# taz.de -- Serbisch-russische Allianz: Mehr als ein Ausrutscher | |
> Während Russland in der Ukraine Krieg führt, reiste Serbiens Präsident | |
> Vučić zur Siegesfeier am 9. Mai. Serbien umgeht auch Sanktionen gegen | |
> Russland. | |
Bild: Serbische Fahrradproteste unterwegs von Novi Sad nach Brüssel bei einer … | |
Aleksandar Vučić hat es tatsächlich getan: Nach diversen Vorankündigungen | |
flog der serbische Präsident erneut nach Moskau, zum „Tag des Sieges“ über | |
Nazideutschland am 9. Mai, zum ersten Mal wieder seit 2021. | |
Doch der Besuch verlief nicht reibungslos: Wegen Sicherheitsbedenken, | |
darunter auch angebliche Drohnensichtungen, hatte sich Vučić’ Ankunft | |
verzögert, er musste auf der Reise in Aserbaidschan zwischenlanden. | |
Lettland, Litauen und Estland untersagten ihm gar die Durchquerung ihres | |
Luftraums. | |
Dass ausgerechnet der serbische Präsident in diesen Zeiten an der Seite | |
Putins steht, ist mehr als ein Ausrutscher: Die aktuelle serbische | |
Zuspitzung der faschistischen Täterschaft im Zweiten Weltkrieg allein auf | |
die „Ustascha“, eine kroatische ultranationalistische faschistische | |
Bewegung am Kopf des kroatischen Satellitenstaats der Achsenmächte, folgt | |
dem gleichen Muster wie die russische Rhetorik der „Entnazifizierung“ der | |
Ukrainer:innen, nämlich der Deutung und Indienstnahme der Geschichte nicht | |
entlang ideologischer bzw. politischer, sondern nationaler und völkischer | |
Linien. | |
## Symbolische Gegenbewegung | |
Während Vučić mit seinem Besuch in Moskau Putins Rhetorik legitimiert, ist | |
eine Gruppe serbischer Studierender im Staffellauf nach Brüssel gelaufen. | |
[1][Ihr Ziel: der Besuch des EU-Parlaments, wo am 12. Mai eine Sitzung zu | |
den aktuellen Protesten in Serbien abgehalten wurde. Diese symbolische | |
Gegenbewegung zeigt, wie tief die politische Spaltung Serbiens heute | |
reicht.] | |
Eine studentische Bewegung fordert Aufarbeitung von Korruption und Gewalt, | |
während die Regierung autoritäre Allianzen vertieft. Und doch ist selbst | |
diese sehr heterogene Protestbewegung nicht frei von ideologischen | |
Ambivalenzen: Flaggen mit Bezug zur russischen Wagner-Miliz oder zu | |
klerikal-nationalistischen Ideen auf den studentischen Protesten werfen | |
Fragen auf. | |
Dennoch lassen die landesweit im studentischen Plenum nach Mehrheitsprinzip | |
beschlossenen Forderungen das klare demokratische Profil der Studierenden | |
erkennen. Nicht zuletzt haben sie durch ihren Staffellauf nach Brüssel | |
klargemacht, wen sie adressieren, nämlich die europäische Gemeinschaft. | |
## Idee einer slawischen Bruderschaft | |
Die Idee einer russisch-serbischen „Bruderschaft“ ist kein neues Narrativ | |
und nimmt spätestens seit dem 18. Jahrhundert eine zentrale Rolle im | |
politischen Leben in Serbien ein. In den 1990er Jahren, während der | |
Jugoslawienkriege, wurde die Verbundenheit strategisch gewählt. | |
Russland wurde als mächtiger Schutzpatron gegen den Westen hingestellt. | |
2008, im Zuge der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovos, erlebte | |
die prorussische Rhetorik einen weiteren Aufschwung. Der Slogan „Serben und | |
Russen, Brüder für immer“ wurde zum ideologischen Kitt eines autoritären, | |
nationalistischen Weltbilds. | |
Die serbisch-orthodoxe Kirche (SPC) spielt dabei eine zentrale Rolle. Unter | |
Patriarch Porfirije, der am 23. April noch Patriarch Kirill und Putin in | |
Moskau traf, verzahnt sie sich immer enger mit nationalstaatlichen | |
Interessen. Ihre Zusammenarbeit mit dem Moskauer Patriarchat manifestiert | |
sich auch darin, dass sie die 2019 gegründete autokephale | |
ukrainisch-orthodoxe Kirche bis heute nicht anerkennt. | |
