Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Schau „Kyiv Perenniale“ in Berlin: Leere Vitrinen und Scher…
> Mit der Komplexität des Krieges setzen sich die Künstler:innen der
> „Kyiv Perenniale“ in Berlin auseinander. Es geht auch um kulturelles
> Erbe.
Bild: In „The Battle Over Mazepa“ von Mykola Ridnyi geht um verschiedene …
Die Scherben eines ehemaligen Kronleuchters aus Glasröhren liegen auf dem
Boden des Ausstellungsraums der ngbk am Alexanderplatz. Wie schnell
zusammengefegte großkalibrige Patronenhülsen. Es ist das Werk „Salute“ des
ukrainischen Künstlers Danylo Halkin, das hier im Rahmen der Ausstellung
„Kyiv Perenniale“ zu sehen ist. Der erste Gedanke: Dieser beschissene
Krieg. Er zerstört alles.
Den Scherbenhaufen haben aber keine russischen Bomben verursacht. Demoliert
wurde der Kronleuchter mit der Legitimation des ukrainischen Staates 2021,
also noch vor der russischen Großoffensive, um die Spuren der
Sowjetherrschaft in der Ukraine zu beseitigen. Das Werk steht exemplarisch
für die große Stärke der „Kyiv Perenniale“, einer weiteren Ausgabe der
[1][„Kyiv Biennale 2023“], die bereits in mehreren Städten der Ukraine und
der EU Station gemacht hat: Sie zeigt die Komplexität dieses Krieges,
seiner Hintergründe und Auswirkungen. Und das mit großer Dringlichkeit,
Originalität und Offenheit.
Danylo Halkin ist Mitglied der ukrainischen Künstlergruppe De Ne De, die
mit mehreren Arbeiten in der Ausstellung vertreten ist. Sie sieht es als
ihre Aufgabe an, den Einfluss der Sowjetzeit auf das Geschichtsverständnis
der heutigen Ukraine zu dokumentieren. Ein Jahr nach der proeuropäischen
Maidan-Revolution wurden die sogenannten Dekommunisierungsgesetze in der
Ukraine erlassen, mit dem Ziel, Zeichen der sowjetischen Herrschaft zu
entfernen. Seitdem wurden immer wieder Denkmäler, öffentliche Plätze oder
Gebäude aus der Sowjetzeit zerstört. Auch das im Stil der sozialistischen
Moderne erbaute und 1976 eröffnete Kino Salyut in Dnipro wurde 2021
abgerissen. Der in der ngkb gezeigte, zerbrochene Kronleuchter war Teil
seiner Innenausstattung.
Die Bewahrung dieses Teils des kulturellen Erbes der Ukraine mag aus
heutiger Sicht befremdlich wirken „und ist momentan in der Ukraine
wahrscheinlich nicht besonders populär“, sagt Vasyl Cherepanyn, der
künstlerische Leiter der Kyiv Biennale. Dennoch sei es wichtig, diese
Fragen nach der ukrainischen Geschichte zu stellen. Zum Beispiel, um
ideologisierte Erzählungen zu entlarven, bevor sie sich verselbstständigen.
## Die Freiheit, Fragen zu stellen
Eine Arbeit, die vielleicht auch den Deutschen helfen kann, ihren Blick auf
die Ukraine zu schärfen. „Osteuropa wird in Deutschland häufig nach wie vor
nur als Russland wahrgenommen“, sagte die Osteuropa-Historikerin Franziska
Davies auf dem Panel „Decolonizing Eastern Europe“ am Samstagabend. Dass
die „Kyiv Perenniale die Freiheit hat, solche Fragen zu stellen, liegt wohl
auch an ihrer Organisationsstruktur. „Wir sind kein staatlicher Akteur“,
sagt Cherepanyn. Vielmehr handele es sich um eine zivilgesellschaftliche
Initiative, die „von ganz unten nach oben geht“. Ein wesentlicher
Unterschied zu den meisten anderen Biennalen und Triennalen weltweit.
In Berlin wird die Ausstellung in der ngbk am Alexanderplatz und in
Hellersdorf, in dem von Wolfgang Tillmans initiierten Kunstraum „Between
Bridges“ und ab Juni 2024 in der Prater Galerie gezeigt. Begleitet wird sie
von einem Poster-Projekt im öffentlichen Raum und einem exzellent
zusammengestelltem Begleitprogramm.
Die Wirkung historischer Narrative hinterfragt auch die Videoarbeit „The
Battle Over Mazepa“ von Mykola Ridnyi im „Between Bridges“. Sie lässt
Hip-Hopper mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen in einem
Rap-Battle gegeneinander antreten, für den Texte von [2][Lord Byron] und
Alexander Puschkin die Vorlagen liefern.
