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# taz.de -- Neonazis feiern Sonnenwende: Ein Feuer wie beim Führer
> Rund 80 deutsche Neonazis feiern in Tschechien Sonnenwende, singen
> Hitlerjugend-Lieder und beschwören das „germanische Volk“. Auch AfD-nahe
> Politiker sind dabei. Die taz war vor Ort.
Bild: Sonnenwendfeier im tschechischen Višňová: Eltern und Kinder rufen „H…
Višňová (Tschechien) Als die Dunkelheit den Feuerplatz vollends umhüllt,
beginnt der Trommler mit seinen Schlägen. Ganz regelmäßig schallt das
Wummern durch die Nacht, es ist das Signal für die Frauen und Männer, ihre
Zeremonie zu beginnen. Mit Fackeln in den Händen schreiten sie zum Takt im
Kreis um einen Holzstapel, der sieben Meter in die Höhe ragt. Ganze
Baumstämme sind dafür spiralförmig aufgeschichtet.
Als sie das Feuer entzünden, zucken die Flammen haushoch in den Himmel, ihr
Schein erleuchtet die umliegenden Hügel und schimmert durch die
nahestehenden Baumwipfel. Es beginnt ein ekstatisches Treiben: Die Gruppe
fasst sich an den Händen und rennt um das Feuer – Frauen in Röcken in
gedeckten Farben und mit Blumenkränzen, Männer in Leinenhemden und Kränzen
aus Eichenlaub, ebenso zahlreiche Kinder, auch Kleinkinder, und solche im
Grundschulalter. Schneller und schneller wird ihr Tanz und ihr Gebrüll.
„Heil Sonnenwende“, schreien sie immer wieder durch die Nacht. „Heil
Sonnenwende“, rufen auch die Kinder hinterher.
Es ist Samstag, der 21. Juni 2025. Rund 80 Neonazis sind an diesem längsten
Tag des Jahres nach Višňová bei Frýdlant in Tschechien nahe der deutschen
und polnischen Grenze zusammengekommen, um die Sonnenwende zu feiern.
Sie treffen sich konspirativ, sind unter anderem aus der sächsischen
Oberlausitz über Polen nach Tschechien angereist, um unter sich zu bleiben.
Doch die taz ist dabei, kann die ganze Veranstaltung beobachten,
dokumentieren und später auswerten.
## Indoktrinierung und Vernetzung
Das Fest mit seinen Ritualen ist verstörend – und gefährlich: Kinder werden
in eine rassistische Ideologie eingewöhnt, während sich zugleich eine
politische Organisierung zeigt, die sonst im Hintergrund wirkt und einen
„Kulturkampf“ betreibt, um völkisches sowie nationalsozialistisches
Gedankengut fortleben zu lassen.
Es ist ein verschworener Kreis, mit Verbindungen auch zu mutmaßlichen
Rechtsterroristen. Nach taz-Informationen tritt die Organisationsstruktur
unter anderem unter dem unverfänglich-klingenden Namen „Kulturwerk
Oberlausitz“ auf und organisiert sich in geschlossenen
Social-Media-Gruppen.
Es sind Anhänger*innen einer rassistischen Volksgemeinschaft. Ihr
ideologisches Gift verbreiten sie im Alltag wohl dosiert, um es auf
Gemeindefesten oder Vereinstreffen zu normalisieren. Sie sind
Sozialpädagogen, Ingenieure, Lokalpolitiker, Architekten und Zahnärzte.
Die Sonnenwendfeier in Tschechien dient der internen ideologischen
Verfestigung: der politischen Indoktrinierung von Kindern, der
Radikalisierung junger Erwachsener und der strömungsübergreifenden
Vernetzung innerhalb der rechtsextremen Szene. Auch ein paar Gleichgesinnte
aus Tschechien sind dabei.
Unter den Teilnehmern finden sich auch deutsche Lokalpolitiker mit Nähe zur
AfD: Markus W., einst Mitglied der inzwischen aufgelösten
Nachwuchsorganisation Junge Alternative, Robert Thieme, der im Juni 2024
als parteiloser Kandidat für die AfD in den Zittauer Stadtrat antrat, sowie
Thomas Christgen, der über die AfD-Liste in den Stadtrat von Niesky gewählt
wurde, dort jedoch fraktions- und parteilos blieb.
