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# taz.de -- Das Studentische Kulturzentrum Belgrad: Von Beginn an radikal
> Im SKC in Belgrad erfand sich in den 1970ern die Kunst neu. Im Zuge der
> Proteste besetzten es Studierende zeitweise, unterstützt von der freien
> Kunstszene.
Bild: Raša Todosijević, Zoran Popović, Marina Abramović, Gera Urkom, Era Mi…
Flirrende Hitze liegt über Belgrad, die Sommerpause dämpft den Alltag –
nicht aber den Protest. Seit einigen Tagen hat Serbien eine neue
Protestwelle gegen den rechtsautoritären Präsidenten Aleksandar Vučić
erreicht.
Ausgelöst wurde die bis dato anhaltende Kette an Gewalt von Anhängern der
Regierungspartei, die am 12. August [1][in Bačka Palanka und Vrbas] mit
Feuerwerkskörpern auf friedliche Demonstranten schossen – vor den Augen der
Polizei, die nicht eingriff.
Seither gehen die Sicherheitskräfte täglich auf Demonstrant:innen mit
Tränengas, Räumfahrzeugen und Schlagstöcken los, drohten einer
festgenommenen Studentin mit Vergewaltigung und veröffentlichten
Nacktfotos, ließen junge Schüler:innen und Studierende in Handschellen
an einer Wand niederknien und wie Terrorist:innen medienwirksam
vorführen.
Nach Besetzung geräumt
Auch die freie Kunstszene gerät zunehmend in Vučić’ Visier. Nachdem im
Februar 2025 Bürger:innen das städtische Kulturzentrum (KCB) in Belgrad
besetzt hatten, und daraufhin auch Studierende das berüchtigte Studentische
Kulturzentrum (SKC) auf der Hauptstraße Ulica Kralja Milana im Zentrum
Belgrads „befreiten“, wie sie die Besetzung nennen, wurde das SKC Ende Juli
von der serbischen Polizei geräumt.
Das SKC ist legendär. In den jugoslawischen siebziger Jahren war es eine
Keimzelle der Avantgardekunst. Viele später prägende Persönlichkeiten,
Musik- und Kunstgruppen werden mit diesem Ort in Verbindung gebracht.
Hier gaben die Rockbands Bijelo dugme, [2][Šarlo Akrobata], Idoli und
Električni Orgazam Konzerte; Künstler:innen wie Neša Paripović und
Marina Abramović traten hier erstmals auf. Es war eine Zeit, in der Musik,
Kunst, Theater und Performance in Jugoslawien [3][radikal neue
Ausdrucksformen] fanden.
Seine Anfänge nahm das SKC in den Protesten im Jahr 1968. Angeregt von den
vielen Demonstrationen in Westeuropa, hatte sich die Belgrader Universität
in ein Zentrum des kreativen Widerstands gegen die jugoslawische Regierung
verwandelt.
Zagreb und Sarajevo folgten, die erste ernsthafte Krise seit der
Konsolidierung der sozialistischen Tito-Herrschaft. Damals hatten die
jugoslawischen Studierenden – im Unterschied zur heutigen breiten,
bürgerlichen und serbischen Bewegung mit der Forderung nach Neuwahlen – ein
linkes Programm: Die Universität wurde in „Karl-Marx-Universität“
umgetauft, neben Forderungen nach akademischer Autonomie und Recht auf
Meinungsfreiheit wurde die Abschaffung von Privilegien einer neuen „Klasse“
in Jugoslawien, die der kommunistischen Funktionäre, gefordert.
Proteste als Ausdruck des Frusts
Auslöser für die Proteste 1968 war eine gewaltvolle Niederschlagung einer
studentischen Ansammlung durch die Polizei gewesen. Aber wie heute die
Proteste gegen Vučić auch Ausdruck eines allgemeinen Frusts der Menschen
über Korruption und die miserable Wirtschaftslage sind, lagen damals die
Gründe tiefer: Es herrschte große Unzufriedenheit in der jugoslawischen
Gesellschaft, als Folge einer Landwirtschaftsreform war die
Arbeitslosigkeit hoch.
Trotz anfänglicher Polizeigewalt und Festnahmen lenkte Tito schnell ein. In
seiner berühmten Rede am 9. Juni 1968 gestand er eigene Fehler ein, sprach
von einer „ehrlichen Jugend“, der „wir nicht genügend Aufmerksamkeit
geschenkt haben“.
Im Zuge dieser indirekten Schuldeingeständnisse und auch aus pragmatischen
Beschwichtigungsabsichten bot man den Studierenden eben jenes „Studentische
Kulturzentrum“, das SKC an. Seit 1971 war es dem Bildungsministerium
unterstellt, wurde aber von nun an weitestgehend von den Studierenden
selbst verwaltet.
Zukünftige Größen der Konzeptkunst machten im nunmehr unabhängigen SKC ihre
Anfänge. Die „nova umetnička praksa“ („Neue Künstlerische Praxis“) e…
Sie war eine besonders in Belgrad, Zagreb und Novi Sad entstandene
Kunstbewegung, die sich radikal von der traditionellen Kunstproduktion
absetzte.
Sie verband institutionskritische, oft politische Ansätze mit
internationalen Avantgarde-Trends. Die „nova umetnička praksa“ verstand
[4][Kunst als gesellschaftliche Praxis].
