# taz.de -- Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger: „Das deutsche Geschäftsmode… | |
> Der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger sieht Deutschland in der | |
> schwierigsten ökonomischen Lage seit der Nachkriegszeit. Wie schlimm | |
> steht es ums Land? | |
Bild: China auf der Technologieüberholspur: Das Land gilt als Vorreiter für d… | |
taz: Herr Bofinger, es ist derzeit viel von einer Wirtschaftskrise die | |
Rede, doch zuletzt ist das Bruttoinlandsprodukt leicht gestiegen. Wie | |
schlimm steht es um die deutsche Wirtschaft? | |
Peter Bofinger: [1][Die Lage ist schlechter], als sie zunächst erscheinen | |
mag. Die deutsche Wirtschaft steht vor der größten Herausforderung der | |
Nachkriegszeit. | |
taz: Warum sind Sie so pessimistisch? | |
Bofinger: Deutschland hat viele Krisen erlebt: die Ölkrisen, die | |
Finanzkrise und die Eurokrise. Diese Krisen haben die Wirtschaft gebremst, | |
aber nach ihnen konnte das Leben wieder weitergehen wie bisher. Jetzt | |
stehen wir vor der Herausforderung, dass die Wirtschaft massiv | |
transformiert werden muss. | |
taz: CDU-Chef Friedrich Merz sagte jüngst im Deutschlandfunk, dass das | |
deutsche Wirtschaftsmodell am Ende sei. Würden Sie dem zustimmen? | |
Bofinger: Dieses Modell bestand in der Exportorientierung der deutschen | |
Industrie. Insbesondere die Automobilindustrie war stark. Die letzten 30 | |
Jahre war die Wirtschaft damit aufgrund der Globalisierung erfolgreich. | |
Nicht nur deutsche Autos verkauften sich gut in aller Welt, sondern auch | |
deutsche Maschinen, weil viel Länder ihre Industrialisierung nachholten und | |
sich bei deutschen Maschinenbauern ausrüsteten. Doch nun leidet die | |
Industrie unter hohen Energiepreisen sowie dem Zwang zur Dekarbonisierung | |
und die Automobilindustrie hat an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt, weil sie | |
Entwicklungen bei der Batterietechnologie und Digitalisierung verschlafen | |
hat. Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert also in der Tat nicht mehr. | |
taz: Insbesondere chinesische Firmen werden zunehmend zu Konkurrenten. | |
Wurde China zu lange unterschätzt? | |
Bofinger: Manche Ökonomen sprechen von einem zweiten Chinaschock, den wir | |
gerade erleben. Nachdem chinesische Firmen Anfang der 2000er Jahre mit | |
Textilien, Schuhen und einfachen Elektronikprodukten auf den Markt kamen, | |
haben sie jetzt einen großen technologischen Sprung gemacht und werden in | |
Bereichen tätig, wo die deutsche Industrie traditionell stark ist, und | |
machen so hiesigen Firmen das Leben schwer. | |
taz: Ist die deutsche Industrie noch zu retten? | |
Bofinger: Leicht wird es zumindest nicht. Unternehmen und Politik müssen | |
sich Gedanken machen, wie sie die Transformation meistern können. Sie | |
müssen in Zukunftsmärkte wie erneuerbare Energien, künstliche Intelligenz | |
oder den Pharmabereich investieren. Denn die deutsche Industrie befindet | |
sich derzeit in einer Mid-Tech-Falle. Das heißt, sie ist in klassischen | |
Bereichen gut aufgestellt, wo sie aber bisher nichts zu bieten hat, sind | |
Hochtechnologiebereiche. Und diese sind die Märkte von morgen. | |
taz: Hat auch die Politik etwas falsch gemacht? | |
Bofinger: Der Staat muss eine aktivere Rolle spielen. Es bedarf einer | |
Industriepolitik, die die Geschäftsfelder der Zukunft identifiziert und | |
diese proaktiv fördert, damit deutsche Firmen in fünf, zehn Jahren wieder | |
im globalen Spitzenfeld mitspielen. Der alte Glaube, man müsse der | |
Wirtschaft nur die richtigen Rahmenbedingungen geben, dann würden die | |
Unternehmen ganz von alleine auf die richtigen Ideen kommen, hilft da nicht | |
weiter. Mit einer solchen Politik lassen sich keine Technologiesprünge | |
machen, wie sie China in den letzten Jahren schaffte. | |
taz: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) hat mit | |
Milliardensubventionen für Northvolt und Intel versucht, [2][Batterie- und | |
Chipfabriken in Deutschland] anzusiedeln. Doch wegen der schlechten | |
wirtschaftlichen Lage beider Unternehmen ist fraglich, ob beide Projekte | |
überhaupt realisiert werden. Sprechen diese Beispiele nicht gegen eine | |
aktivere Rolle des Staates und Subventionen? | |
Bofinger: Nein. Das Beispiel Northvolt zeigt vielmehr, dass Deutschland bei | |
Batteriezellen gar keine Chance mehr hat, mit China mitzuhalten. Deswegen | |
muss es in der Industriepolitik nicht nur darum gehen, kriselnde | |
Unternehmen zu retten, sondern neue Technologien zu fördern. | |
taz: Ein Unternehmen, das kriselt, aber auch Subventionen für den Bau einer | |
neuen und klimafreundlichen Anlage erhält, ist [3][Thyssenkrupp Steel]. | |
Sind diese Milliardensubventionen falsch investiertes Geld? | |
Bofinger: Über die Rettung einzelner Unternehmen zu diskutieren, verengt | |
die Debatte zu sehr. Es kann durchaus sinnvoll sein, die Stahlproduktion in | |
Deutschland zu halten. Doch um diese Frage beantworten zu können, braucht | |
es ein schlüssiges Zukunftskonzept. Es ist ein Paradigmenwechsel nötig. Die | |
Politik muss den Mut haben, wieder in großem Maßstab zu denken. Wir | |
brauchen ein 1-Billion-Euro-Programm für die nächsten zehn Jahre. | |
taz: Das würde finanzpolitisch jeglichen Rahmen sprengen und die | |
Schuldenquote explodieren lassen. | |
Bofinger: Nicht nur der Schuldenstand würde wachsen, sondern auch die | |
Wirtschaftsleistung. Bei einem realen Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent | |
pro Jahr und einer Inflationsrate von 2 Prozent würde die Schuldenquote, | |
also die Relation der Staatsverschuldung zur Wirtschaftsleistung, von | |
derzeit 63 Prozent auf 67 Prozent steigen. Damit hätte Deutschland | |
weiterhin eine sehr viel niedrigere Schuldenquote als Länder wie | |
Frankreich, Großbritannien oder die Vereinigten Staaten. | |
taz: Doch dafür braucht es eine Reform der Schuldenbremse oder zumindest | |
ein neues Sondervermögen. Dagegen hat sich die FDP immer gewehrt. Sind sie | |
froh über das Ampel-Aus? | |
Bofinger: Es ist gut, dass die Ampelkoalition auseinandergebrochen ist. | |
Wenn es drei Parteien gibt, die alle in eine andere Richtung wollen, dann | |
gibt es sehr viel Spannungen, aber das Land kommt nicht weiter. Damit ist | |
jetzt zumindest Schluss. | |
12 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Simon Poelchau | |
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