Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Grünes Wahlprogramm 2025: Wirtschaft vor Klima
> Die Grünen stellen ihre Ziele für die Bundestagswahl vor. Der Vergleich
> mit dem Programm zur letzten Wahl ist aufschlussreich, nicht nur, weil es
> kürzer ist.
Bild: Die Menschen können „stolz auf ihre Arbeit“ sein: Die Grünenspitze …
Berlin taz | Die Grünen präsentieren am Dienstagvormittag offiziell den
Entwurf für ihr Wahlprogramm. Rund 250.000 Zeichen umfasst der Text, nicht
mal halb so viele wie das Programm zur Wahl 2021. Auch wenn noch ein paar
Zeilen dazukommen werden, bis ein Parteitag Ende Januar den Entwurf berät
und verabschiedet: Im vorgezogenen Wahlkampf hält sich die Partei bewusst
kurz.
Der Vergleich der beiden Programme gibt aber noch mehr her als das. Dass
sich in den dreieinhalb Jahren dazwischen die Weltlage geändert hat, dass
die Grünen von der Oppositions- zur Regierungspartei wurden, dass sie
allerlei Attacken ausgesetzt waren und heute Angriffsflächen noch mehr
fürchten als je zuvor – all das ist deutlich erkennbar.
Wirtschaft und Klima
Das [1][grüne Wahlprogramm von 2021] begann mit einem Kapitel zur
Klimapolitik und dem Satz: „Die Klimakrise ist die Existenzfrage unserer
Zeit.“ Nun stellt die Partei die Wirtschaftspolitik nach vorne. „Der
deutsche und europäische Standort“ und die Innovationskraft sollen
gestärkt, die Bürokratie abgebaut werden. Die Menschen seien, so heißt es
nun im ersten Satz des Kapitels, „zurecht stolz“ auf die Qualität ihrer
Arbeit. Da kann wohl selbst die FPD nichts gegen sagen.
Konkret folgen dann einige bereits bekannte grüne Forderungen: Die
Investitionsprämie von 10 Prozent für Unternehmen, der erleichterte Zuzug
von Fachkräften und eine Industrie, die klimaneutral modernisiert werden
soll.
Die zentrale Forderung der Grünen ist der Deutschlandfonds. Es ist ihr
leicht patriotisch angehauchter Name für eine neue Investitionspolitik. Aus
dem Fonds sollen das Bahnnetz, Schulen und Kitas saniert werden. Auf ein
Volumen legen sich die Grünen nicht fest, sie sprechen aber von einem
Investitionsbedarf im dreistelligen Milliardenbereich. Um Investitionen
möglich zu machen, soll die Schuldenbremse reformiert werden.
Erst nachdem der Deutschlandfonds abgehandelt ist, geht es explizit um die
Klimapolitik. Hervorgehoben wird dabei die soziale Frage. Die Grünen
fordern ein Klimageld, durch das Menschen mit niedrigen Einkommen Einnahmen
aus der CO2-Bepreisung erstattet bekommen. Auch MieterInnen sollen davor
geschützt werden, dass steigende CO2-Preise auf sie abgewälzt werden.
Richtig konkret werden die Grünen aber vor allem dort, wo Klima- auch
Wirtschaftspolitik ist. So fordern sie eine Kaufprämie für E-Autos und
Solaranlagen.
Arbeit und Soziales
Der zweite große Abschnitt des Programmentwurfs widmet sich der
Sozialpolitik. Die Grünen fokussieren auf die arbeitende Mitte: Der
Mindestlohn soll auf 15 Euro steigen, die Tarifbindung erhöht werden, das
[2][Tariftreuegesetz, das in der Ampel an der FDP scheiterte], endlich
kommen. Ansonsten sticht der Vorschlag hervor, Gehälter in
Stellenausschreibungen transparent zu machen.
Einen großen Stellenwert nehmen die gestiegenen Lebenshaltungskosten ein,
etwa bei der Miete. [3][Die Mietpreisbremse] soll verlängert und angezogen
werden, indem sie etwa schon für Wohnungen gilt, die nur 5 Jahre alt sind.
In angespannten Wohnlagen sollen Mietsteigerungen gestoppt werden.