Auf Nachfrage reagierten alle drei unterschiedlich – und dementierend: W.
wollte sich zu Fragen nicht äußern, ließ aber durch seinen Anwalt unter
anderem mitteilen, dass Sonnenwendfeiern zum „allgemeinen Brauchtum“
gehörten. Thieme wies in einer langen Antwort an die taz alle Vorwürfe
zurück, verbietet jedoch gleichzeitig, seine Ausführungen zu zitieren.
Christgen ließ Fragen der taz unbeantwortet.
## NS-Lieder und Schwüre aufs „Germanische Volk“
In dieser Nacht Mitte Juni werden die Teilnehmenden am Feuer auf die
„Ahnen“ schwören, auf das „Germanische Volk“ und dessen „Ewigkeit“…
„Heil der deutschen Jugend“ ausrufen. Gemeinsam singen sie auch Lieder des
Nationalsozialismus: „Die Fackel geht von Hand zu Hand“ des [1][NS-Dichters
Heinrich Anacker] sowie „[2][Nur der Freiheit gehört unser Leben“ von Hans
Baumann, welches dieser für die Hitlerjugend] schrieb.
Noch bevor das Feuer entfacht wird, stellt sich der Trommler an ein Pult
inmitten der Runde um den riesigen Holzstapel. Ein Mann in Kniebundhose und
Eichenlaubkranz auf dem Kopf tritt hervor. In der rechten Hand trägt er
eine Fackel, mit der linken umklammert er ein etwa ein Meter langes
Schwert, das ihm an der Seite im Ledergürtel steckt und dessen blanke
Scheide den Schein eines kleinen Lagerfeuers reflektiert, das bereits
entzündet ist.
Während der Mann um eine brennende Feuerschale herumschreitet, liest der
Trommler gedichtete Sprüche vor. Er sagt Verse wie: „Den Ahnen weihe ich
dieses Schwert, uns Enkeln war ihnen ihr Leben wert, im Schweiß für die
Tat, im Blut für den Streit, haben sie uns ein deutsches Leben gezeigt.“
So geht das über mehrere Stunden: Gedichte über Feuer, Wasser, Erde, Licht,
Schreittänze der Frauen, Schreittänze der Männer, Fackel-Kreise der
Kindern, Schwüre auf „des Volkes Ewigkeit“, den „Sieg des Lichts“, daf…
sich „niemals zu beugen“, „in Gedanken an unsere Brüder in Gefangenschaf…
und ein „Heil den Kameraden, die nicht unter uns stehen“.
Die taz hat das dokumentierte Material dieses Treffens den Experten Gideon
Botsch und Uwe Puschner vorgelegt. [3][Botsch ist Professor für
Politikwissenschaft und Leiter der „Emil Julius Gumbel Forschungsstelle
Antisemitismus und Rechtsextremismus“] an der Universität Potsdam,
[4][Puschner ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität
Berlin] und ein [5][Experte für die Völkische Bewegung]. Beide kommen zu
dem gleichen Ergebnis: „Die Sonnenwendfeier in Tschechien steht
unzweifelhaft in den Traditionen von völkischer Bewegung und
Nationalsozialismus“, erklärt Botsch. Puschner schließt sich dem an.
Solche Veranstaltungen seien laut Botsch „hochproblematisch und
gefährlich“, da sie der Sozialisierung junger Menschen in
völkisch-rassistische Lebenswelten dienten und dazu beitrügen, diese
Ideologie zu verfestigen. Ziel sei es, die Teilnehmenden auf ein
„kämpferisches Leben“ einzuschwören.
## Nähe zur verbotenen „Artgemeinschaft“
In Bezug auf die Sonnenwendfeier in Tschechien erkennt Botsch eine klare
ideologische Linie. Die dort gezeigten Rituale knüpften an die Praxis an,
wie sie einst der [6][Neonazi Jürgen Rieger] in der völkisch-rassistischen
Vereinigung „Artgemeinschaft“ entwickelt habe. Es gebe eindeutige Hinweise
auf eine Nähe der dokumentierten Feier zu dieser Gruppierung. Ein zentrales
Indiz dafür sei der verwendete Spruch „Heil Sonnenwende“, den Rieger laut
Botsch „explizit als Praxis eingeführt“ habe.
Tatsächlich haben Teilnehmer der Sonnenwendfeier in der Vergangenheit an
Treffen der „Artgemeinschaft“ teilgenommen.
