# taz.de -- Ukraine-Krieg nach Trumps Wahlsieg: Auf sich allein gestellt | |
> Der künftige US-Präsident Trump will einen Deal mit Putin. Damit verfiele | |
> die Ukraine zum Marionettenstaat. Auch die Einheit der EU steht auf dem | |
> Spiel. | |
Bild: Die zwei Schurken wollen die Ukraine zum Marionettenstaat machen | |
Der [1][zukünftige US-Präsident Donald Trump] hat seine Bereitschaft | |
bekundet, mit Wladimir Putin ein Abkommen über die Ukraine zu verhandeln. | |
Auch von immer mehr „friedensbewegten“ Politikern in Europa wird eine | |
solche Lösung befürwortet. Doch nur Trump allein behauptet, er könne den | |
Krieg „in 24 Stunden“ beenden. | |
Seine Schnelllösung enthält zwar keine Einzelheiten. Wahrscheinlich ist | |
aber, dass der Deal, der Trump vorschwebt, darin besteht, dass Russland die | |
besetzten Gebiete in der Ukraine, einschließlich der Krim, behält. | |
Vermutlich gäbe es keine Sicherheitsgarantie für die Ukraine. Jedenfalls | |
scheint Trump zu glauben, dass Putin zu seinem Wort steht. Eine | |
[2][Rumpf-Ukraine] würde ihre Wunden lecken und weitermachen. Trump ist | |
nicht der einzige westliche Politiker, der sich auf diese Weise dem Thema | |
gern entledigen würde – und damit wäre die Sache vermutlich erledigt. | |
Für Europa ist diese Option ein No-Go: inakzeptabel wie undurchführbar. Zum | |
einen kommen die Ukrainer in diesem Szenario nur als machtlose Opfer eines | |
verlorenen Krieges vor. Offenbar glaubt Trump, dass dieses tapfere Volk | |
seine Niederlage stoisch hinnehmen wird, sobald es merkt, dass der Westen | |
es im Stich gelassen haben. Höchstwahrscheinlich bedeutet dies, dass | |
Russland die Ost- und Südukraine als sein Eigentum anerkennt und de facto | |
die Kontrolle über den Rest des Landes [3][sowie über Moldau] übernimmt. | |
Es besteht keinerlei Aussicht, dass die Ukrainer dem zustimmen werden, | |
selbst wenn die USA ihre Unterstützung zurückziehen. Seit 2014 hat dieses | |
Volk eine in Europa einzigartige Demokratie geschaffen. Das Engagement der | |
Bürger für das Ethos der EU ist so groß wie in keinem anderen Land des | |
Kontinents. Sie werden unter diesen Bedingungen nicht kapitulieren, obwohl | |
sie, wenn sie von Europa im Stich gelassen werden, die bürgerliche | |
Demokratie durchaus gegen eine weniger schmackhafte Ideologie eintauschen | |
könnten. So oder so wird der Krieg nicht, wie von Trump versprochen, in 24 | |
Stunden enden, sondern sich über Jahre in Osteuropa fortsetzen. | |
## Eine archaische Weltordnung | |
Dieses Szenario bedeutet auch, dass der kollektive Westen die | |
Errungenschaften des vergangenen Jahrzehnts aufgibt: zivile und | |
militärische Finanzierung, das diplomatische Engagement, die Versprechen an | |
die Ukraine und selbst die Idee der EU als Vertreterin der liberalen | |
Demokratie und des Nachkriegsfriedens. Die Glaubwürdigkeit des | |
transatlantischen Bündnisses steht auf dem Spiel und die Stunde der | |
Diktatoren wäre gekommen. Die Deutungshoheit würde den Putins, Trumps, | |
Orbáns und Xis gehören. Das Prinzip „Macht macht Recht“ würde das Prinzip | |
einer regelbasierten internationalen Ordnung ersetzen; es würde eine neue | |
Ära einleiten, in der Staatlichkeit, Staatsform und Staatsgrenzen das | |
alleinige Vorrecht der Mächtigsten sind. | |
Die Auswirkungen in Mittel- und Osteuropa wären verheerend – auch ohne eine | |
