| # taz.de -- Tag des Sieges in Moskau: Putins prachtvolle Perversion des Gedenke… | |
| > Einst gedachte man in Moskau am 9. Mai der sowjetischen Opfer im Kampf | |
| > gegen Nazi-Deutschland. Jetzt rechtfertigt Putin mit der Feier seine | |
| > „Spezialoperation“ in der Ukraine. | |
| Bild: Feier zum 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland | |
| Moskau taz | Als fast zum Schluss der T-34, dieser sowjetischste aller | |
| sowjetischen Panzer, aufgebockt auf einem Laster über die Moskauer | |
| Prachtmeile Neuer Arbat fährt, ruft der fünfjährige Jaroslaw laut „Hurra�… | |
| Seine Mutter Larissa schwingt die mitgebrachte Sowjetfahne, sein Vater | |
| Daler winkt den Fahrzeugen. | |
| „Wir wollen unserem Jungen zeigen, wer Verteidiger sind und wer Feinde“, | |
| sagt der 48-jährige Daler, der als Kind [1][vor den Kämpfen in | |
| Tadschikistan] nach Moskau geflohen war. „Wir helfen mit allem, was wir | |
| haben, unseren Soldaten. Denn wir wissen: Wir werden siegen.“ Ein Laster | |
| mit der ballistischen Iskander-Rakete rollt vorbei, die Erde bebt, der | |
| Fahrer hupt.„Ist das eine Atombombe?“, fragt der Fünfjährige, den sein | |
| Vater extra auf ein Café-Geländer gestellt hatte. | |
| Wie Hunderte anderer Schaulustige verfolgt die Familie an diesem kühlen | |
| Freitagvormittag die Militärtechnik-Kolonne in der Sonne gegenüber des | |
| Kinos „Oktober“. „Der Sieg wird unser sein“, heißt es da auf dem digit… | |
| Banner. Manche hier haben Putin-Fahnen dabei, viele tragen Soldatenmützen, | |
| fast alle haben [2][das schwarz-orange Georgsband] ans Revers gesteckt, | |
| einst ein militärisches Abzeichen, heute das wichtigste Zeichen zum 9. Mai | |
| im Land, dem Sieg über das Nazi-Deutschland. | |
| ## Katastrophenschutz eingesetzt, mobiles Internet abgestellt | |
| Zum 80. Jahrestag hat Moskau alles aufgefahren, was es hat: an | |
| Sicherheitsmaßnahmen genauso wie an Kriegsgerät. Polizist*innen | |
| patrouillieren alle paar Meter, Mitarbeiter*innen des | |
| Katastrophenschutzes sind an den Metallabsperrungen quer durchs Zentrum | |
| postiert. Das mobile Internet ist abgestellt, nicht einmal Bankkarten | |
| funktionieren. Die Cafés entlang der Strecke, an der die Militärtechnik | |
| rollt, mussten schließen. „Nicht mal einen Kaffee kann man sich holen“, | |
| schimpft eine Frau. „Wir können nicht mal schauen, was unser Präsident auf | |
| der Tribüne sagt und wer alles über den Platz marschiert“, beschwert sich | |
| ein Mann. | |
| Russlands Präsident Wladimir Putin gibt sich in den knapp zehn Minuten | |
| seiner Rede zum „heiligen Tag“, wie er den „Siegestag“ stets bezeichnet, | |
| fast schon zurückhaltend. Die Tiraden gegenüber dem Westen fehlen, auch auf | |
| Drohungen wegen des angeblichen „Eurofaschismus“, der im offiziellen Moskau | |
| sonst oft zur Sprache kommt, verzichtet der Kriegsherr. Putin spricht von | |
| „Gefühlen der Freude und Trauer, des Stolzes und der Dankbarkeit, der | |
| Bewunderung für die Generation, die den Nationalsozialismus | |
| zerschmetterte“. | |
| ## Parallelen zwischen Weltkrieg und Großangriff auf die Ukraine | |
| Wie nebenbei flicht er seine „Spezialoperation“ in der Ukraine ein, wie | |
| Russland den Krieg im Nachbarland euphemistisch nennt. Moskau [3][spannt | |
| stets unverhohlen den Bogen] zwischen dem Zweiten Weltkrieg, den es als | |
| „Großen Vaterländischen Krieg“ bezeichnet, und dem aktuellen Krieg in der | |
