# taz.de -- taz-Korrespondenten blicken auf die USA: Was bedeutet die US-Wahl f… | |
> In den globalen Brennpunkten könnte die Wahl zwischen Trump und Harris | |
> Kriege entscheiden. Manche erwarten von den USA aber gar nichts. Ein | |
> Überblick. | |
Bild: Harris und Trump verewigt von einem Kunstlehrer in Mumbai | |
Israel: Mehr Vertrauen in Trump | |
Dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf einen Sieg Trumps | |
hofft, ist ein offenes Geheimnis. Auch rund zwei Drittel der israelischen | |
Bevölkerung wünschen sich laut einer aktuellen Umfrage des Senders Kanal 12 | |
den Republikaner als nächsten US-Präsidenten. Für Harris würde nicht einmal | |
jeder Fünfte stimmen. Nur 20 Prozent der Israelis glauben, dass Harris für | |
die Sicherheit Israels gut wäre, gegenüber 58 Prozent für Trump. | |
Was sich Netanjahu von Trump erwartet, ist klar: freie Hand in Gaza und im | |
Libanon. Trumps erste Amtszeit war bereits von diplomatischen Tabubrüchen | |
zugunsten Israels geprägt: [1][Er verlegte die US-Botschaft nach | |
Jerusalem], erkannte die völkerrechtswidrige israelische [2][Annexion der | |
Golan-Höhen an] und nahm eine aggressive Haltung gegenüber Iran ein. | |
Trumps ehemaliger Nationale Sicherheitsberater John Bolton warnte jetzt | |
aber, dass die Unterstützung aus Trumps erster Amtszeit nicht für die | |
zweite garantiert sei. Trump sei nicht berechenbar, habe | |
„Wahnvorstellungen“ und „keinen Schimmer, was er im Nahen Osten tun soll�… | |
Die Unterstützung Israels seitens des scheidenden selbsternannten Zionisten | |
Joe Biden oder einer Nachfolgerin Harris hingegen ist zwar zuverlässig, | |
aber mit Mahnungen verbunden: humanitäre Hilfe zulassen, die Bevölkerung | |
von Gaza schützen, sich gegenüber Iran zurückhalten. Gegenwärtig läuft | |
eine Frist, die humanitäre Lage in Gaza zu verbessern oder die | |
US-Waffenlieferungen zur Debatte zu stellen. | |
Manche in Israel fürchten, dass eine Präsidentin Harris dem zunehmend | |
israelkritischen Flügel der Demokraten folgen könnte. Ein signifikanter | |
Teil der arabischstämmigen US-Bürger werfen Harris und Biden die | |
Unterstützung eines Völkermords in Gaza vor und rufen zur Stimmabgabe für | |
die Demokratin auf. | |
In entscheidenden Swing States mit einer signifikanten arabischstämmigen | |
Bevölkerungsgruppe wie Michigan, wo wenige Tausend Stimmen den Ausschlag | |
geben könnte, könnte dies Harris sogar um einen Wahlsieg bringen. Felix | |
Wellisch, Jerusalem | |
Arabische Länder: Ob Trump oder Harris ist egal | |
Mit einer Mischung aus Hoffnung und Gleichmut schauen viele Menschen in | |
arabischen Ländern auf die US-Präsidentschaftswahlen. Die Bilder der | |
[3][leidenden Zivilisten in Gaza und im Libanon] prägen seit über einem | |
Jahr den politischen Diskurs. Nun wird in Talkshows diskutiert, ob Kamala | |
Harris oder eher Donald Trump die Netanjahu-Regierung zu einem | |
Waffenstillstand zwingen könne. | |
Harris hatte als erste US-Politikerin ein Ende des Gaza-Krieges gefordert. | |
Doch als Vizepräsidentin wird sie für die weitgehende Zerstörung Gazas | |
mitverantwortlich gemacht. | |
Donald Trump wirbt um Wähler mit Wurzeln in der Region mit seiner | |
unorthodoxen Diplomatie. Der herzliche Empfang des Ehepaars Netanjahu bei | |
den Trumps in Mar-a-Lago im Juli zeigte, wo die Sympathien liegen. Mit dem | |