Das große grüne Projekt der zu Ende gehenden Legislaturperiode, die
[4][Kindergrundsicherung], gilt als gescheitert. Im Programmentwurf nehmen
die Grünen aber für sich in Anspruch, damit eine „breite gesellschaftliche
Debatte“ angestoßen und die Zahl der Anträge für den bisherigen
Kinderzuschlag deutlich gesteigert zu haben. Am Ziel, mit einer
Kindergrundsicherung mehrere bisherige Leistungen zu bündeln, hält die
Partei fest.
Ansonsten nimmt sie in der Familienpolitik wieder die Klientel der
Besserverdienenden in den Blick. Sie will das [5][Elterngeld] auf minimal
400 Euro und maximal 2.400 Euro erhöhen. Davon dürften vor allem gut
verdienende Eltern profitieren, die bisher maximal 1.800 Euro erhielten.
Der Minimalbetrag steigt nur um 100 Euro.
Das Bürgergeld, eine der größten Neuerungen der Ampel-Koalition, handeln
die Grünen in wenigen Absätzen ab. Man will mit Anreizen statt mit
Sanktionen Menschen in Arbeit bringen. Ansonsten ist wohl auch die grüne
Schweigsamkeit in diesem Bereich Ausdruck des Zeitgeistes.
Finanzierung
Es gibt verschiedene Wege zu mehr Steuergerechtigkeit und die Grünen
bevorzugen eine [6][Vermögenssteuer] von 1 Prozent für alles über 2
Millionen Euro: So stand es im Wahlprogramm 2021. Dieses Mal ist es
umgekehrt: Eine Vermögenssteuer taucht im Entwurf zwar als eines von
mehreren möglichen Instrumenten auf. „Fokussieren“ wollen sich die Grünen
aber auf andere Maßnahmen: Die Einführung einer globalen Milliardärssteuer,
[7][wie von Teilen der G20-Staaten gewünscht], und das Schließen von
Steuerlücken zum Beispiel bei „außerordentlich großen Erbschaften“.
Nahezu wortgleich entspricht das einem Kompromissbeschluss vom Parteitag im
November. Einige, vor allem vom linken Flügel, wollten dort eine Neuauflage
der Forderung von 2021. Andere fürchteten, dass die Grünen damit auf die
Nase fliegen könnten – die Erfahrung habe man schon öfters gemacht, etwa
bei der verlorenen Bundestagswahl 2013. Der Fokus auf Lücken im bisherigen
System, und das auch nur für die Reichsten der Reichen, soll weniger
Angriffsfläche bieten.
Der Europa-Abgeordnete Rasmus Andresen gehört zu den grünen Verfechtern
einer Vermögenssteuer. Er sagte der taz, das Programm der Grünen habe sich
zuletzt nach links verschoben. Andresen ist froh, dass die Forderung nach
einer Vermögensteuer als „Signal“ im Wahlprogramm stehe. Einen innergrünen
Streit um das richtige Instrument will er vermeiden. Konkreteres wünscht er
sich beim Kampf gegegen die Marktmacht der großen Konzerne, um etwa
Preistreiberei von Lebensmittelkonzernen zu verhindern. Ob er selbst
Änderungsanträge einbringen werde, ließ er offen.Eine weitere Maßnahme, die
der Entwurf neben Steuern und Krediten für mehr finanzielle Spielräume
vorsieht, ist der Grünen-Klassiker „Abbau klimaschädlicher Subventionen“.
Nach den Erfahrungen der letzten drei Jahre ist er aber vorsichtiger
verpackt als 2021: Betroffene wolle man bei der Anpassung unterstützen, auf
soziale Ausgewogenheit achten. Das Ende der Dieselsubventionierung taucht
nicht mehr explizit auf.
Asyl
Auch im Entwurf für das Bundestagswahlprogramm covern die Grünen wieder den
einstigen [8][Horst-Seehofer-Leitspruch „Humanität und Ordnung“]. Immerhin
kommt er aber nur noch an einer Stelle vor und nicht gleich dreimal wie
noch bei der Europawahl im Mai.
Inhaltlich war grünen-intern in den Regierungsjahren wohl kaum ein Bereich
so umstritten wie die Asylpolitik. [9][Auf dem Parteitag im November] gab
es auch hierzu einen Kompromissbeschluss. Die Passagen im Programmentwurf
bauen jetzt ebenfalls darauf auf – fallen stellenweise aber trotzdem
dahinter zurück.
