frankfurt/!5073074 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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