Satz „Tun Sie, was Sie müssen“ soll Trump vor den israelischen Angriffen | |
auf Iran im Oktober seine Solidarität bekundet haben. In seinem letzten | |
Telefonat mit Benjamin Netanjahu machte Trump laut Times of Israel eine | |
klare Ansage: „Ich will, dass der Krieg in Gaza vor der Ablegung meines | |
Amtseides beendet ist.“ | |
In Gesprächen mit Trump-Beratern fällt auffällig oft der Begriff | |
„umstrittene“ statt „besetzte“ Gebiete. „Trump könnte die Ausweitung… | |
Siedlungen anerkennen, im Gegenzug für ein Ende des Krieges“, warnt ein | |
Berater der Palästinensischen Autonomieverwaltung in Ramallah gegenüber der | |
taz. | |
In den Golfstaaten und in Nordafrika findet die Wahl weit weniger | |
Beachtung. Der Prozess der Abnabelung vom Westen ist fortgeschritten, auch | |
die Zeit islamistischer Gruppen ist vorbei. Ein kaltschnäuziger | |
Pragmatismus hat Einzug gehalten. | |
In Tunesien, wo die Solidarität mit Hamas und Hisbollah Staatsräson ist, | |
startet demnächst eine Militärübung mit der US-Armee, zeitgleich wird im | |
Hafen Bizerte erstmals ein russisches Kriegsschiff einlaufen. „Ob Trump | |
oder Harris, ist uns eigentlich egal“, sagt der tunesische Analyst Mohamed | |
Hamad. „Die westlichen Doppelstandards haben den Glauben an den Westen | |
beendet.“ | |
„Die USA werden nicht mehr nur als Verbündeter Israels gesehen“, sagt | |
Makram Rabah, der an der amerikanischen Universität in Beirut Geschichte | |
lehrt. „Sondern als die treibende Kraft hinter der tödlichen Feuerwalze, | |
mit der Netanjahu Großisrael durchsetzen will.“ | |
Doch Rabah steht wie viele Libanesen und Palästinenser auch Hisbollah und | |
Hamas kritisch gegenüber. „Die arabische Straße hofft vage darauf, dass | |
nach dem Ende des Wahlkampfes sowohl die iranische Hegemonie als auch die | |
israelische Besatzung Palästinas beendet wird.“ Mirco Keilberth, Tunis | |
Ukraine: Selenskyj geht in Deckung | |
In der Ukraine ist es kein Geheimnis, dass man eine Präsidentin Kamala | |
Harris einem Präsidenten Donald Trump vorziehen würde. Doch diese Präferenz | |
wird nicht offen ausgesprochen – der Fehler von 2016, als nahezu die | |
gesamte politische Elite für Hillary Clinton Partei ergriff, bleibt in | |
Erinnerung. Nach Trumps Sieg löschten viele rasch ihre Clinton-freundlichen | |
Posts. | |
Diesmal will sich niemand mit den Republikanern überwerfen. Die waren | |
verstimmt, als Präsident [4][Wolodymyr Selenskyj bei seinem jüngsten | |
USA-Besuch] eine Waffenfabrik besuchte und ausschließlich Politiker der | |
Demokraten ihn begleiteten. | |
„Harris ist eine erfahrene Politikerin. Sie versteht ihr Handwerk. Trump | |
mag ein guter Geschäftsmann sein, aber das macht ihn nicht automatisch zu | |
einem guten Politiker. Ich bin für Harris, sie ist berechenbar“, meint | |
Journalistin Nastena. | |
Berufssoldat Stanislaw sieht das etwas anders: „Trump ist wenigstens | |
ehrlich. Er sagt ‚America first‘. Die Demokraten denken das auch, aber sie | |
tun so, als stünden sie hinter uns. An der Front bekommen wir vom Westen | |
veraltete Waffen, die er selbst nicht mehr will. Der Westen ist auf der | |
Seite des Westens, seine Interessen bleiben die gleichen, unabhängig davon, | |
wer gewählt wird. Ich glaube daher nicht, dass diese Wahl viel für uns | |
ändern wird.“ | |
