# taz.de -- Der russische Faschist Alexander Dugin: Der Philosoph hinter Putin | |
> Der Vordenker des Feldherrn. Alexander Dugin ist der ideologische | |
> Großmeister der russischen Neuen Rechten. Er findet seine Anhänger auch | |
> im Westen. | |
Bild: Propagandist der „eurasischen Idee“: Alexander Dugin 2014 in Helsinki | |
Um Wladimir Putin ranken sich derzeit viele Fragen: Ist er am Ende nur ein | |
durchgeknallter Monoman, dem es bloß noch um sein Bild in der Geschichte | |
geht? Oder ein russischer Politiker, der andere angreift, weil er sich | |
tatsächlich vor der Macht der Nato fürchtet? Oder vor allem ein völkischer | |
Nationalist, wie nicht wenige ost- und mitteleuropäische Politiker? | |
Wahrscheinlich könnte hier irgendwo die Wahrheit liegen. Zu berücksichtigen | |
ist aber auch, dass Putin einer ausgeklügelten politischen Theorie – | |
vielleicht sollte man besser von „Ideologie“ sprechen – folgt. | |
Nur dem geringsten Teil der hiesigen Öffentlichkeit dürfte der Name eines | |
russischen Philosophen bekannt sein, der bis 2014 an der Moskauer | |
Lomonossow-Universität lehrte. Dieser 1962 geborene politische Philosoph | |
war von 1994 bis 1998 Vorsitzender der dann verbotenen | |
nationalbolschewistischen Partei Russlands, aber eben auch beziehungsweise | |
gleichwohl ein Freund von Wladimir Putin. Kein Zufall ist es, dass dieser | |
Mann zu einem Vordenker der auch deutschen Neuen Rechten wurde: plädiert | |
dieser Alexander Dugin doch für eine radikale Umkehr des politischen | |
Denkens, für eine „Kehre“, weswegen er immer wieder auf den – auch hier … | |
der Neuen Rechten hochgeschätzten – Philosophen Martin Heidegger verweist. | |
Tatsächlich publizierte Dugin 2011 auf Russisch das Buch „Heidegger: Die | |
Möglichkeit der russischen Philosophie“. Über Dugin hat Heideggers Denken | |
Eingang in die Ideologie der deutschen Identitären gefunden. Etwa bei | |
Publizisten wie Jürgen Elsässer, der früher einmal Redakteur der linken | |
Zeitschrift konkret war. Elsässer, seit 2010 Chefredakteur des | |
rechtsextremen Monatsmagazins Compact, veröffentlichte bereits 2013 ein | |
Interview mit Dugin. Auf die Frage Elsässers, warum er die sogenannte | |
„Eurasische Idee“ propagiere, gab Dugin zu Protokoll: | |
„Weil es sich dabei um ein Konzept handelt, welches den Herausforderungen | |
Russlands und der russischen Gesellschaft begegnet. Was sind die | |
Alternativen? Es gibt den westlich-liberalen Kosmopolitismus, doch die | |
russische Gesellschaft wird diese Idee niemals akzeptieren. Dann gibt es | |
den Nationalismus, der sich für das multiethnische Russland ebenfalls nicht | |
eignet. Auch der Sozialismus eignet sich nicht als tragendes Ideal für | |
Russland, im Prinzip hat er auch in der Vergangenheit dort nie wirklich | |
funktioniert. Die eurasische Idee ist daher ein realistisches und | |
idealistisches Konzept. Es ist nicht nur irgendeine romantische Idee, es | |
ist ein technisches, geopolitisches und strategisches Konzept, welches von | |
all jenen Russen unterstützt wird, die verantwortungsbewusst denken.“ | |
## „Eurasische Idee“ | |
Damit hat sich Dugin als ein herausragender Vertreter geopolitischen | |
Denkens sowie als Vordenker eines „eurasischen“ – im Gegensatz zum | |
„atlantischen“ – Kulturraums positioniert. Dem entspricht die von ihm | |
postulierte „Vierte politische Theorie“, die nach Liberalismus, Faschismus | |
und Kommunismus am ehesten geeignet sei, das Überleben der Menschheit im | |
Zeitalter der Globalisierung zu sichern. Dugins theoretische Gewährsleute | |
sind neben Heidegger der französische Begründer der „Nouvelle Droite“, | |
Alain de Benoist, sowie der sehr viel weniger bekannte italienische | |
Philosoph Julius Evola (1898–1974). | |
Der faschistische Theoretiker Evola vertrat – kurz gesagt – Folgendes: Nur | |
in Rangordnungen erweist sich die Rückbindung einer Gesellschaft an die | |
Sphäre des Heiligen. Sowie: Die Entwicklung westlicher Gesellschaften zu | |
mehr Freiheit und Gleichheit hat sich seit Sokrates und dem Christentum als | |
Verfallsgeschichte des Heiligen, der Ehrfurcht und der Sitten erwiesen. | |
Gefordert sei eine „Revolte gegen die moderne Welt“, die auf dem Konzept | |
der Rasse beruht – wobei aber „Rasse“ eine geistige, keine biologische | |
Kategorie darstelle. Aus all dem folgt gleichwohl ein „geistiger“ | |
Antisemitismus und Antiamerikanismus sowie die Forderung nach der | |
esoterischen Initiation einer neuen Aristokratie. | |
Bei alledem tritt Dugin mit seiner Übernahme der Gedanken Evolas nicht etwa | |
für einen völkischen Ethnopluralismus ein, sondern für ein antiliberales, | |
autoritäres sowie neoimperiales Großraumdenken, das seiner Überzeugung nach | |
alleine die Menschheit noch retten könne. So stellt er in seinem 2017 | |