Die Nähe der Sonnenwendfeier zur „Artgemeinschaft“ könnte juristisch
relevant sein: [7][Die „Artgemeinschaft“ wurde 2023 in Deutschland
verboten]. Laut [8][Bundesinnenministerium war sie eine sektenartige,
rassistische und antisemitische Vereinigung], die die Ideologie der
Rassenlehre und des Nationalsozialismus verbreitete, Kinder und Jugendliche
indoktrinierte und die ideologische Grundlage für weitere rechtsextreme
Organisationen wie die verbotene „Heimattreuen Deutschen Jugend“ bildete.
Vom Kreis um die Artgemeinschaft gab es Verbindungen in gewalttätige
Spektren, bis hin zum Rechtsterrorismus – etwa zum NSU und seinem Umfeld
[9][sowie zum Mörder von Walter Lübcke.]
Eine Weiterbetätigung im Sinne der „Artgemeinschaft“ wäre verboten.
## Polizei war in Tschechien nicht zu sehen
Doch am 21. Juni sind in Višňová weder tschechische noch deutsche
Sicherheitskräfte vor Ort zu sehen. Tschechische Behörden wollten der taz
dazu auf Anfrage keine näheren Angaben machen, der Bürgermeister der
Gemeinde antwortete nicht auf mehrfache Nachfrage. Das Bundesamt für
Verfassungsschutz äußerte sich nur allgemein zur Funktion von
Sonnenwendfeiern für die Vernetzung und innere Festigung der
rechtsextremistischen Szene und zur Indoktrination von Kindern.
Auch das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen wollte „aus
Geheimschutzgründen“ nicht viel Konkretes sagen, erklärte aber, dass sowohl
die Aktivitäten sächsischer Rechtsextremisten in Tschechien als auch das
„Kulturwerk Oberlausitz“ als Netzwerk bekannt seien.
Die Neonazis fühlen sich in Tschechien offenkundig unbeobachtet. Das merkt
man schon am Nachmittag vor der abendlichen Feuerzeremonie beim Gang über
das Gelände. Es ist von mehreren kleinen Wäldchen eingefasst und liegt auf
der tschechischen Seite nur ein paar Meter von der polnischen Grenze
entfernt hinter einem kleinen Hügel, der die Sicht zu den Wohnvierteln des
Dorfes Višňová verdeckt.
## Szenen wie aus der NS-Zeit
Tritt man aus dem Schatten der Bäume auf das lichte Feld, erinnert die
Szenerie an einen Historienfilm. Ein kleines Lagerfeuer raucht, Menschen in
Leinenhemden bereiten Essen vor. Auf der gemähten Wiese steht eine schwarze
Jurte, daneben ist in einem großen Festzelt eine Tafel aufgebaut. Männer in
weißen Leinenhemden und akkurat gezogenen Scheiteln schleppen
Blechbottiche, zwischen ihren Beinen toben Kinder in ledernen
Kniebundhosen.
Alles hier wirkt eingespielt. Der haushohe Feuerstapel ist zentral auf der
Wiese bereits aufgeschichtet. An allen vier Himmelsrichtungen ist jeweils
eine Feuerschale platziert, auch das Rednerpult steht schon bereit, sowie
zwei hölzerne Toilettenhäuschen und ein Tankanhänger voll Wasser.
Hinter dem Festzelt parken Busse und ein Wohnmobil. Die Kennzeichen sind
abgeklebt – so viel Vorsicht ließ man walten – obwohl die Ortskennungen
sichtbar blieben. So, als wollten die Teilnehmenden auch mit ihren
Nummernschildern zeigen, dass sie selbstverständlich Deutsche sind – in
einem Gebiet, das für die Neonazis bis heute zu Großdeutschland gehört.
Den Ort haben die Neonazis wohl nicht zufällig gewählt. Auf der Spitze des
nahen Hügels ragt eine markante Felsformation aus Rumburk-Granit in die
Höhe, [10][die „Pohanské Kameny“, die auf Deutsch „Heidensteine“ gena…
werden]. Sie sollen in vorchristlichen Zeiten als Kultstätte gedient haben.
Zur Sonnenwende scheint die untergehende Sonne hier durch ein Loch zwischen
den Felsen und in der Literatur wurden die Heidensteine bereits mit dem
englischen „Stonehenge“ verglichen – eine Referenz, die bei der völkisch…
Bewegung beliebt ist. Die mittlerweile verbotene Gruppe „Artgemeinschaft“
hatte ihre Zeitrechnung „nach Stonehenge“ ausgerichtet. [11][In einer ihrer
Schriften hieß das Erscheinungsdatum da zum Beispiel „3804 n.St.“].