Zu den wenigen öffentlichen Persönlichkeiten, die sich offen für Trump | |
aussprechen, zählt Sergij Jagodsinskiy, Prorektor der Europäischen | |
Universität in Kyjiw. Trump sei ein guter Geschäftsmann, habe Charisma und | |
zeige Offenheit. Ihm gefällt es, dass Trump den ukrainischen Präsidenten in | |
seinem Haus empfangen habe und offen von seinem Wunsch nach Frieden in der | |
Ukraine spreche. „Trump trägt keine Maske, er ist authentisch“, sagt | |
Jagodsinskiy auf Youtube und fügt hinzu, dass er nicht glaube, dass Harris | |
Putin die Stirn bieten könne. Bernhard Clasen, Kyjiw | |
Russland: Putin spielt den Troll | |
In Russland tut man so, als sei der Wahlausgang völlig egal. Präsident | |
Wladimir Putin betont immer wieder, dass die USA in Russland immer nur den | |
„Feind“ sähen, bevor er ausholt, wofür die USA verantwortlich seien – in | |
den Augen Moskaus für alles Schlechte in der Welt. | |
Außenminister Sergei Lawrow sagt: „Im Großen und Ganzen ist es egal, wer | |
das Rennen macht. Das amerikanische Polit-Establishment, unabhängig von | |
seiner Parteizugehörigkeit, betrachtet Russland als Feind und existenzielle | |
Bedrohung.“ | |
Die Signale aus Moskau sind absichtlich widersprüchlich. [5][Putins | |
rechtsextremer Vordenker Alexander Dugin] bezeichnet Harris immer wieder | |
als „unzurechnungsfähige Idiotin“, die dem Satan diene. Staatliche Medien | |
berichten gern diffamierend über sie. | |
Als Joe Biden sich aus dem Wahlkampf herauszog, stellte sich Putin | |
öffentlichkeitswirksam auf die Seite von Harris – um sie ins Lächerliche zu | |
ziehen. Bei der Plenarsitzung des Wirtschaftsforums in Wladiwostok im | |
September sagte der Kremlchef süffisant, diese habe so ein ansteckendes | |
Lachen. „Es geht ihr also gut. Und wenn es Frau Harris gut geht, dann wird | |
sie sich hoffentlich davor zurückhalten, gegen unser Land so viele | |
Sanktionen einzuführen wie Präsident Trump.“ Ein klassisches Trolling, | |
unangemessen und provozierend, | |
Der Kreml will sich öffentlich nicht festlegen, obwohl Trump der russischen | |
Führung durchaus imponiert, vor allem darin, wie er die Allianzen im Westen | |
aufmischt. Dass er den Krieg in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden | |
beenden will, sehen die Russen als das an, was es ist: Prahlen. Die völlig | |
vermurkste Beziehung zu Washington nutzt Moskau für seine antiwestliche | |
Rhetorik und seine Politik, wonach nur das zählt, was der Kremlherrscher | |
sich in den Kopf gesetzt hat: die Weltordnung nach seinem Gutdünken | |
umzuformen. Inna Hartwich, Moskau | |
Chinas Kalkül und Taiwans Ängste | |
In Chinas offizieller Politik glauben die meisten, dass es sich bei der | |
Wahl zwischen Donald Trump und Kamala Harris lediglich um eine Wahl | |
zwischen Pest und Cholera handelt. Sowohl die Demokraten als auch die | |
Republikaner wollten China in seinem legitimen Aufstieg behindern, ist die | |
Auffassung im Regierungsviertel Zhongnanhai. | |
Spätestens seit März 2023 ist dies offizielle Staatsdoktrin. Da erhob Xi | |
Jinping den Vorwurf: „Die westlichen Länder, angeführt von den Vereinigten | |
Staaten, haben eine umfassende Eindämmung und Unterdrückung unseres Landes | |
betrieben, was unsere Entwicklung in nie dagewesener Weise behindert hat“. | |
In seiner ersten Präsidentschaft riss Trump einen [6][Handelskrieg gegen | |
