# taz.de -- Weg in die postfossile Gesellschaft: Soll man die ökologische Frag… | |
> Die soziale Frage darf auf dem Weg ins postfossile Zeitalter nicht | |
> vergessen werden. Doch die progressiv sein wollende Linke tut sich | |
> schwer. | |
Bild: Die beste Strategie: Zukunftspolitik wird nicht ohne Prioritätensetzung … | |
Und dann meldete sich eine in Berlin-Mitte weltbekannte Philosophin und | |
sagte streng: „Ich kann nur davor warnen, die soziale Frage zu vergessen.“ | |
Das war in einem illustren Gesprächskreis und mein Schnarchmoment des | |
Jahres. Ich ratzte sofort weg, denn damit war das Denken am Ende. | |
Das wichtigste Thema des Abends war die Frage, wie man zu ernsthafter | |
Klimapolitik kommen kann. Selbstverständlich darf man gerade auf dem Weg in | |
die postfossile Gesellschaft [1][„die soziale Frage“ nicht vergessen], | |
sonst geht gar nichts. Das wissen alle, die ernsthaft an der ökologischen | |
Frage und damit an der Zukunft der liberalen Demokratien arbeiten. | |
Die trotzdem und üblicherweise von klassischen Linken und Linksliberalen | |
ausgesprochene Mahnung, sie bloß nicht zu vergessen, beinhaltet die | |
Unterstellung, dass nicht nur böse Milliardärinnen und sonstige | |
Kapitalisten es tun, sondern auch Leute im Raum. Und zwar gerade jene, die | |
sich explizit für die postfossile Gesellschaft engagieren. Es gehört | |
mittlerweile zum rhetorischen Grundwortschatz, dass speziell Grüne qua | |
Moraldefizit und Dachgeschosswohnung notorisch die soziale Frage vergessen. | |
Nun kann man sagen: Reg dich ab, die Warnung vor dem Vergessen der sozialen | |
Frage ist einfach Teil unserer Salonkultur. Mag sein. Ich will aber darauf | |
hinweisen, dass es zu einem Standard geronnen ist, vergleichbar mit | |
„Schönes Wetter heute“. | |
## Floskel als Denkstopper | |
Auch wird diese unangreifbare Floskel als Denkstopper eingesetzt. Kaum ist | |
es gesagt, denken alle: Um Gottes willen, bloß nicht in den Verdacht | |
geraten, die soziale Frage zu vergessen! So kann man Ökobürger routiniert | |
einschüchtern und solche Runden dazu bringen, die ökologische Frage zu | |
vergessen und sich wieder den eingeübten und sicheren Schleifen des | |
Verteilungsdiskurses und der unzureichenden sozialpolitischen Maßnahmen auf | |
fossiler Links-rechts-Grundlage zuzuwenden. | |
Letztlich verteidigt dieser Satz – häufig unbeabsichtigt – den Status quo, | |
also den fossilen Sozialdemokratismus der Bundesrepublik, gegen eine | |
zukunftsfähige, postfossile, individualisierte Gesellschaft. Diese wird im | |
Übergang sehr wahrscheinlich einiges kosten, und zwar auch die, die nicht | |
im Überfluss leben. Das kann und muss man sozialpolitisch ausbalancieren. | |
Aber Zukunftspolitik wird nicht ohne Prioritätensetzung gehen, sonst kommt | |
man nicht zu einem starken und sozialen Europa mit einer gelungenen | |
Transformation seiner Wirtschaft und der Finanzierung nicht zuletzt des | |
Sozialstaats. | |
Prioritätensetzung heißt, dass eben nicht alles on top und auf den Nacken | |
der Jungen gehen wird und dass manches nicht wie bisher weitergehen kann. | |
Wo und wie – darüber muss gestritten werden. Aber man kann nicht in jedem | |
Fall „Aber doch nicht so!“ rufen. Es braucht ein gemeinsames Ziel und ein | |
Bewusstsein dafür, dass es auch Verluste geben wird und wir damit umgehen | |
müssen. Das gilt für die Moderne als Ganzes und für jeden Einzelnen. Nicht | |
jeder fehlende Zuschuss für eine Klassenfahrt ist gleich der Rückfall in | |
die Barbarei oder den Neofeudalismus. | |
## Was tut die Linke? | |
Es ist klar, dass AfD und [2][Wagenknecht] kein Interesse an postfossiler | |
Wirtschaft und der Begrenzung der immer weiter fortschreitenden | |
Erderhitzung haben. Es ist auch klar, dass die Konservativen von Union und | |
SPD hier mindestens zurückhaltend und weitgehend politiklos sind. | |
Aber ich fürchte, es ist noch nicht klar, dass gerade progressiv sein | |
wollende Linke 2025 klären müssen, ob sie – mit den besten Absichten – | |
letztlich auch die antiökologische Restauration befördern. Sie müssen sich | |
entscheiden, ob sie sich produktiv in die Realität einbringen. Oder doch | |
lieber weiter ihre reine Seele retten. | |
28 Dec 2024 | |
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[1] /Klimapolitik-und-die-soziale-Frage/!5779336 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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