An jenem Samstagnachmittag schallen Kommandos von den Felsen auf die Wiese
hinab. Jugendliche rennen den Hügel hinauf und betreiben eine Art
Geländespiel. Rundherum hocken Frauen in langen Kleidern im Wald und
flechten Haarkränze aus Wildblumen für das abendliche Spektakel.
## Der gleiche Kreis ehrte 2024 einen SS-Offizier
So anziehend der Ort in Tschechien wirken mag – für die völkische Szene ist
er nur ein Ausweichquartier. Im Jahr zuvor fand die gleiche Sonnenwendfeier
im sächsischen Strahwalde statt. [12][Auch dort war die taz vor Ort und
dokumentierte, wie AfD-Lokalpolitiker gemeinsam mit anderen Teilnehmenden
HJ-Lieder sangen und einen SS-Standartenführer ehrten].
Der Bericht sorgte für Aufmerksamkeit – nicht zuletzt, weil kurz darauf
zwei Teilnehmer, Kurt Hättasch und Kevin R., bei einer Razzia festgenommen
wurden. Beide sollen [13][zur rechtsterroristischen Gruppe „Sächsische
Separatisten“ gehören, die über scharfe Waffen verfügt, paramilitärische
Trainings absolviert und ethnische Säuberungen geplant haben soll].
Hättasch war bis zu seiner Festnahme AfD-Kreisvorstandsmitglied im
Landkreis Leipzig und Stadtrat in Grimma.
Die AfD reagierte mit einem Parteiausschlussverfahren – ebenso wie bei den
Mitgliedern, die die taz als Teilnehmer der Sonnenwendfeier in Strahwalde
nannte.
Vor allem Stephan Jurisch bemühte sich nach dem taz-Bericht um
Schadensbegrenzung. Er hatte in Strahwalde vor einem Jahr die
Sonnenwendfeier angemeldet, zu der das „Kulturwerk Oberlausitz“ eingeladen
hatte. Vor rund fünf Wochen in Tschechien war Jurisch wieder dabei. Er ist
zudem Bundesvorsitzender der [14][Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland,]
eines rechtsextremen Vereins, der mit dem sogenannten „Trauermarsch“ in
Dresden jahrelang eine der wichtigsten Neonazi-Demonstrationen Europas
organisierte.
Jurisch antwortete der taz ausführlich auf eine Anfrage, hat jedoch
verboten, daraus zu zitieren. Er weist alle Vorwürfe zurück.
## Verharmlosung und Propaganda
Im [15][November 2024 erschien in der Sächsischen Zeitung ein Artikel], in
dem Jurisch länglich seine Sicht der Dinge über die Sonnenwendfeier des
gleichen Kreises vor einem Jahr in Strahwalde darlegen durfte. Über deren
„politische Ausrichtung“ werde „diskutiert“, schreibt die Sächsische
Zeitung, obwohl der Verfassungsschutz die Sonnenwendfeier als
rechtsextremes Event sogar in seinem Jahresbericht erwähnte.
Laut dem Artikel streitet Jurisch ab, dass es sich um eine politische und
rechtsextreme oder mit NS-Elementen gestaltete Feier gehandelt habe. Es sei
eine „private Feier“ von Leuten gewesen, „die sich untereinander kennen�…
gleichwohl sei es für ihn „schwierig, alle Teilnehmer auf
Parteizugehörigkeit und politischer Vita zu prüfen“, wie er sagt. Er habe
mit der Sonnenwendfeier „keine politischen Ziele verfolgt“ und überhaupt
sei er „kein politischer Mensch“. Was für ihn allerdings klar sei: In
Strahwalde werde er keine Sonnenwendfeier mehr veranstalten. Ein Jahr
später steht er mit gebundenem Kopfschmuck auf der Wiese in Tschechien.
Wenige Tage nach dem taz-Bericht im letzten Jahr war vor Ort noch versucht
worden, alles als Missverständnis darzustellen. So veröffentlichte die
Initiative „[16][Zittau mit Zukunft“ Anfang August 2024 einen Film auf
Youtube], der erklären sollte, dass hier lokales Brauchtum und Heimatkultur
zu Unrecht diskreditiert wurden. „Zittau mit Zukunft“ gilt als
Pegida-Ableger und AfD-nah und ist vor Ort gut vernetzt. Von Zittau ist es
etwa eine Viertelstunde mit dem Auto nach Strahwalde. Robert Thieme, der
vergangenes Jahr für die AfD für den Stadtrat von Zittau kandidierte und
damals wie heute auf der Sonnenwendfeier dabei war, trat in Videos von
„Zittau mit Zukunft“ mehrfach bei Aktionen auf. Thieme widerspricht dieser
Darstellung.