die Chinesen] vom Zaun. Joe Biden führte den Kurs konsequent fort, setzte | |
jedoch auf Tech-Sanktionen. Zudem hat er massiven Druck auf seine | |
Verbündeten ausgeübt, insbesondere Taiwan und Südkorea, keine sensible | |
Technologie mehr an Peking zu exportieren. | |
Diese Politik würde Kamala Harris grundsätzlich fortführen. Was die | |
Demokratin aus chinesischer Sicht als Pluspunkt verbuchen kann: Sie wäre | |
vorhersehbarer, da sie die diplomatischen Konventionen einhält und für | |
Kontinuität steht. | |
Trump hingegen ist unberechenbar. Und doch bietet er für Peking | |
gleichzeitig eine historische Chance. Schließlich hat er in diesem | |
Wahlkampf bereits für Irritationen im Indo-Pazifik gesorgt. So behauptete | |
er etwa Mitte Oktober, dass er Südkorea dazu zwingen würde, künftig | |
jährlich zehn Milliarden Dollar für die US-Militärpräsenz im Land zu | |
zahlen. Im nächsten Satz bezeichnete er Südkorea als „Geldmaschine“. | |
Solche Aussagen sind für Peking diplomatisches Gold. Trump erweist damit | |
nicht nur den westlichen Werten einen Bärendienst, sondern desillusioniert | |
auch die chinesische Bevölkerung selbst stärker, als es die Staatsmedien | |
mit ihrer plumpen Propaganda könnten. | |
Trump hat auch Taiwan damit gedroht, die militärische Unterstützung seitens | |
der USA herunterzufahren. Er verlangt, dass die Taiwaner 10 Prozent ihres | |
BIP in ihre Verteidigung stecken und hat mehrfach die Ostasiaten | |
beschuldigt, die einst führende US-Halbleiter-Industrie „gestohlen“ zu | |
haben. | |
Es wäre also anzunehmen, dass die US-Alliierten in Ostasien mehrheitlich | |
auf der Seite Kamala Harris stünden. Doch in Südkorea wünschen sich | |
ausgerechnet Teile der linken Opposition lieber Trump im Weißen Haus. Er | |
war schließlich der erste US-Präsident, der einem nordkoreanischen | |
Machthaber zum Gipfeltreffen die Hand ausgestreckt hat. Selbst wenn die | |
Trump-Kim-Annäherung schon bald spektakulär scheiterte, so brachen doch | |
zumindest kurzzeitig die verhärteten Fronten in dem jahrzehntealten | |
Konflikt auf. | |
Gleichzeitig erfreut sich Trump wegen seines authentischen, selbstbewussten | |
und auch exzentrischen Auftretens durchaus großer Beliebtheit bei eher | |
apolitischen Chinesen. Diese feiern den Republikaner wie eine Comic-Figur. | |
Davon zeugen Internet-Memes und Trump-Souvenirs. | |
Das ist durchaus beachtlich, denn in den Fernsehnachrichten des | |
Staatsfernsehens wird über die Vereinigten Staaten grundsätzlich in | |
geradezu apokalyptischem Tonfall berichtet: chaotisch, gefährlich, im | |
Niedergang begriffen. Aber als etwa am 25. Oktober die nationalistische | |
Parteizeitung „Global Times“ wie praktisch jeden Tag einen | |
anti-amerikanischen Leitartikel veröffentlichte, reagierten die User vor | |
allem mit Häme. | |
„Ist das nicht ein merkwürdiges Phänomen? Die Reichen fliehen alle in die | |
USA, während die Armen sagen, dass Amerika böse ist“, lautete ein | |
Kommentar. Denn führende Propagandisten der Staatsmedien haben Häuser in | |
den USA erworben und lassen dort ihre Kinder studieren. | |
Lynn Song, Chef-Ökonom für die niederländische ING-Bank, kommt nach | |
etlichen Gesprächen mit Klienten in China zum Ergebnis, dass „sich die | |
Mehrheit der Befragten für Trump ausgesprochen“ habe. Von Trump wird eine | |