verfassten „Manifesto for a global revolutionary Alliance“ fest, dass die | |
Phase des Kapitalismus an ihre natürliche Grenze gestoßen, die natürlichen | |
Ressourcen erschöpft seien und [1][dass der westlich-liberale, | |
kosmopolitische Lebensstil] sowie die Kälte des Internets zum Zerbrechen | |
aller gesellschaftlichen Bindungen geführt haben – womit auch das | |
herkömmliche Verständnis von Individualität und Individuen zerstört sei: | |
„Nie zuvor wurde der Individualismus so verherrlicht, während gleichzeitig | |
die Menschen auf der ganzen Welt sich in ihrem Verhalten, ihren | |
Gewohnheiten, ihrem Aussehen, ihren Techniken und ihrem Geschmack so | |
ähnlich waren. Im Streben nach individualistischen ‚Menschenrechten‘ hat | |
sich die Menschheit selbst verloren. Bald wird der Mensch durch das | |
Posthumane ersetzt: ein mutierter, geklonter Android.“ | |
## Im Geiste Evolas | |
Zudem führten Globalisierung und „Global Governance“ zum Ende von Völkern | |
und Nationen, zur angeblichen Zerstörung eines gehaltvollen Wissens | |
zugunsten einer von den Medien erschaffenen „Realität“, sowie zum Ende | |
eines jeden Fortschritts, der seinen Namen verdiene. Daher sei bei | |
Weiterentwicklung der jetzigen Zustände [2][nichts anderes als eine | |
apokalyptische Katastrophe zu erwarten]. | |
Alle Phänomene deuten nach Dugin auf [3][das Ende eines langen historischen | |
Zyklus], eines Zyklus, der im Geiste Evolas durch Aufstieg und Niedergang | |
der westlichen Welt seit der Antike, spätestens seit der Renaissance | |
gekennzeichnet sei. Am Ende dieses Zyklus, so Dugin, stehe der Selbstmord | |
der menschlichen Gattung. | |
Eine Rettung sei möglich, aber nur durch eine radikale Umkehr, eine | |
grundlegende Neubesinnung auf andere Kategorien des Denkens, durch eine | |
Besinnung, die schließlich zur Bildung politischer Formationen führe, die | |
den Niedergang des Westens und der USA so beschleunigen könne, dass | |
wenigstens deren Völker ihren Niedergang überleben würden: als | |
raumgebundene Völker ohne wechselseitigen Führungsanspruch. | |
Was nicht zuletzt für den asiatischen Kontinent bedeutsam sei. Über all das | |
hinaus ist Dugin der Theoretiker – oder man sollte besser sagen: der | |
Ideologe – einer neuen imperialen Weltordnung, zumal mit Blick auf China. | |
Gegen das seiner Auffassung nach „unipolare“ Weltsystem nach Ende der | |
Sowjetunion wirbt er für ein multipolares Weltsystem mit mindestens vier | |
Pfeilern: des (nordamerikanischen) Westens, Europas, Chinas und eben | |
Eurasiens. Konsequent übernimmt er dazu das chinesische Konzept des | |
„Tianxia“, das so viel wie eine planetarische Gemeinschaft unter dem | |
Himmel, aber auch – in gegebenen Grenzen – unter chinesischer Vorherrschaft | |
bezeichnet. | |
## Russen und Chinesen | |
Dugins Konzept läuft darauf hinaus, den asiatischen Kontinent in zwei | |
Einflusssphären – eine im weitesten Sinne russische und eine chinesische – | |
aufzuteilen. Fragt man mit Blick auf Asien zudem, wie Dugin die indische | |
Union beurteilt, so sticht hervor, dass er die indische Kultur als eine dem | |
westlichen, liberalen Modell strikt entgegengesetzte Kultur und | |
Zivilisation ansieht. | |
Gehe es doch Indien seit Gandhi um eine Modernisierung ohne Verwestlichung. | |
Was das indes stark verwestlichte Japan betrifft, so votiert Dugin für | |
engere Beziehungen zwischen Russland und Japan, mit dem möglichen | |
Lockmittel, Japan die zu Russland gehörende nordostasiatische Inselgruppe | |
der Kurilen zu überlassen. | |
Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine ist es höchste Zeit, | |
Wladimir Putin als einen Revolutionär im Geiste des rechtsextremen Dugin zu | |
begreifen. Auf den letzten Seiten seines Buches „Eurasian Mission – An | |
Introduction to Neo-Eurasianism“ antwortet Dugin 2014 auf die Frage nach | |
seiner Haltung zu Wladimir Putin, dem er wegen zeitweiliger liberaler | |
Anwandlungen durchaus kritisch gegenüber stand: | |
„Wenn er an die Macht zurückkehrt, wird er gezwungen sein, zu seiner | |
früheren anti-westlichen Politik zurückzukehren, weil unsere Gesellschaft | |
von Natur aus anti-westlich ist. Russland hat eine lange Tradition der | |
Rebellion gegen ausländische Invasoren und der Hilfe für andere, die sich | |
gegen Ungerechtigkeit wehren, und das russische Volk sieht die Welt durch | |
diese Brille. Es wird sich nicht mit einem Herrscher zufrieden geben, der | |
nicht im Einklang mit dieser Tradition regiert.“ | |
Diese vor acht Jahren abgegebene Prognose hat sich mit Blick auf Putin und | |
nun dem Krieg gegen die Ukraine bis zum heutigen Tage bewahrheitet. | |
4 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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