Jeder der Rapper vertritt damit eine andere poetische Sicht auf den
legendären Iwan Masepa, der im 17. Jahrhundert Heeresführer der
ukrainischen [3][Saporoger Kosaken] war. Er wird entweder wie in einem
Gedicht von Lord Byron romantisch verklärt. Oder wie in einer Darstellung
von Alexander Puschkin als Verräter gebrandmarkt. Plötzlich liegen
Sympathie und Antipathie für eine historische Figur nur noch eine clevere
Verszeile auseinander.
Einen Raum weiter läuft die Videoarbeit „Explosions Near the Museum“ von
Roman Khimei und Yarema Malashchuk. Ende Oktober 2022 haben russische
Besatzer das [4][Museum für Lokalgeschichte in der südukrainischen Stadt
Cherson geplündert,] kurz bevor sie vertrieben wurden.
Die Kamera wandert in dem Museum langsam von leeren Sockeln über leere
Glasvitrinen zu leeren Halterungen an der Wand. Dazu erzählt eine Stimme in
ruhigem Ton, welche Exponate hier wieder ausgestellt werden. Irgendwann.
Wenn sie wiedergefunden wurden. Im Off sind die Einschläge von Granaten zu
hören. Eine poetische, eine bittere, eine zuversichtliche Arbeit –
entstanden mitten im Krieg.
Es ist ein zwiespältiges Gefühl, das diese „Kyiv Perenniale“ hinterlässt.
Niederschmetternd und hoffnungsfroh zugleich. Vielleicht genauso, wie sich
das Leben in der Ukraine derzeit anfühlen mag.
18 Mar 2024
## LINKS
[1] /Kuratoren-ueber-Kunst-im-Krieg/!5966018
[2] /Fabian-Hinrichs-inszeniert-in-Berlin/!5927339
[3] /Kosaken-in-der-Ukraine/!5862753
[4] /Cherson-nach-der-russischen-Besatzung/!5895009
## AUTOREN
Verena Harzer
## TAGS
zeitgenössische Kunst
Politische Kunst
Kunst
Ukraine
Geschichte
Biennale
Berlin Ausstellung
Flussbad Berlin
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Jugoslawien
Nachruf
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Berlinale
Odessa
Exilkunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausstellung Queere Kunst aus Ghana: Kunst als Kampf
Über den Zorn und das Anlegen der zweiten Haut: In der nGbK erzählt die
Ausstellung „Activist Choreographies of Care“ queere Geschichten aus Ghana.
Kunstauktion fürs Flussbad Berlin: Für mehr urbane Lässigkeit
Einfach in die Spree springen? Die Initiative für ein Flussbad Berlin hat
dafür Kunstwerke versteigern und etwas Stadtpolitik durchscheinen lassen.
Kuratorin über Kulturarbeit im Krieg: „Museen stärken die Demokratie“
Die Stiftung Obmin vernetzt ukrainische Museen. Ihre Geschäftsführerin
Małgorzata Ławrowska-von Thadden weiß, was Kulturarbeit im Krieg bedeutet.
Ausstellung in der ngbk: Die ewige Peripherie
„Gastarbeiter 2.0 – Arbeit Means Rad“: Künstler*innen aus den
Nachfolgestaaten Jugoslawiens widmen sich in der ngbK Arbeit, Klasse und
Migration.
Nachruf auf Richard Serra: Das Erhabene und der Rost
Seine Skulpturen verändern den Maßstab der Wahrnehmung. Der Schöpfer großer
Skulpturen aus Stahl und Eisen ist gestorben.
Ausstellung von Lada Nakonechna: Landschaften ohne Himmel
Ist den Bildern zu trauen? In ihrer Ausstellung bei Eigen + Art versucht
die ukrainische Künstlerin Lada Nakonechna den Krieg visuell darzustellen.
Berlinale-Filme über den Ukrainekrieg: Roaming im Kriegsgebiet
Wie spricht man im zweiten Jahr über den Krieg in der Ukraine? Der Film
„Redaktsiya“ und die Doku „Intercepted“ wählen verschiedene Wege.
Gemälde aus Odessa in Berlin: Kunstwerke im Zeitalter des Kriegs
In der Berliner Gemäldegalerie sind Bilder aus dem Museum für westliche und
östliche Kunst in Odessa zu sehen: aus Solidarität mit der Ukraine.
Kuratoren über Kunst im Krieg: „Wir können nicht alles retten“
Die Kyiv-Biennale 2023 geht ins Exil, auch nach Polen. Wie zeigen
Kunsthäuser im lang PiS-regierten Land Solidarität mit der ukrainischen
Kulturszene?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.