Die Grünen wollen zwar das „Grundrecht auf Asyl verteidigen“. Sie stehen
„weiterhin zum [10][Kirchenasyl]“, wollen Einschränkungen beim
Familiennachzug „aufheben“ und die „Förderung der zivilen Seenotrettung
fortführen“. In der Kürze des Programmentwurfs sind aber andere Forderungen
des Parteitags entfallen. Es fehlt zum Beispiel die explizite
Positionierung dagegen, im Zuge [11][der europäischen GEAS-Reform] sogar
Kinder zu inhaftieren. Und dass sich Abschiebungen nach Syrien und
Afghanistan verbieten würden, wie man aus dem Parteitagsbeschluss zumindest
mit gutem Willen herauslesen konnte? Auch davon ist nichts mehr zu lesen.
Nur von einem „Abschiebestopp in den Iran und von Jesid*innen“ ist die
Rede.
Der grüne Asyl-Politiker Erik Marquardt weist darauf hin, dass die Liste
der Länder, in die abgeschoben werde, weniger eine politische Entscheidung
sei, sondern von der menschenrechtlichen Lage vor Ort abhänge. Trotzdem
geht er davon aus, dass es in diesem Punkt Änderungsanträge geben werde.
Ansonsten bezeichnet er den Entwurf auf taz-Anfrage als „solide“ und ist
froh, dass im Wahlprogramm keine innergrünen Kämpfe ausgefochten werden.
Deutschland brauche wieder eine „progressive Migrationspolitik“, gerade im
Unterschied zur CDU, die Zurückweisungen an der Grenze und einen
Aufnahmestopp für Syrer fordert.
Krieg und Frieden
Die Grünen haben sich vorgenommen, wieder öfters vom Frieden zu sprechen,
um dem Vorwurf der Kriegstreiberei entgegenzuwirken. Rein quantitativ haben
sie den Vorsatz schon mal befolgt: 26 Mal taucht der Begriff „Frieden“ im
Programmentwurf auf, die Begriffe „[12][Taurus]“ oder „[13][Leopard]“
fehlen dagegen. Inhaltlich ändert das nichts an den grünen Positionen der
letzten drei Jahre. Mit „diplomatischer, finanzieller, humanitärer und
militärischer Unterstützung“ stehe man an der Seite der Ukraine. Der
deutsche Verteidigungsetat müsse „dauerhaft deutlich mehr als zwei Prozent
des BIP“ betragen.
Ein paar klassisch friedenspolitische Forderungen sind daneben noch übrig.
Die Grünen wollen weiterhin gesetzlich festgelegte und einklagbare
Kriterien für Rüstungsexporte (daran sind sie in dieser Legislaturperiode
gescheitert). Und sie möchten auch immer noch „Abrüstungsinitiativen und
Rüstungskontrolle vorantreiben“. Die umstrittene Stationierung von
US-Mittelstreckenraketen in Deutschland spart der Entwurf aber aus. Zum
[14][Krieg in Nahost] gibt es nur einen Absatz – und der bleibt unkonkret.
Feuersalamander und Co
Einige Triggerpunkte früherer Wahlkämpfe werden geschickt umschifft: Die
Worte vegan und vegetarisch tauchen nicht auf. Stattdessen müsse die
Politik Antworten auf den sinkenden Fleischkonsum finden. Nicht die Grünen
sind radikal, die Menschen sind es.