In dem Film, der bis heute 8.000 Mal aufgerufen wurde, spricht eine
Moderatorin von einer privaten Sonnenwendfeier, die „auf traditionelle
Weise“ stattgefunden habe und „ein sehr schönes Familienfest“ gewesen sei
und interviewt Anwohner*innen und Amateurhistoriker*innen, die ihr
zustimmen.
Das Video ist Zeugnis dafür, wie rechtes Framing vor Ort funktioniert.
Sonnenwendfeiern mit HJ-Liedern werden da zu einer harmlosen Familienfeier
und „traditionellem Brauchtum“. Die Propaganda verfängt.
## Blut-und-Boden-Ideologie in hipper Optik
Ein ähnliches Versteckspiel betreibt die „[17][Wanderjugend Oberlausitz]“
in der Gegend für ein jüngeres Publikum auf ihrem Instagram-Account. Die
Gruppe ist nach taz-Informationen eng mit dem „Kulturwerk Oberlausitz“
verbunden, das hinter der Sonnenwendfeier in Tschechien steht.
Mindestens drei ihrer Mitglieder waren am 21. Juni in Višňová dabei.
Seit 2020 teilen die jungen Männern der Wanderjugend Fotostorys und Reels
über ihre Ausflüge in die Sächsische und Böhmische Schweiz mit
Lederrucksäcken, Scheitelfrisur und Gitarre. Es geht um „Erkundung in
unserer schönen Heimat“, schreiben sie ihren 1.500 Followern.
Hinter der Lagerfeuerromantik verbirgt sich knallharte
Blut-und-Boden-Ideologie. Aktivisten der Wanderjugend sind seit Jahren
international mit der militanten Neonazi-Szene verbandelt, kämpften
mehrfach auf rechtsextremen Kampfsportevents wie dem mittlerweile
verbotenen „Kampf der Nibelungen“, marschierten auf NPD-Demos, zu Ehren
Adolf Hitlers, und reisten auf [18][Neonazi-Treffen nach Budapest].
Die vordergründig unverfängliche „Brauchtumspflege“ und vermeintliche
Verbundenheit zu Heimat und Kultur nutzt die Wanderjugend ebenso wie das
„Kulturwerk“ als ideologische Einstiegsdroge.
## Rechte Familie im Dorfleben fest verankert
Wie diese Akzeptanzgewinnung für völkische und NS-Ideologie im Alltag
funktioniert, lässt sich auch an mehreren Generationen der Familie Heyne
beobachten. Mike Heyne, seine Frau Kathrin, ihr Sohn L.* und ihre Tochter
S.* waren gemeinsam in Tschechien auf der Sonnenwendfeier.
Die Liste der rechtsextremen Aktivitäten der Heynes ist lang. Die Eltern
Mike und Kathrin waren schon vor über 20 Jahren auf einer Tagung der heute
verbotenen völkischen „Artgemeinschaft“ und blieben seitdem der Szene
verbunden. Mike engagierte sich jahrelang als Ordner auf dem rechtsextremen
Trauermarsch in Dresden und besuchte 2019 mit seiner Tochter S. das
[19][rechtsextreme Kampfsportevent „Tiwaz“]. Erst im August 2024
protestierten Mike und Kathrin gemeinsam auf einer Demo der Neonazi-Partei
III. Weg gegen eine CSD-Parade in Zeitz.
Sohn L.* ist mit der „[20][Nationalrevolutionären Jugend]“ unterwegs, der
Nachwuchsgruppe des III. Weg, [21][die hinter einigen gewaltsamen Angriffen
vermutet wird, die in den letzten Monaten in Ostdeutschland stattfanden].
In den sozialen Medien macht er seine Wertschätzung des Nationalsozialismus
deutlich.
All das scheint in ihrem Wohnort in Droyßig in Sachsen-Anhalt allerdings
nicht groß zu stören. Im Gegenteil: Mike und Kathrin Heyne sind eingebunden
ins Gemeindeleben. Droyßig liegt im Burgenlandkreis und hat unter 2.000
Einwohner*innen. [22][Bei der Bundestagswahl erreichte die AfD hier knapp
40 Prozent und damit die mit Abstand meisten Stimmen.]
Mike und Kathrin Heyne engagieren sich hier im „Kulturverein Gemeinde
Droyßig“, der seit 2017 die „Heimatpflege und das traditionelle Brauchtum
fördern“ will und dabei Ostereiersuche und Seifenkistenrennen veranstaltet.