Legendäre Ausstellung „Drangularijum“
Eine der ersten Ausstellungen im SKC war „Drangularijum“ (von serb.
„drangulija“, umgangssprachlich für „Krimskrams“ und „Trödel“). S…
hinterfragte die künstlerische Autor:innenschaft und einen
traditionellen Werkbegriff.
Künstler:innen stellten einfach „Dinge“ aus, die ihnen persönlich
bedeutungsvoll waren. Die Objekte präsentierte man nicht als Kunstwerke im
traditionellen Sinne, sondern als „Ready-Mades“ oder Alltagsgegenstände.
Die Grenze zwischen Kunst und Leben verwischte, die intime Perspektive der
Künstler:innen wurde sichtbar: Gergelj Urkom zeigte ein grünes Bettlaken
aus seinem Atelier, Zoran Popović brachte die Tür seines Ateliers als
Symbol für den Übergang in einen kreativen Raum mit, die später
weltbekannte Performancekünstlerin Marina Abramović zeigte ein schwarzes
Schaffell und zwei Erdnüsse, der zukünftige radikale Konzeptkünstler Raša
Todosijević stellte gar seine Freundin Marinela Koželj aus: Als tableau
vivant saß sie während der gesamten Ausstellungslaufzeit auf einem Stuhl.
Künstlerischer Widerspruch
Im Frühjahr 2025, als die Proteste gegen Vučić’ Regierung bereits einen
Höhepunkt erreicht hatten, konnte man im SKC die Ausstellung „Monetarijum“
der Kunststudentinnen und Künstlerinnen Ana Stojković und Ivanja Todorović
besuchen.
Namentlich und konzeptuell schließt sie an die legendäre
„Drangularijum“-Schau an, legt aber auch künstlerischen Widerspruch gegen
sie ein. „Monetarijum“ beschäftige sich nämlich auch mit
„Privatisierungsprozessen“, so Stojković und Todorović zur taz, und einem
Klassismus in der Kunstszene.
Kurioserweise forderten Stojković und Todorović diejenigen auf, die an der
Ausstellung teilnehmen wollten, nicht nur wie bei der Originalschau 1971
einen Gegenstand mitzubringen, sondern auch „Eintritt“ zu zahlen, also eine
Gebühr zur Teilnahme.
Kunst im heutigen Kapitalismus sollte als ein Produkt, als zu bezahlender
Konsum entlarvt werden, denn Kunst anzuschauen und sie zu schaffen, muss
man sich erst einmal finanziell leisten können – das SKC hatte vor seiner
Besetzung auch sehr hohe Eintrittspreise verlangt.
Missstände im Kulturbetrieb Serbiens
Die Kritik, die Stojković und Todorović mit „Monetarijum“ übten, legt
grundsätzliche Missstände im Kulturbetrieb Serbiens frei. Die
fortschreitende Gentrifizierung der Innenstadt Belgrads etwa verdrängt
zunehmend unabhängige, experimentelle Orte für die Kunst, wie es das einst
sehr aktive SKC zu jugoslawischen Zeiten mal war.
Und überhaupt steht es um die Kulturförderung im Land schlecht: Seit Beginn
der Proteste hat das Kulturministerium alle Projektausschreibungen
pausiert. Mit 0,67 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen die
Staatsausgaben für Kultur deutlich unter dem empfohlenen Minimum von 1
Prozent der Unesco.
Jetzt, nach der polizeilichen Räumung des SKC, gibt es aus der freien Szene
öffentliche Unterstützung für das Zentrum. Die „Assoziation der
unabhängigen Kulturszene“ (NKSS), ein gewerkschaftlicher Zusammenschluss
einzelner Freischaffender und Gruppen seit 2011, veröffentlichte kürzlich
ein Solidaritätsschreiben: „Tausende von Studierenden und Bürgern nahmen
zum ersten Mal an einem der Programme des SKC teil – alles dank des enormen
ehrenamtlichen Einsatzes der Studierenden“, heißt es im Schreiben. „Unsere
Assoziation“, so das Vorstandsmitglied Virdžinija Đeković Miketić im
taz-Gespräch, „war von Anfang an ein Treffpunkt für Künstler, die an diesem
Kampf teilnehmen wollen“.
Künstler:innen in der ersten Reihe
Ohnehin stehen Künstler:innen sowie Professor:innen und das
akademische Personal der Kunstfakultäten im ganzen Land seit Anfang der
Proteste gegen die Vučić-Regierung in den ersten Reihen – als Erstes wurde
die Fakultät für Schauspielkunst an der Belgrader Universität der Künste im
Dezember 2024 von den Studierenden besetzt.
Bislang beschränkt sich die Repression gegen das Kollektiv, das in diesem
Frühjahr das SKC einnahm, auf die Medien, sagt Ana Stojković. Mit der
Drohung, dass seine Mitglieder verhaftet und zur Verantwortung gezogen
werden könnten.
Das Kollektiv möchte jetzt in anderer Form weiterbestehen. So startete
wieder vor ein paar Tagen das studentische SKC-Radio. Das war bereits in
den 1990er Jahren für seine kritische Berichterstattung über den
kriegswütigen Nationalismus während der jugoslawischen Zerfallskriege
bekannt.
23 Aug 2025
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## AUTOREN
Philine Bickhardt
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