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# taz.de -- Neonazis feiern Sonnenwende: Hitlerjugend reloaded
> Die „Jungen Nationalisten“ werden in Niedersachsen aktiver. Selbst Kinder
> werden indoktriniert – wie am Wochenende bei einer Sonnenwendfeier in
> Eschede.
Eschede taz | Die Szenen wirken verstörend: In zwei Reihen marschieren die
Neonazis hintereinander her. Sie tragen Fackeln, zwei Trommler führen den
Zug an und geben den Takt vor. Die Männer tragen weiße Hemden,
Cordarbeitshosen und Gürtel mit Koppelschlössern, die Frauen Röcke in
gedeckt braunen Farben. Teilweise sind die Gesichter durch schwarze oder
schwarz-rot-goldene Sturmhauben verdeckt. Mittendrin: auch ein paar Kinder
im Kindergarten- und Grundschulalter sowie ein Rechtsterrorist.
Etwa 50 Teilnehmende aus ganz Deutschland sind am vergangenen Wochenende
ins niedersächsische Eschede zu einer Sonnenwendfeier gekommen. Organisiert
hatten das die Jungen Nationalisten (JN), die Parteijugendorganisation der
ehemaligen NPD, heute Die Heimat. Regelmäßig treffen sie sich auf dem
sogenannten Heimathof, der als bundesweites „Gemeinschafts- oder
Bildungszentrum“ fungieren soll.
Eigentlich wollen die Neonazis hier ungestört sein. Das Gelände liegt
abgeschieden zwischen Feldern am Rande eines Waldgebiets. Ein Zaun, der mit
Sichtschutz verdeckt ist, schirmt das Anwesen von der Größe eines
Fußballfelds ab. Mit Drohnen und einer Hebebühne gelang es dem
[1][Medienkollektiv Recherche Nord] dennoch, das Treffen am 15. Juni zu
dokumentieren. [2][Videos und Fotos der Veranstaltung liegen der taz
exklusiv vor].
Die Aufnahmen belegen, wie die JN bereits Kinder und Heranwachsende über
Rituale in nationalsozialistischer Tradition indoktrinieren: Minderjährige
marschieren mit in Reih und Glied und stehen neben den anderen mit Fackeln
im Kreis, als drei der Männer ein Lagerfeuer entzünden. Verbrannt wird ein
knapp vier Meter großes Holzkreuz in Form einer Algiz-Rune. Das Symbol
stand im Nationalsozialismus für die [3][SS-Organisation Lebensborn, die
auf Grundlage rassistischer Ideologie für mehr „arische“ Kinder sorgen
sollte]. Auch die Landknechtstrommeln, die die Neonazis bei ihrem Aufmarsch
nutzen, sind ein Erkennungszeichen der Hitlerjugend.
Am vergangenen Sonnabend ebenfalls in Eschede mit dabei: Manfred Börm. Er
war einst im Bundesvorstand der NPD. Börm, Jahrgang 1950, beteiligte sich
in den 1970er Jahren an Aktivitäten der rechtsterroristischen Neonazigruppe
Wehrsportgruppe Werwolf um den Neonazi-Anführer Michael Kühnen und [4][war
an einem Überfall auf den Nato-Truppenübungsplatz in Bergen-Hohne
beteiligt. Im sogenannten Bückeburger Prozess wurde Börm 1979 zu sieben
Jahren Haft verurteilt]. Als „Gauleiter“ führte er in Niedersachsen die
[5][Wiking-Jugend mit an, welche 1994 wegen „Wesensverwandtschaft“ zur
Hitlerjugend verboten] wurde. Seine Familienmitglieder waren in der später
ebenfalls verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend aktiv.
## Sonnenwendfeiern in Tradition des Nationalsozialismus
Sonnenwendfeiern wurden ab 1933 vor allem durch die Hitlerjugend und von
allen NS-Organisationen am längsten Tag des Jahres gefeiert. Mit dem Fest
erhofften sich die Nationalsozialisten eine Abkehr von christlichen
Traditionen, hin zu Ritualen im Sinne der völkischen
Blut-und-Boden-Ideologie. [6][Der Rückgriff auf die Mythologie des
Germanentums diente dabei als rassistischer Ausdruck einer vermeintlichen
Überlegenheit der „arischen Rasse“].
Der Termin, an dem sich Neonazis bis heute in der Tradition des NS zu
solchen Feiern zusammenrotten, wäre eigentlich erst an diesem Wochenende.
Doch in Eschede haben die Neonazis das Treffen vorgezogen, vermutlich weil
ein Bündnis für Sonnabend Protest angemeldet hat.
Wie die NPD, die sich 2023 in Die Heimat unbenannte, hat deren
Jugendorganisation JN seit dem Aufstieg der AfD politisch an Bedeutung
verloren, zumindest als Massenorganisation: Zur JN zählt der
Verfassungsschutz offiziell bundesweit nur noch 230 Mitglieder, in
Niedersachsen 15.