harte Wirtschaftspolitik erwartet, jedoch dürften die politischen | |
Restriktionen gegenüber China sanfter ausfallen, als unter Harris, die sich | |
stärker für Menschenrechtsthemen interessiert. Ihr Vizekandidat Tim Walz | |
hat sich in seiner politischen Laufbahn immer wieder stark für die | |
chinesische Demokratiebewegung eingesetzt. Fabian Kretschmer, Seoul | |
Balkan: Kommt mit Trump Großserbien? | |
Schaut man von der US-Botschaft in Sarajevo auf den gegenüberliegenden | |
Berghang, erinnert es ein bisschen an Berlin vor dem Mauerfall. Hie der | |
amerikanische Sektor, da der russische. Hüben die [7][Institutionen von | |
Bosnien und Herzegowina], drüben die der Teilrepublik Republika Srpska. | |
Die Grenze zwischen dem westlichen und dem östlichen Lager zieht sich durch | |
den gesamten Balkan und könnte mit dem Ausgang der Wahlen in den USA | |
gefährlich verschoben werden. | |
In Pro-Putin-Autokratien wie Serbien setzen starke Strömungen auf Donald | |
Trump. Denn dann würden Fesseln wegfallen, die den Durchbruch zu offen | |
nationalistisch-autokratischen Positionen heute noch begrenzen. Versucht | |
die jetzige US-Regierung immerhin noch, sich gegen die offene | |
Verherrlichung von Kriegsverbrechen zu positionieren, wären bei einem Sieg | |
Trumps Oppositionelle und sexuelle Minderheit physisch bedroht. | |
Schwelende Kriegsdrohungen könnten offen ausgesprochen werden. Serbien hat | |
in den letzten Jahren stark aufgerüstet. Und pünktlich zum US-Wahltag hat | |
die Republika Srpska gerade beschlossen, in ihrer Teilrepublik von Bosnien | |
und Herzegowina die Flagge und Hymne des Staates Serbien einzuführen. Das | |
ist ein Schritt in Richtung Großserbien. | |
Schon in seiner ersten Präsidentschaft trat Trump für einen | |
Gebietsaustausch zwischen Serbien und Kosovo ein, was die Veränderung von | |
Grenzen auf dem Balkan mit all den damit verbundenen Gefahren bedeuten | |
würde. Heute wäre das ungleich gefährlicher. | |
Würde Ungarns Orbán dann seine Finger vom rumänischen Transsilvanien | |
lassen? Würde die albanische Minderheit in Nordmazedonien den Anschluss an | |
Albanien verlangen? Würde Serbien Montenegro übernehmen? | |
Alle demokratischen Parteien und Strömungen hoffen somit auf Kamala Harris, | |
auch wenn ihre Position in vielen Fragen vage ist. Würde sie Kosovo | |
nachhaltig unterstützen? Wird sie an der Staatlichkeit von Bosnien und | |
Herzegowina festhalten oder neigt sie einer nationalistischen Aufteilung | |
des Landes zu? | |
Über allem schwebt der Ausgang des Krieges in der Ukraine. Ob die USA die | |
Ukraine weiter so unterstützen, dass sich das Land halten kann, wird sich | |
direkt auf die politische Geografie auf dem Balkan und damit auf ganz | |
Europa auswirken. | |
Von Europa erhoffen sich die liberal-demokratischen und | |
zivilgesellschaftlichen Kräfte kaum noch Impulse. Vor allem die | |
bosniakisch-muslimische Bevölkerung in Bosnien setzt sich im Gegensatz zu | |
kroatischen und serbischen Extremisten zwar immer noch für die Durchsetzung | |
europäischer Werte wie Rechtsstaatlichkeit ein, ist aber angesichts des | |
Gazakrieges innerlich zerrissen. | |
Auch bisher stabile prowestliche Staaten kippen scharf nach rechts. Ungarn | |
unter Viktor Orbán ist für manche Kräfte in Kroatien, Bulgarien und | |
