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# taz.de -- Die Wirtschaftsweisen: Keiner hält sich mehr ans Gelübde
> Eigentlich befinden sich die Wirtschaftsweisen in der Schweigeperiode.
> Doch insbesondere Veronika Grimm ist sehr mitteilsam.
Bild: Sie gibt der Bundesregierung nicht nur als Wirtschaftsweise Tipps: Ökono…
taz | Eigentlich gilt bei den [1][Wirtschaftsweisen] seit dem 9. Oktober
die sogenannte Schweigeperiode. „Bis zur Übergabe des Jahresgutachtens
2025/26 an die Bundesregierung am 12. November werden sich die
Ratsmitglieder des Sachverständigenrates nicht mehr öffentlich zu
wirtschaftspolitischen Themen äußern“, schrieb die Vorsitzende des
Gremiums, Monika Schnitzer, auf X. Nur leider hält sich in dem fünfköpfigen
Gremium kaum jemand so richtig daran.
Insbesondere Veronika Grimm, die gerne mit den anderen Mitgliedern im
Clinch liegt, scheint die Regel egal zu sein. Das ist auch der Opposition
schon aufgefallen. „Es wäre besser für uns alle, wenn sich Veronika Grimm
an die Schweigeperiode halten würde, anstatt weiterhin für Sozialabbau und
Leistungskürzungen zu trommeln“, sagt Linken-Chefin Ines Schwerdtner der
taz.
Keine Woche nach der Verkündung der Periode hatte Grimm bereits
Gastbeiträge im Handelsblatt und Magazinen platziert. „Neben
wachstumsfördernden Reformen gilt es, den Anstieg der Staatsausgaben
strukturell zu begrenzen“, gibt die Nürnberger Ökonomin der Bundesregierung
etwa in der Wirtschaftswoche Tipps, wie die Konjunktur anzukurbeln sei. Vor
allem müsse der Anstieg der Sozialausgaben wieder in ein angemessenes
Verhältnis zum Wachstum der Wirtschaftsleistung gebracht werden.
Zudem ist Grimm auf X recht aktiv. Auf dem sozialen Netzwerk von Elon Musk
retweetet und schreibt sie derzeit teilweise täglich mehrmals Beiträge. Das
kann mal ein Bild eines niedlichen Eichhörnchens sein, aber es ist mitunter
auch eine längere Ausführung zum Bildungssystem oder ein geteilter Beitrag
zur Wirtschaftskrise in Argentinien.
## Schweigeperiode ist selbst auferlegt
Dabei ist die Schweigeperiode etwas, das die Wirtschaftsweisen, wie der
Sachverständigenrat auch genannt wird, sich selbst auferlegt haben. In
dieser mehrere Wochen dauernden Zeit arbeiten die fünf Ökonom*innen
intensiv an ihrem Jahresgutachten, das sie Mitte November der
Bundesregierung übergeben. Das Führen großer Interviews oder das Verfassen
langer Gastbeiträge lenkt da nur ab.
Bei der selbstauferlegten Omertà gibt es durchaus auch einen Graubereich,
in dem Wortmeldungen okay sind, etwa zur Vergabe des
Wirtschaftsnobelpreises. Doch es gibt auch rote Linien, die eigentlich
nicht überschritten werden sollten. „Zu meiner Zeit wurde die Selbstbindung
konsequent eingehalten. Das hat in meinen Augen den Impact des Gutachtens
gestärkt“, sagt Peter Bofinger, der von 2004 bis 2019 selbst Mitglied des
Sachverständigenrats war.
Nicht nur Grimm, auch die anderen jetzigen Mitglieder fassen die Regel
offenbar lascher auf. Nur drei Tage nach Beginn der Schweigeperiode war die
Vorsitzende Schnitzer selbst bei der Talkshow „Caren Miosga“ zu Gast. Thema
der Sendung: „Was kostet uns der Aufschwung, Herr Klingbeil?“
Auch Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier konnte es nicht lassen. Am Montag
veröffentlichte Spiegel Online ein Interview mit ihr. Das Gremiumsmitglied
Achim Truger beschränkte sein Mitteilungsbedürfnis bisher immerhin auf eine
Rezension des neuen Buchs seines Kollegen Tom Krebs. Einzig der Fünfte im
Bunde, Martin Werding, ist derzeit regelgerecht wortkarg.
## Grimm im Aufsichtsrat von Siemens Energy
Was Grimm aus dem Gremium herausstechen lässt, ist nicht nur ihre rege
publizistische Aktivität. Sie liegt auch schon länger im Streit mit dem
Rest des Gremiums. Der Grund: Die Ökonomin sitzt seit Anfang 2024 auch im
Aufsichtsrat von Siemens Energy. Die anderen Mitglieder werfen ihr deswegen
Interessenkonflikte vor.
Bundeswirtschaftsministerin [2][Katherina Reiche] scheint sich darin nicht
zu stören. Ganz im Gegenteil. Die CDU-Politikerin hat Grimm zum Mitglied
eines neuen vierköpfigen Gremiums gemacht, das sie persönlich beraten soll.
Ende September veröffentlichte es bereits ein eigenes Gutachten. Titel:
„Eine Wachstumsagenda für Deutschland.“ Darin fordern Grimm und Co etwa:
„Wachstumshemmende Regulierungen – von Datenschutz bis Baurecht – müssen
entschlackt werden.“ Und: „Ohne Anpassungen beim Renteneintrittsalter,
einer Stärkung des Nachhaltigkeitsfaktors sowie einer Entlastung von Arbeit
und Unternehmen wird der Sozialstaat zur Wachstumsbremse.“
Für die Partei Die Linke ist Grimm deshalb als Wirtschaftsweise nicht mehr
tragbar. „Die Wirtschaftsweisen sollen laut Gesetz unabhängige
Sachverständige sein, doch Grimm arbeitet als Beraterin für die
CDU-Wirtschaftsministerin und sitzt im Aufsichtsrat des DAX-Konzerns
Siemens Energy, wo sie ein fettes Gehalt kassiert“, sagt Linke-Vorsitzende
Schwerdtner. „Wer sich so dreist über die Regeln hinwegsetzt, hat im
Sachverständigenrat nichts zu suchen.“
Unterdessen gilt wenigstens in einer Hinsicht noch das Schweigegelübde:
Weder [3][Grimm] noch der Sachverständigenrat selbst wollten sich zum
Umgang mit der Schweigeperiode äußern.
20 Oct 2025
## LINKS
[1] /Wirtschaftsweise-Truger/!6106678
[2] /Neue-Berater-der-Wirtschaftsministerin/!6108075
[3] /Streit-unter-den-Wirtschaftsweisen/!6007657
## AUTOREN
Simon Poelchau
## TAGS
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