Aber keine Sorge, ein paar grüne Herzensthemen haben es in den Entwurf
geschafft. Zum Beispiel der [15][Feuersalamander], den die Grünen vorm
Aussterben retten wollen. Andere Tiere müssen dafür weichen: „Indem wir
beispielsweise [16][beim Wolf die Regeln für Abschüsse] in problematischen
Fällen vereinfacht haben, erhöhen wir die Akzeptanz des Artenschutzes als
Ganzes.“
17 Dec 2024
## LINKS
[1] /Wahlprogramm-der-Gruenen/!5765374
[2] /Bundesregierung-im-Wahlkampfmodus/!6053456
[3] /Mieten-begrenzen/!6055088
[4] /Expertin-ueber-Kindergrundsicherung/!6056453
[5] /Geplante-Aenderungen-beim-Elterngeld/!5971390
[6] /Ausgesetzte-Vermoegenssteuer/!6021305
[7] /Finanzministerium-gegen-Milliardaersteuer/!6025833
[8] /Kabinett-stimmt-fuer-Rueckkehr-Gesetz/!5586747
[9] /Gruene-Parteitagsbeschluesse/!6049518
[10] /Bremens-Innensenator-bricht-Kirchenasyl/!6050013
[11] /Europaeische-Asylrechtsreform-Geas/!6003865
[12] /Waffenlieferungen-an-die-Ukraine/!6003488
[13] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!5953506
[14] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999
[15] /Tag-des-Artenschutzes/!5750822
[16] /Woelfe-in-Deutschland/!6042422
## AUTOREN
Kersten Augustin
Tobias Schulze
## TAGS
Bündnis 90/Die Grünen
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Robert Habeck
Wirtschaftspolitik
Schwerpunkt Klimawandel
GNS
BIP
Robert Habeck
Kolumne Die eine Frage
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Robert Habeck
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Bündnis 90/Die Grünen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schrumpfendes BIP: Gegen die Krise anbauen
Das BIP ist zum zweiten Jahr in Folge gesunken. Um es anzukurbeln und
Härten sozial abzufedern, sollte der Staat Wohnungen bauen.
Habeck-Werbung in München: Grüne Projektion
Am Siegestor erstrahlte das Gesicht von Habeck. Öffentlichen Raum für
nichtssagende Wahlwerbung zu nutzen, ist aber sowohl verboten als auch
unoriginell.
Weg in die postfossile Gesellschaft: Soll man die ökologische Frage vergessen?
Die soziale Frage darf auf dem Weg ins postfossile Zeitalter nicht
vergessen werden. Doch die progressiv sein wollende Linke tut sich schwer.
Klimaschützer zu Wahlprogrammen: CDU/CSU und SPD fallen durch, Grüne punkten …
Mit keinem Wahlprogramm sind Umweltschützer wirklich zufrieden. Besonders
enttäuscht sie die Union, aber auch die Grünen werden gerüffelt.
Parteiprogramme für die Bundestagswahl: Die Groko ist noch nicht gesetzt
Die Grünen bewegen sich auf die Sozialdemokraten zu – und setzen einen
Gegenpol zum konservativ-marktgläubigen Lager. Das macht Lust auf
Wahlkampf.
Wirtschaft im Wahlkampf: Friedrich Merz und die Quadratur des Kuchens
Die Wirtschaftspolitik wird ein wichtiges Wahlkampfthema. Die Frage ist,
wie das BIP wieder wächst – und welche Rolle die Schuldenbremse dabei
spielt.
Wahlprogramme der Grünen und SPD: Fromme Wünsche
Passend zu Weihnachten präsentieren die Parteien ihre Wunschlisten. Die
Gerechtigkeitswünsche der Grünen und SPD aber sind nur fürs Wahlprogramm.
Geplantes TV-Duell Habeck gegen Weidel: Sockenschuss par exellence
Die Fernsehsender wollen Robert Habeck nicht ins Kanzlerduell mit Scholz
und Merz lassen – er soll gegen Weidel antreten. Die Grünen finden das
ungerecht.
Jette Nietzard gibt sich kämpferisch: „Die Grüne Jugend wird auf die Barrik…
Die Grüne Jugend hat auf einem Delegiertentreffen neue Grundsatzpositionen
zu Krieg und Frieden beschlossen. Sie fordert mehr Waffen für die Ukraine.
Mitgliederzuwachs bei den Grünen: Bereit für die Neuen
Keine andere Partei gewinnt derzeit so viele Neumitglieder wie die Grünen.
Diese wollen nun im Neuwahlkampf mitanpacken. Ein Ortsbesuch in Cottbus.
Parteitag der Grünen: Die Grünen – ein Wintermärchen
Auf ihrem Parteitag küren die Grünen Robert Habeck mit 96,48 Prozent der
Stimmen zum „Kandidaten für die Menschen“ und gehen motiviert in den
Wahlkampf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.