russische Invasion im Baltikum oder in Polen. Russland beabsichtigt wohl | |
nicht, das transatlantische Bündnis auf diese Weise zu bekämpfen, sondern | |
mit einer hybriden Kriegsführung, wie es sie schon seit über 15 Jahren | |
anwendet. Eine russische Präsenz entlang der gesamten baltischen, | |
polnischen, slowakischen und rumänischen Grenze würde es Putin ermöglichen, | |
seine Cyberangriffe, Desinformationen und Sabotage mit größerer Schlagkraft | |
einzusetzen und seine rechtsextremen Favoriten wie Orbáns Fidesz, die AfD | |
und RN zu stärken. | |
Die Reaktionen Polens, der baltischen Staaten sowie Rumäniens auf einen | |
Ausverkauf der Ukraine ist schwer vorherzusagen, aber es ist durchaus | |
denkbar, dass sie wütend mit dem Bündnis brechen und auf eigene Faust | |
zusammen mit den Ukrainern kämpfen. Nicht weniger als die Einheit der Nato | |
und der EU steht auf dem Spiel. | |
## Belarus-Modell für Ukraine, Georgien & Moldau | |
Es hat eine bittere Ironie, dass Putin selbst diese Art von Abkommen wohl | |
nicht akzeptieren würde – oder wenn doch, dann nur, um eine stärkere | |
Machtposition zu erlangen und dann sein Wort zu brechen, wie er es bei | |
internationalen Verträgen immer wieder tut. Da Russland dann der starke | |
Mann ist, fällt es schwer zu glauben, dass Putin sich auf Russlands | |
Schlachtfeldgewinne beschränken würde. Stattdessen würde er auch Anspruch | |
auf Charkiw, Saporischschja und Odessa erheben. (Letzteres würde ihm Moldau | |
einbringen.) | |
Putin führt diesen Krieg nicht wegen eines kleinen Teils der Ukraine: Er | |
will, dass sich die Ukraine, Georgien und Moldau ihm beugen und wie Belarus | |
ein russlandähnliches politisches System akzeptieren – oder die | |
Konsequenzen tragen. Sie gehören dann dem autoritären Lager an, das mit dem | |
degenerierten liberalen Westen im Clinch liegt. Diese Entscheidung können | |
sie selbst treffen, wie Belarus es getan hat, oder sie von Moskau treffen | |
lassen, so oder so. | |
Die Folgen dieses Szenarios für Europa sind erschütternd: 5 bis 10 | |
Millionen weitere ukrainische Flüchtlinge würden in die EU strömen. Die | |
Ukraine selbst würde dem Verfall überlassen und in eine gesetzlose | |
Mafiazone verwandelt, wie der Donbass, der seit 2014 unter russischer | |
Herrschaft steht. Sollte Russland die gesamte ukrainische Schwarzmeerküste | |
kontrollieren, wäre es der Herr über die Getreidelieferungen, die Hunderte | |
von Millionen Menschen ernähren, und hätte damit ein weiteres Druckmittel, | |
um den weichherzigen Westen zu erpressen. Russlands Position innerhalb der | |
Brics und anderer autoritärer antiwestlicher Bündnisse würde erheblich | |
gestärkt, ebenso wie im Nahen Osten und in Afrika. | |
Da keines dieser Szenarien für Europa akzeptabel ist, muss es die [4][USA | |
unter Trump] davon überzeugen, dass diese Lösung völlig falsch ist. Oder, | |
falls Washington sich weigert: Trump aus dem geopolitischen und | |
militärischen Kalkül mit Blick auf die Ukraine ausschließen. [5][Europa | |
wird dann auf sich allein gestellt sein] und zum ersten Mal in der | |
Nachkriegszeit sein Schicksal vollständig selbst in die Hand nehmen. | |
6 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Paul Hockenos | |
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