anderswo in Osteuropa offenbar ein Vorbild. Unter Zoran Milanovic weigert | |
sich Kroatien, Soldaten für die Nato bereitzustellen. Nachdem es Orban | |
mehrfach gelungen ist, die EU erfolgreich zu erpressen, scheint die EU für | |
diese Leute nur noch ein Vehikel zu sein, um eigene Interessen | |
durchzusetzen. Erich Rathfelder, Sarajevo | |
Afrika: Investieren ja, einmischen nein | |
Kein afrikanischer Führer stellt sich öffentlich hinter Donald Trump oder | |
Kamala Harris, und Afrika kommt im US-Wahlkampf nicht vor. Aber wer die | |
US-Wahlen gewinnt, wird zweifellos einen Einfluss auf Afrika haben, da die | |
politischen und ökonomischen Verbindungen nach wie vor eng sind. | |
Das würde man nicht denken, wenn man das Weiße Haus und seine | |
Geringschätzung Afrikas beobachtet. Der letzte US-Präsident, der Afrika | |
besuchte, war Barack Obama 2015. Joe Biden wollte im Oktober nach Angola | |
kommen, der Besuch sollte die Bedeutung der afrikanischen Partner für die | |
USA und den Willen zu gemeinsamem Engagement unterstreichen, hieß es | |
damals. Dann sagte Biden die Reise wegen eines Wirbelsturms ab. Der Besuch | |
ist auf Dezember verschoben. | |
„Sollte Kamala Harris bis dahin die Wahl verloren haben, könnte dieser | |
Besuch unbedeutend werden“, sagt der angolanische Kommentator Maico Borba. | |
Sollte Harris aber Präsidentin werden, dürften US-Investitionen in Angola | |
zunehmen. Das Land steht im Zentrum der Rivalität zwischen USA und China. | |
Das milliardenschwere Investitionsprojekt „Lobito Corridor“ zum Bau von | |
[8][Eisenbahnlinien von Angolas Atlantiküste] zu den Bergbaugebieten der | |
Demokratischen Republik Kongo und Sambias ist das größte | |
US-Investitionsvorhaben in Afrika. Unter Trump gilt seine Fortführung als | |
unsicher. | |
„Für Kontinuität ist es wichtig, dass die aktuelle US-Regierung an der | |
Macht bleibt“, sagt Analyst Brian Jere in Sambia. Kamala Harris besuchte im | |
März und April 2023 Sambia, Tansania sowie Ghana, um US-Investitionen zu | |
fördern. Sie sagte Hilfe bei der Terrorbekämpfung in Westafrika zu sowie | |
Investitionen in Landwirtschaft und Kampf gegen den Klimawandel. | |
2022 hatte das US-Afrikakommando Africom bereits die Eröffnung einer | |
Zweigstelle an der US-Botschaft in Sambia angekündigt. Das hat Misstrauen | |
in einigen anderen Ländern des südlichen Afrika hervorgerufen, die Sambia | |
nun als Sicherheitsrisiko wahrnehmen. | |
Wichtig für viele Länder ist die Zukunft des African Growth and Opportunity | |
Act (Agoa), das den meisten afrikanischen Ländern zollfreien Zugang ihrer | |
Exporte zu den US-Märkten gewährleistet. 2025 läuft Agoa aus. Biden hat | |
sich für eine Verlängerung ausgesprochen, Harris dürfte das umsetzen. Bei | |
Trump wäre das nicht garantiert. | |
Südafrika als größte Volkswirtschaft ist für eine Verlängerung von Agoa. Es | |
nahm am 21. Agoa-Forum in Washington im Juli teil und erklärte das als | |
wichtig für die „Verstärkung der starken Wirtschaftsbeziehungen zwischen | |
Südafrika und den USA und unserem afrikanischen Kontinent“, wie | |
Handelsminister Parks Tau sagte. | |
Aber Südafrika ist auch ein Gegner der US-Außenpolitik, unterstützt | |
Palästina gegen Israel und neigt eher zu Russland als zur Ukraine. | |
Der Biden-Regierung wird zugutegehalten, einige Schäden zu reparieren, die | |