## Absurde Allianz | |
Schaut man sich nun die Akteure und die Symbolik auf der „Siegesparade“ an, | |
entsteht eine absurde Allianz: [2][Unter dem Banner des „Antifaschismus“ | |
versammeln sich autoritäre, ultranationalistische, klerikal-konservative | |
Kräfte.] Der „Kampf gegen den Faschismus“ wird zur Kulisse für die | |
Durchsetzung eines antiwestlichen, faschistoiden Gesellschaftsmodells. | |
Wie am 9. Mai in Moskau der Kampf vieler sowjetischer Völker gegen | |
Nazideutschland zu einem „russischen“ Kampf nationalisiert wird, so wird | |
auch in Serbien Geschichtspolitik zunehmend als Mittel zur Nationalisierung | |
der Erinnerung eingesetzt. 2023 wurde in Belgrad ein Museum zu Ehren von | |
Draža Mihailović, Führer der Četniki und Nazikollaborateure im Zweiten | |
Weltkrieg eröffnet. | |
Zugleich kommt es am Ort des ehemaligen deutschen KZs Staro Sajmište in | |
Belgrad zu Umdeutungen, die die deutsche Verantwortung verwischen und – | |
durch Betonung „kroatischer“ Täter und „serbischer“ Opfer – neue eth… | |
Fronten ziehen. Was sich hier als Antifaschismus deklariert – etwa hat | |
Vučić in einem Video am 8. Mai vor dem Moskauer Kreml vom | |
„antifaschistischen Erbe“ gesprochen – ist in Wahrheit ein gezielter | |
revisionistischer Umbau der Vergangenheit. | |
## Autoritäre Machttechnik | |
Die „Verkehrungen ins Gegenteil“ als Machttechnik autoritärer Systeme, wie | |
sie Sylvia Sasse 2023 in ihrem so betitelten Buch beschrieben hat, lassen | |
sich in dieser Inszenierung auf mehreren Ebenen beobachten. Die wohl | |
bekannteste russische Desinformationsstrategie ist die | |
„Aktiv-Reaktiv-Verkehrung“, die seit Beginn des Krieges stark verfängt. | |
Die meisten serbischen Boulevardblätter, größtenteils von regierungsnahen | |
Managern kontrolliert, vermeldeten im Februar 2022 den „Überfall der | |
Ukraine auf Russland“. Auch bei der Siegesrede in Moskau am 9. Mai ist dies | |
die zentrale Umdeutung, die zudem Täter und Opfer verkehrt: Wer angreift | |
(Russland), gibt sich als Verteidiger einer freiheitsliebenden Welt aus. | |
Wer den Faschismus nach Europa zurückbringt, inszeniert sich als dessen | |
Bezwinger. Weiteres Werkzeug aus dem Baukasten der russischen | |
Desinformation ist die sogenannte Farbenrevolution. [3][Als Gegenreaktion | |
auf die friedlichen studentischen Proteste, die ausbrachen, als am 1. | |
November 2024 das Bahnhofsvordach in der Stadt Novi Sad einstürzte,] ließ | |
die serbische Regierungspartei im Januar 2025 riesige Transparente mit | |
Mittelfinger und der Aufschrift „Die Antwort des serbischen Volkes auf den | |
Versuch der Farbenrevolution“ aufhängen, bisher ohne sichtlichen Erfolg, | |
die Proteste halten an. | |
## Angstszenario gegen die eigene Bevölkerung | |
Russland und seine autokratischen Freunde nutzen dieses Narrativ in vielen | |
postsowjetischen Ländern seit den Nullerjahren zur Diskreditierung | |
demokratischer Bewegungen; der Rosenrevolution in Georgien 2003, der Orange | |
Revolution in der Ukraine 2004, der Tulpenrevolution in Kirgistan 2005. Es | |
ist ein klares Signal an die eigene Bevölkerung. Es soll das Angstszenario | |
der Ukraine auf den Plan gerufen werden: Ihr kriegt Krieg, wenn ihr euch | |
widersetzt. | |
Die russische Propaganda ist wirksam – ganz besonders in Serbien, wo | |
russische Staatssender eigene Ableger des RT Russia Today und Sputnik | |
haben, die in der EU schon lange verboten sind. Doch es sind vor allem die | |
heimischen lokalen Medien, die selbst diese Narrative wiederholen und sich | |
paradoxerweise zu einem Anteil von 63 Prozent von westlichen ausländischen | |
Unternehmen durch Werbeschaltung finanzieren: Knapp zehn Prozent der | |
