# taz.de -- Proteste in Serbien: Sie lassen sich nicht mehr erschüttern | |
> Die Proteste in Serbien, die vor allem von Studenten getragen werden, | |
> reißen nicht ab. Staatschef Vučić lässt paramilitärische Sondereinheiten | |
> aufmarschieren. | |
Bild: Demonstranten und Bereitschaftspolizisten während der Zusammenstöße am… | |
Belgrad taz | Neun Monate lang waren die von Studenten angeführten Proteste | |
in Serbien gegen das Regime vorwiegend friedlich gewesen. Doch dann | |
eskalierten am Dienstag die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und | |
Gegnern von Staatspräsident Aleksandar Vučić in den kleinen Provinzstädten | |
in der Vojvodina Vrbas und Backa Palanka. | |
Am Mittwoch riefen serbische Studenten zu Protesten unter dem Motto | |
„Serbien, wach auf!“ auf. Bürger in der Hauptstadt Belgrad, Novi Sad, Niš, | |
Kruševac, Smederevo, Užice, Čačak, Pančevo und Lazareva folgten dem Aufruf. | |
In mehrere Städten kam es zu Krawallen, rund 70 Menschen wurden verletzt, | |
gab das Innenministerium bekannt. | |
Das Regime befindet sich auf Konfrontationskurs mit den Demonstranten. | |
[1][Sondereinheiten der Polizei spielen dabei jedoch nur eine Nebenrolle. | |
Sie sind chronisch unterbesetzt und wenn Kundgebungen gleichzeitig in | |
mehreren Ortschaften stattfinden, regelmäßig maßlos überfordert]. | |
Auf Bürger, die gegen die korrupte Autokratie und für einen Rechtsstaat | |
demonstrieren und vorgezogene Parlamentswahlen fordern, werden Aktivisten | |
und Sympathisanten der regierenden Serbischen Fortschrittspartei | |
losgelassen. | |
## Sichtbar große Muskeln | |
„Anständige Bürger“, die die Nase voll haben von den Schikanen der | |
„Terroristen“, die seit Monaten Straßen und Brücken blockierten und den | |
Staat lahmlegten, hätten den „Auslandssöldnern“ nun die Stirn geboten, | |
heißt es in den gleichgeschalteten Regime-nahen Medien. | |
Die „anständigen“ Bürger sind leicht zu erkennen: Sie haben vorwiegend | |
dicke Hälse, breite Schultern, sichtbar große Muskeln, haben oft Tattoos, | |
tragen schwarze T-Shirts und Mützen, viele von ihnen sind vermummt. | |
Demonstranten und die bürgerliche Opposition bezeichnen die Schlägertrupps | |
als paramilitärische Sturmabteilungen der SNS. So einige dieser | |
unübersehbaren Typen haben kritische Medien als Kriminelle mit dicken | |
Polizeidossiers identifiziert. Und sie haben anscheinend grünes Licht | |
bekommen, um mit den aufsässigen Demonstranten abzurechnen. Denn die | |
Proteste wollen einfach nicht abflauen. | |
Die heftigsten Krawalle gab es am Mittwoch in Novi Sad. Dort hatte am 1. | |
November 2024 alles angefangen: Das Vordach des Bahnhofs stürzte ein, bei | |
dem Unglück wurden 16 Menschen getötet. Die endemische Korruption habe | |
letztendlich diese Tragödie ausgelöst, polterte die Opposition. Und | |
plötzlich traten rund 100.000 serbische Studenten auf die politische Bühne. | |
Sie blockierten die Universitäten und führen seitdem unermüdlich den | |
Widerstand gegen das Regime Vučić an. | |
## Stärkste Kraft | |
[2][Die Studentenbewegung ist mittlerweile die stärkste politische Kraft in | |
Serbien geworden]. Meinungsumfragen zeigen, dass eine von ihnen angeführte | |
Wahlliste vorgezogene Parlamentswahlen gewinnen würde. Und genau das wollen | |
sie: in den politischen Ring steigen; nur will Vučić die Wahlen keinesfalls | |
ansetzen. | |
Am Mittwoch zogen die Demonstranten in Novi Sad vor die Parteiräume der | |
SNS. Dort warteten Vučićs Anhänger mit pyrotechnischem Arsenal auf sie, | |
eingefrorenen Wasserflaschen, Steinen, Rauchbomben und Prügeln. Die | |
Demonstranten wollten sich jedoch nicht zurückziehen und schlugen zurück. | |
Es kam zu massiven Straßenschlachten. Ein Parteibüro der SNS brannte ab. | |
In einem der Parteiräume hielt sich auch der Vorsitzende der SNS Milos | |
Vučević mit seinem Sohn auf. Demonstranten erkannten und umzingelten ihn. | |
Da schoss ein Mann in seiner Begleitung aus einer Pistole in die Luft und | |
machte ihnen so den Weg frei. Es stellte sich heraus, dass sieben | |
bewaffnete Mitglieder der militärischen Sondereinheit Kobre den | |
Parteifunktionär bewachten. | |
„Ich glaube, sie wollten uns alle umbringen“, sagte Vučević am Tag danach. | |
Er sprach vom versuchten Mord, Lynchen, Staatsstreich, von „terroristischen | |
Gruppen“ und „faschistischen Truppen“, die Bürger, Polizisten und Soldat… | |
„töten wollten“. | |
## Den Kiefer gebrochen | |
Ende Januar dieses Jahres war Vučević als Ministerpräsident zurückgetreten. | |
Der Grund: Aus den Parteiräumen der SNS in Novi Sad waren zwei Männer mit | |
Schlagstöcken auf eine Studentin zugestürmt und hatten ihr den Kiefer | |
gebrochen. | |
Sie wurden verurteilt, aber Staatspräsident Aleksandar Vučić begnadigte die | |
Täter vor einigen Wochen und bezeichnete sie auch noch als „Helden“. Treue | |
sollte belohnt werden. Das löste zusätzlichen Groll und Frust unter den | |
Studenten aus. | |
Auch Vučić erschien am Mittwoch während der Massenproteste in einer | |
Parteizentrale in Belgrad. Dort feuerte er Mitglieder der SNS an, sich den | |
Demonstranten zu widersetzen. Serbien habe keinen Präsidenten mehr, | |
kommentierte der bekannte Journalist Milan Ćulibrk. Vučić habe nämlich in | |
der Krisensituation Partei ergriffen, er sei als Parteiführer, und nicht | |
als Staatspräsident aufgetreten. Vučević führt nur formal die SNS an. | |
Die beiden stellten in Aussicht, was demnächst kommen würde: Mitglieder der | |
SNS würden ab jetzt an nirgendwohin zurückweichen und sie würden „ihr Haus… | |
und „ihr Eigentum“ vor den Attacken der Terroristen beschützen – nach dem | |
Motto: Einer für alle, alle für einen. | |
Anstatt einfach vorgezogene Wahlen auszuschreiben, führe Vučić das Land in | |
den Bürgerkrieg, postete die Studentenprotestbewegung auf ihrem | |
Instagram-Profil. | |
14 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Andrej Ivanji | |
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