Trumps erste Präsidentschaft 2017-21 in Afrika hinterließ. 2018 wurde Trump | |
mit der Bezeichnung Afrikas als „shithole countries“ zitiert und er warf | |
Afrika vor, die Migrationskrise der USA zu verschärfen. | |
Sowohl Trump als auch Harris „befördern eine imperialistische Agenda“, sagt | |
der südafrikanische Kommentator Sifiso Mkhize. Er ist dafür, dass ganz | |
Afrika sich dem Brics-Bündnis anschließt. „Aber Ghana, die Elfenbeinküste | |
und Kenia sind auf US-Kurs.“ | |
Und in Simbabwe kritisiert der regierungstreue Kommentator Danai Manyeruke, | |
die USA würden afrikanische Länder sanktionieren, weil sie LGBTIQA+-Rechte | |
nicht anerkennen. „China macht einfach Geschäfte, ohne uns zu drohen. Als | |
Afrikaner wissen wir, dass diese Wahl Afrika nichts bringen wird.“ | |
Tintswalo Baloyi, Johannesburg | |
Lateinamerika: Rechtspopulismus und Klimapolitik | |
Kurz vor den US-Wahlen übt keiner in Lateinamerika so demonstrativ den | |
Schulterschluss mit Donald Trump wie [9][Argentiniens Präsident Javier | |
Milei]. „Sie waren ein großer Präsident, und ich hoffe, Sie werden es | |
wieder sein“, sagte er, als die beiden sich am Rande der Conservative | |
Political Action Conference (CPAC) in Washington im vergangenen Februar 90 | |
Sekunden lang die Hände schüttelten. | |
Milei erwartet vor allem einen neuen Milliardenkredit vom Internationalen | |
Währungsfonds (IWF), ohne den er die bestehenden Devisenbeschränkungen | |
nicht aufheben kann. Dazu muss die US-Regierung zustimmen. Schließlich war | |
es Trump, der dem damaligen argentinischen Präsidenten Mauricio Macri einen | |
55-Milliarden-Dollar-Kredit des IWF ermöglichte. | |
In Stellung brachte sich Milei vergangene Woche, als er seine | |
Außenministerin feuerte. Diana Mondino hatte bei der UN-Generalversammlung | |
für die Aufhebung der US-Sanktionen gegen Kuba gestimmt, wie es Argentinien | |
immer tut, wenn dieses Thema dort zur Abstimmung steht. Aber das war Milei | |
offensichtlich nicht recht, denn damit stimmte Argentinien gegen die USA. | |
In Brasilien würde ein Sieg Trumps den Bolsonaristas Auftrieb geben. | |
Ex-Präsident Jair Bolsonaro scheint nur darauf zu warten, dass Trump wieder | |
ins Weiße Haus einzieht, damit er sich für die Präsidentschaftswahl 2026 in | |
Stellung bringen kann. | |
Präsident Lula da Silva hingegen setzt auf Kamala Harris, wenn auch nicht | |
offen. Der scheidende US-Präsident Joe Biden hatte ihm bei dem | |
Putschversuch gegen seinen Amtsantritt im Januar 2023 öffentlich | |
Unterstützung zugesichert und damit maßgeblich dazu beigetragen, dass sich | |
das brasilianische Militär ruhig verhielt. Eine Präsidentin Harris würde | |
sicher nicht anders handeln. Und sie wäre offen für Lulas Amazonasschutz- | |
und Klimapolitik, die mit Trump keine Basis hätte. | |
In Sachen Migration ist Mexiko als direkter Nachbar am meisten betroffen. | |
Trump hat bereits in seiner ersten Amtszeit die Migrations- und Asylpolitik | |
verschärft und im Wahlkampf weitere restriktive Maßnahmen angekündigt. | |
In Lateinamerika setzen daher viele ihre Hoffnungen auf eine mögliche | |
Präsidentin Harris und ein offeneres Verhältnis der nächsten US-Regierung | |
zur neuen mexikanischen Präsidentin Claudia Sheinbaum. Jürgen Vogt, Buenos | |
Aires | |
5 Nov 2024 | |
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