Gleichwohl können die JN weiterhin auf jahrzehntealte Strukturen
zurückgreifen. Gegründet 1969, vier Jahre nach der NPD, ist die
Organisation europaweit vernetzt, mit eigenem Versandhandel und Zugriff auf
eigene Immobilien.
## Alte Strukturen, neuer Einfluss
Die JN agieren heute als Elite- und Nachwuchsschmiede im vorpolitischen
Raum und nehmen Einfluss auf die gesamte rechtsextreme Szene bis hin zum
Nachwuchs der AfD. [7][Nachdem die Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) 2009
wegen der nationalsozialistischen Indoktrination von Kindern verboten
wurde], boten sich die JN den völkischen Kadern als Auffangbecken an.
Auch treten die JN teilweise in anderem Gewand auf: [8][Die Gruppe
„Elblandrevolte“ wird von ExpertInnen des Kulturbüros Sachsen als eine
Ortsgruppe der JN in Dresden verstanden]. Sie gründete sich erst Anfang
2024. Ein mutmaßliches Mitglied der Elblandrevolte verübte [9][im Mai einen
Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke, der dabei schwer
verletzt wurde].
Den JN gehe es wie der HDJ um die Herausbildung einer neuen
nationalsozialistischen Elite, sagt Lotta Kampmann von Recherche Nord. „Die
ideologische Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche im Rahmen
vorgeblicher unpolitischer Freizeitangebote gehört zum Programm.“ Das
Medienkollektiv, das die rechte Szene seit Jahren beobachtet, weiß von
Sonnenwendfeiern, sportlichen Wettkämpfen und paramilitärischen Übungen.
„Die Veranstaltungen dienen dazu, angeblich authentisches nationales
Kulturgut und nationalsozialistische Grundwerte zu vermitteln.“
Ihre Aktivitäten verlegten die JN dabei zunehmend nach Niedersachsen und
Schleswig-Holstein, erklärt Kampmann. Den Bundesvorsitz der Organisation
übernahm 2022 Sebastian Weigler, der lange im Raum Braunschweig aktiv war.
Neben ihm kommen weitere führende Aktivisten der JN aus dem norddeutschen
Raum.
## Vernetzung auch mit dem AfD-Nachwuchs
Wanderungen, an denen auch Aktivisten der AfD-Nachwuchsorganisation Junge
Alternative teilnahmen, aber auch Kongresse und Treffen der JN finden immer
häufiger in Norddeutschland statt.
Wichtiger Anlaufpunkt dabei: der Heimathof in Eschede. Er fungiert seit
Jahrzehnten als Rückzugsort der Neonaziszene, hier fanden
Rechtsrockkonzerte, Sonnenwendfeiern und Erntefeste statt, vor ihrem Verbot
hielt die HDJ hier ein Pfingstlager ab.
2019 kaufte die NPD die Immobilie und renovierte sie. An Pfingsten 2024
empfing die jetzige „Heimat“ nach eigenen Angaben über 100
Rechtsextremisten zu einem Europakongress in Eschede. Rechte aus Spanien,
Frankreich, England, Ungarn, Serbien, Griechenland und Bulgarien sollen zu
dem Zeltlager angereist sein.
Das niedersächsische Innenministerium erklärte auf Nachfrage der taz zu dem
Neonazi-Event, eine Beantwortung könne „voraussichtlich erst Anfang der
kommenden Woche erfolgen“. Die taz hatte unter anderem gefragt, welche
Erkenntnisse über die Aktivitäten der JN vorlägen und welche Bemühungen es
gebe, den Veranstaltungsort zu kontrollieren.
Gegen die Aktivitäten der JN und der NPD in Eschede ruft [10][ein breites
Bündnis für Samstag zu einer Demo auf]. Vom Bahnhof Eschede soll es ab 14
Uhr bis zum Hof der Rechten gehen. In dem Aufruf heißt es, man wolle ein
Zeichen dafür setzten, „dass die überwiegende Mehrheit unserer Gesellschaft
rechtsextremes Gedankengut unmissverständlich ablehnt.“
21 Jun 2024
## LINKS
[1] https://recherche-nord.com/
[2] https://youtu.be/Js5wPK55Vsw
[3] https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/284787/der-leb…
[4] /!521668/
[5] /!1534138/
[6] https://verfassungsschutz.hessen.de/sites/verfassungsschutz.hessen.de/files…
[7] /Schaeubles-Schlag-gegen-Rechtsextreme/!5165364
[8] https://kulturbuero-sachsen.de/einschaetzung-zu-der-gruppe-elblandrevolte/
[9] /Rechtsextreme-Attacke-auf-SPD-Politiker/!6009432
[10] https://www.netzwerk-suedheide-gegen-rechtsextremismus.de
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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