Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung in der ngbk: Die ewige Peripherie
> „Gastarbeiter 2.0 – Arbeit Means Rad“: Künstler*innen aus den
> Nachfolgestaaten Jugoslawiens widmen sich in der ngbK Arbeit, Klasse und
> Migration.
Bild: Die Mühen der Anpassung: Bojan Stojčić, „Die Deutsche Turnkunst“ (…
Der Balkan ist für Westeuropa nicht nur ein Raum für klischeehafte
Assoziationen (rückständig, unzivilisiert, primitiv etc.), sondern auch ein
Raum, den es wirtschaftlich und politisch zu kontrollieren gilt. Die
Autorin Tanja Petrović spricht in ihrem Buch „Yuropa“ von kolonialen
Verhältnissen, von einem Macht- und Arroganzgefälle zwischen Zentrum und
Peripherie.
Das westliche Europa lockt südosteuropäische Staaten in die EU, es diktiert
die Regeln, erschließt neue Absatzmärkte und zieht Arbeitskräfte ab, wobei
diesen nicht viel mehr geboten wird als niedrige Löhne und prekäre
Arbeitsbedingungen.
Die Ausstellung „Gastarbeiter 2.0 – Arbeit Means Rad“ in der neuen
Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) widmet sich diesem [1][Komplex aus
Migration, Arbeit und historisch gewachsenen Abhängigkeiten]. Die
Übersetzung im Titel („Rad“ bedeutet „Arbeit“) dürfte sich nicht an
sogenannte Gastarbeiter*innen selbst richten, deutsche Begriffe wie
„Arbeit“ oder „Baustelle“ [2][in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens] wer…
landläufig verstanden, was auf eine lange Geschichte der Arbeitsmigration
verweist.
Insbesondere in den späten 1960er und 1970er Jahren migrierten viele
Menschen aus Jugoslawien nach Deutschland. Die Wirtschaft benötigte zu
dieser Zeit Arbeitskräfte in der Industrie, im Bergbau und im Bauwesen.
Auch heute arbeiten Menschen aus dem postjugoslawischen Raum und Albanien
in Deutschland vor allem in Bereichen, die mit harter körperlicher Arbeit
und wenig Geld verbunden sind.
## Erscheinungsformen migrantischer Arbeit
Die Künstlerin Nikoleta Marković nimmt in der auf einem Comic basierenden
Videoarbeit „Daily Struggles“ die Bauarbeiter, die sie vor ihrer Berliner
Wohnung beobachtet, zum Anlass, über Erscheinungsformen migrantischer
Arbeit und die eigene soziale Position nachzudenken. Im Unterschied dazu
setzt der Künstler Siniša Labrović am Potenzial des eigenen Körpers an.
In der Performance „Work on Yourself“, deren Aufzeichnung zu sehen ist,
stellt er berühmte Figuren der Kunstgeschichte nach – den gekreuzigten
Christus, den Diskuswerfer von Myron –, gymnastische Übungen leitet er aus
ihnen ab, um die kräftetzehrenden Anforderungen an das arbeitende Selbst zu
verdeutlichen. Nebenbei stellt er, mit Hammer und Sichel in der Hand,
Parallelen zwischen Fitnessstudio und Bergwerk, zwischen kapitalistischer
und sozialistischer Körperkonditionierung her.
Von Körpern und deren Arbeitsleistung handelt auch die Videoinstallation
„Die Deutsche Turnkunst“ von Bojan Stojčić, wenn auch im übertragenen
Sinne. Sie zeigt, wie die Mühen der Anpassung für die Eingewanderten zu
einer endlosen (und teilweise absurden) Tortur werden können, ohne dass
ihre Leistungen gesehen oder mit einem Gefühl von Zugehörigkeit belohnt
würden.
Auch Jelena Vukmanović verhandelt den unsicheren Status von Migrant*innen.
In ihrer Arbeit „Oktober 2020 – März 2024“ hängt sie 100 Briefumschläg…
die Wand, die ihr von Ämtern zugesandt wurden, auf diese Weise macht sie
den bürokratischen, zähen Prozess hinter der Migration greifbar.
## Menschen fliehen vor kapitalistischen Zumutungen
Menschen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kroatien,
Montenegro, Kosovo, Nordmazedonien und Slowenien migrieren aus
verschiedenen Gründen weiterhin nach Deutschland. Auch wenn die Zahlen
heute andere sind als zur Zeit der Anwerbeabkommen und sich die
Verhältnisse in den Heimatländern radikal gewandelt haben – so fliehen die
Menschen heute nicht vor sozialistischen, sondern vor kapitalistischen
Zumutungen –, lassen sich Kontinuitäten in der Verrichtung von und in der
Subjektivierung durch Arbeit feststellen.
So eine Prämisse der Ausstellung. Ihr Fokus liegt weniger auf kontextuellen
Erläuterungen oder der Veränderung von Arbeitswelten im Laufe der Zeit (wie
der Titel vermuten lassen könnte), vielmehr bietet sie Raum für einzelne
künstlerisch-biografische Positionen mit spezifischen Erfahrungen im
Spannungsfeld aus Arbeit, Klasse und Migration.
Zur „Gastarbeit 2.0“ kann so auch die Arbeit von Künstler*innen selbst
gezählt werden, die ähnlichen Mechanismen der Unterordnung und Ausbeutung
unterworfen sein kann. Alltägliche Formen von migrantischer Arbeit in
Landwirtschaft, Gesundheitswesen oder im Dienstleitungssektor bleiben
jedoch merkwürdig unsichtbar.
Die (post)jugoslawische und albanische Einwanderungsgeschichte ist nicht
nur ein wichtiger Bestandteil der deutschen Migrationsgeschichte; die
komplexen Verhältnisse dauern, wenn auch unter anderen Vorzeichen, bis
heute an. Um diese oft unbemerkten Verbindungen zu entdecken, bietet die
Ausstellung „Gastarbeiter 2.0 – Arbeit Means Rad“, einen Ausgangspunkt.
13 May 2024
## LINKS
[1] /Kunst-und-Einwanderung/!6008419
[2] /Eroeffnung-6-Herbstsalon-im-Gorki/!5960981
## AUTOREN
Ilija Matusko
## TAGS
Jugoslawien
Gastarbeiter
Berlin Ausstellung
Ausstellung
Kosovo
Albanien
Serbien
Berlin Ausstellung
Ausstellung
zeitgenössische Kunst
Kunstbetrieb
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausstellung Queere Kunst aus Ghana: Kunst als Kampf
Über den Zorn und das Anlegen der zweiten Haut: In der nGbK erzählt die
Ausstellung „Activist Choreographies of Care“ queere Geschichten aus Ghana.
Wiederentdeckte Künstlerin Katalin Ladik: Wo das O um die Ecke biegt
Das Ludwig Forum Aachen stellt die Künstlerin Katalin Ladik aus Novi Sad
vor. Mit ihrer Selbstbestimmtheit eckte sie an im ehemaligen Jugoslawien.
Die Schau „Kyiv Perenniale“ in Berlin: Leere Vitrinen und Scherbenhaufen
Mit der Komplexität des Krieges setzen sich die Künstler:innen der „Kyiv
Perenniale“ in Berlin auseinander. Es geht auch um kulturelles Erbe.
Kreuzberger Institutionen: Eingerichtet in der Zwischenmiete
Weil die Mietverträge ausliefen, ziehen NGBK und Werkbund-Archiv von
Kreuzberg nach Mitte. Allerdings sind die neuen Räume auch nicht dauerhaft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.