geschalteten Werbung ist von deutschen Konzernen. | |
Doch zurück zur Desinformation: Genau diese haben die serbischen | |
Studierenden adressiert, indem sie in einer Putzperformance am 29. März | |
die Boulevardzeitung Informer und den dazugehörigen gleichnamigen | |
Fernsehsender kurzerhand in „DEZ-Informer“ umtauften. [4][Alexander Dugin, | |
russischer ultranationalistischer Politiker und Chefideologe des Kremls,] | |
ist zum Lieblingsphilosophen der serbischen Zeitungen geworden. Sein | |
serbisches Äquivalent ist Vladimir Kršljanin, seit 2022 auch stolzer Bürger | |
Russlands. | |
## Dugin, Putin, Patriarch Kirill und Kršljanin | |
[5][Letzterer publizierte gemeinsam mit Alexander Dugin], rezipiert | |
Vladimir Putin, Patriarch Kirill und andere in seinen Auftritten. In seinem | |
neuen Buch „Neue Welt, Serbien, Russland, China“ prophezeit der ehemalige | |
Milošević-Vertraute und Mitbegründer von dessen damaliger globaler | |
Unterstützungsgruppe in Den Haag eine „neue Welt“ (was verblüffend an die | |
russische, weltweit tätige Stiftung „Russische Welt“ erinnert), die von | |
Russland und China angeführt würde, mit Serbien als Partner. | |
Ganz nach diesem Drehbuch sitzen am 9. Mai Chinas Staatschef Xi Jinping und | |
Putin auf der Tribüne als Anführer einer „multipolaren Welt“ gegen die | |
„neofaschistische“ Nato. Diese sei, so schreibt Kršljanin, die größte | |
Bedrohung für den Frieden in Europa. Auch die von Dugin propagierte | |
„Übermacht des Geistes über die Materie“ sowie der Hass gegen den | |
„Liberalismus“ und jegliche Individualität hallt in Kršljanins Passagen | |
über die Überwindung von „Individualismus“ und eines von „Gottes Gesetz… | |
geleiteten „fairen multipolaren System“ nach. | |
## Verlorene Schlachten | |
Dugin geht noch weiter und schreibt Serbien eine Vorreiterrolle in der | |
Bekämpfung von Fremdherrschaft und Verteidigung des orthodoxen Glaubens zu. | |
Was die Schlacht am Amselfeld 1389 für die Serben sei (der Gründungsmythos | |
des „tapferen“ Kampfes der Serben unter Anführung von Zar Lazar gegen die | |
Osmanen im heutigen Kosovo; daher der nationalistische Spruch „Kosovo ist | |
das Herz Serbiens“), sei für die Russen die Schlacht auf dem Kolikowofeld | |
1380 gegen die Mongolen im heutigen Oblast Tula, laut Dugin das „wichtigste | |
Datum in der russischen Geschichte“. Erstaunlich, wie ausgerechnet zwei | |
verlorene Schlachten zu Gründungsmythen werden konnten. | |
Diese ideologische Allianz zwischen Serbien und Russland wird zudem durch | |
eine politisch motivierte wirtschaftliche Verzahnung untermauert. Laut dem | |
Portal KRIK erhielten 204 russische Oligarchen und Kriegsprofiteure, | |
darunter Ex-FSB-Agenten, seit 2022 im Eilverfahren die serbische | |
Staatsbürgerschaft – und umgehen so EU-Sanktionen. | |
Einer von ihnen, Ivan Sibirev, wurde am 14. März 2024 von der damaligen | |
Premierministerin Ana Brnabić eingebürgert, angeblich aus „nationalem | |
Interesse“. Er ist Miteigentümer von R-Stroy, das in zerstörten | |
ukrainischen Städten wie Mariupol baut und seit 2024 auf der | |
EU-Sanktionsliste steht. Wie Radio Free Europe zeigt, exportierten | |
serbische Firmen seit 2022 Dual-Use-Güter im Wert von über 64 Millionen | |
Euro nach Russland – darunter Intel-Komponenten, die in russischen Waffen | |
eingesetzt werden. | |
Die Lieferungen erfolgen meist über asiatische Zwischenhändler und umgehen | |
westliche Exportkontrollen. Serbien unterläuft damit trotz offizieller | |
„Neutralität“ gezielt die Sanktionen – und stärkt Moskaus | |
Kriegsmaschinerie. | |
15 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Philine Bickhardt | |
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