| Ukraine. „Russland war und wird ein unzerstörbares Bollwerk gegen | |
| Nationalsozialismus, Russophobie und Antisemitismus sein“, sagt Putin und | |
| fährt fort: „Ganz Russland steht an der Seite der Teilnehmer der | |
| militärischen Spezialoperation. Wahrheit und Gerechtigkeit sind auf unserer | |
| Seite.“ Die Sowjetkämpfer von damals macht er allesamt zu „Russen“. | |
| ## Hunderte jubeln Rakten zu | |
| Auf dem Neuen Arbat jubeln die Männer, Frauen und Kinder den Raketen zu. | |
| „Unsere russische Seele ist weit. Unser Land ist das großartigste, das | |
| gutmütigste, das barmherzigste Land der Erde. Gott ist mit uns. Wir werden | |
| alle besiegen“, sagt Irina Knjasewa, ohne auch nur einen Anflug von | |
| Zynismus in ihren Worten zu erkennen. Jedes Jahr komme sie zur Parade und | |
| bringe immer viele Freunde aus anderen Regionen mit, erzählt sie. „Wir | |
| müssen die Erinnerung an unsere Kinder weitergeben. Wir Russen haben noch | |
| ein Gedächtnis, der Westen aber hat alles vergessen“, behauptet die | |
| 46-Jährige. | |
| [4][Sie trägt eine Holztafel, auf der die Bilder ihrer beiden Großväter und | |
| des Großvaters ihres Mannes abgebildet sind]. Sie habe sie nie selber | |
| kennengelernt, ohnehin hätten sie selten etwas aus ihrer Vergangenheit | |
| erzählt, habe sie sich sagen lassen. „Aber sie waren stolze Verteidiger | |
| unserer Heimat. Meine Kinder sollen auch zu Patrioten erzogen werden.“ | |
| Sie schrieben Briefe an die Soldaten in der Ukraine, sie sammelten Geld für | |
| die humanitäre Hilfe. „Das alles da in der Ukraine, das ist für eine lange | |
| Zeit. Auch Trump, dieser Showman, wird nichts beenden können. Aber wir, wir | |
| Russen, wir werden bis zum Ende gehen. Wir werden sie alle fertigmachen.“ | |
| Sie lächelt, hakt sich bei ihrem 13-jährigen Sohn Nikolai unter und will | |
| „diesen Tag feiern, mich freuen, lachen, genießen.“ | |
| ## Pervertiertes Gedenken als Triumphshow | |
| Krieg, so verkauft es Russland seit Jahren, sei nicht Trauer und Schmerz, | |
| Krieg sei Heroismus und Siegesfreude. Das Gedenken an die Millionen von | |
| sowjetischen Gefallenen ist pervertiert, es hat sich in eine Triumphshow | |
| verwandelt. 11.500 Soldatenanwärter marschieren am Freitag über den Roten | |
| Platz, mehr als 1.000 Teilnehmer der „Spezialoperation“ sind darunter. | |
| Regimente aus 13 Ländern – von Aserbaidschan und Belarus bis zu Myanmar und | |
| Ägypten – nehmen teil. Auch knapp 120 Soldaten der chinesischen Ehrengarde | |
| laufen mit. [5][Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping] lässt | |
| sich neben Putin übersetzen, was ein Veteran zu sagen hat. | |
| Russland zeigt sich an diesem Tag selbstbewusst, präsentiert neue Haubitzen | |
| und mit dem T-90M den modernsten Panzer, der derzeit in der Ukraine | |
| eingesetzt wird. Auf Lastern lässt es blank polierte Drohnen durch die | |
| Sonne Moskaus fahren. „Schau dir das genau an“, sagt ein Vater zu seinem | |
| Kind auf dem Neuen Arbat, „solche werdet ihr bald in der Schule bauen“. Es | |
| knattert über dem Asphalt, die Leute klatschen, die Kleinsten weinen. | |
| „Jetzt halt's Maul, du kleiner Scheißer“, brüllt eine Mutter ihr | |
| schreiendes Kind im Kinderwagen an. „Die Panzer kommen jetzt. Schau hin, | |
| werde Patriot!“ | |
| 9 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Inna Hartwich | |
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