Eine der Hauptattraktionen in Droyßig ist das jährliche „Maibaumsetzen“.
[23][Mike Heyne führte als „Maibaumrichter“ jahrelang die Regie], Kathrin
Heyne lieferte selbstgebundene Kränze und eine weitere Heyne-Tochter
spielte dazu schon mal Akkordeon. Bei allem half die Ortsfeuerwehr.
All das lässt sich in Berichten des Amtsblattes der Gemeinde nachlesen.
2018 führt Mike Heyne eine „Einheitskleidung“ für die Maibaumburschen ein,
welche „offensichtlich gut ankam“, wie er selbst im Amtsblatt lobt.
[24][Wenige Monate später nimmt er am Festival „Rock gegen Überfremdung“ …
Apolda] teil.
Weder Mike noch Kathrin Heyne oder ihre Kinder L* und S* Heyne reagierten
auf Anfragen der taz.
## Kinder wachsen in völkischer Gedankenwelt auf
Wer wie Heynes Sohn L* oder Tochter S* aufwächst, hat ohne Intervention von
außen kaum eine Chance, der rechtsextremen Ideologie zu entkommen. Sie
sehen, wie Vater und Mutter in der Gemeinde akzeptiert sind, erleben
rechtsextreme Events und wachsen in einem völkischen Kultglauben auf.
So, wie auf der Sonnenwendfeier in Tschechien.
Die Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke warnt davor, dieses Problem zu
unterschätzen: „Wir wundern uns, wenn Kinder und Jugendliche aggressiv in
Nazi-Kleidung durch die Straßen ziehen, schauen aber weg, wenn sie zu
Tausenden im Hintergrund von fanatischen Eltern bei Brauchtumsfeiern genau
dazu geschult werden“, sagt sie der taz.
Röpke ist Autorin des [25][Buches „Völkische Landnahme“] und befasst sich
seit vielen Jahren mit der Szene. Der Nachwuchs lerne durch die Eltern eine
hasserfüllte Erlebniswelt kennen – und niemand interveniere. Aus Sicht
Röpkes müssten nicht zuletzt Jugendämter und Polizei besser geschult
werden. „Völkische Ideologie ist der Kern des Rechtsextremismus, völkische
Kulturarbeit dient dazu, ein antidemokratisches Stimmungsbild zu erzeugen“,
sagt Röpke. „Das dürfen wir nicht zulassen.“
Sie haben Informationen für das Investigativ-Team der taz? Sie erreichen
uns auch persönlich: [26][taz.de/investigativ]
31 Jul 2025
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Anacker
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Nur_der_Freiheit_geh%C3%B6rt_unser_Leben_(Lie…
[3] https://www.mmz-potsdam.de/team/gideon-botsch
[4] https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/fmi/institut/mitglieder/Ausserplanmaes…
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Uwe_Puschner
[6] /Tod-des-NPD-Vize-Juergen-Rieger/!5153402
[7] /Rechtsextreme-Artgemeinschaft-verboten/!5962927
[8] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/09/verbot-ag2…
[9] /Mordfall-Walter-Luebcke/!5603834
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Pohansk%C3%A9_kameny
[11] /Im-Jahr-3800-n-St/!1213309/
[12] /Rechtsextreme-Netzwerke-in-Sachsen/!6021990
[13] /Rechtsextreme-Saechsische-Separatisten/!6045443
[14] https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/5007…
[15] https://www.saechsische.de/lokales/goerlitz-lk/loebau/saechsische-separati…
[16] https://www.youtube.com/watch?v=5ItcZsXDomw
[17] https://rosainfo.noblogs.org/wanderjugend-oberlausitz/
[18] /Antifa-Aktivist-ueber-Nazi-Treffen/!5987563
[19] /Rechtsextremer-Kampfsport/!5589008
[20] /Innenministerium-zu-Jungnazi-Gruppen/!6089427
[21] /Nach-Angriff-auf-Fest-in-Bad-Freienwalde/!6091710
[22] https://wahlergebnisse.sachsen-anhalt.de/wahlen/bt25/erg/gem/bt.15084115.e…
[23] https://www.vgem-dzf.de/de/datei/anzeigen/id/7698,1236/mai_2017.pdf
[24] /Rechtsrockveranstaltung-in-Apolda/!5541860
[25] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=244870
[26] /investigativ/
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
Johannes Grunert
Nils Lenthe
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