# taz.de -- Kunst und Einwanderung: Vom Rand aus gesehen | |
> „There is no there there“ im MMK in Frankfurt am Main versammelt 30 | |
> Kunstschaffende mit Migrationshintergrund. Sie haben viel zu erzählen. | |
Bild: Woher kommt die Gurke noch mal? Vlassis Caniaris, „Sliced Cucumber“, … | |
Das neue Vokabular in der fremden Sprache ist recht spezifisch: | |
Mülltrennung, Besuchsordnung, Einweisungsschein. Nachts kommt der | |
Hausmeister in die Zimmer der Eheleute und schaut, ob alles seine | |
Richtigkeit hat. Das ist ungünstig für die Arbeiterinnen: „Wir müssen ja | |
früh aufstehen!“ Želimir Žilniks grandioser Film „Hausordnung“ jonglie… | |
zwischen Vignetten, die sich der Wohnsituation von Gastarbeiterinnen und | |
Gastarbeitern in der BRD anno 1976 widmen. | |
Obwohl „There is no there there“ im Museum für Moderne Kunst (MMK) | |
Frankfurt keine Schau über Gastarbeiter ist, handelt sie bisweilen von | |
deren Lebensverhältnissen. Wohl weil ihre Künstlerinnen und Künstler selbst | |
oft am Rand stehend auf das neue Land blickten. | |
Kurator Gürsoy Doğtaş und MMK-Direktorin Susanne Pfeffer präsentieren 30 | |
Künstlerinnen und Künstler, die durch Anwerbeabkommen, Residenzen oder | |
Kunststudium nach Deutschland gekommen waren – und einige auch als | |
künstlerisch tätige ArbeiterInnen. | |
Doğtaş hatte ein schlichtes Anliegen: Er wollte jene aufspüren, die im | |
Curriculum der nachkriegsdeutschen Kunstgeschichte nicht vorkamen. Das | |
unterscheidet diese bemerkenswert von anderen Ausstellungen zum Thema, die | |
eher didaktische oder historische Ansätze verfolgen – oder sich gar nicht | |
erst auf die Kunst jener, [1][von der sie eigentlich handeln wollen, | |
einlassen]. | |
Zugehörigkeit und Ausschluss | |
Das mag symptomatisch sein für den deutschen Ausstellungsbetrieb, [2][der | |
zwar regelmäßig US-amerikanischen Rassismus thematisiert], aber noch immer | |
weniger Begriff davon zu haben scheint, wie Zugehörigkeit und Ausschluss in | |
BRD, [3][DDR und auch davor konkret funktionierten]. | |
Zu sehen gibt es starke und zum Teil noch nie gezeigte Arbeiten, die | |
ikonische Museumsarchitektur des MMK nehmen sie unerschrocken ein. Ihre | |
Künstlerinnen und Künstler zeigen sich dennoch fast rührend bescheiden. | |
„Ich bin kein politischer Künstler“, erklärt der in Iran geborene Maler | |
Akhbar Bekalam (*1944) beim Eröffnungsrundgang. Gleichwohl hielt das | |
Politische Einzug in seine Bilder: „Erst der Schah, dann die Ajatollahs“, | |
kommentiert er sein damaliges motivisches Interesse an politischen | |
Repressionen. Auf Bekalams Ölmalereien scheinen die Figuren geradezu aus | |
dem Bild herauszudrängen. | |
Fast jeder Raum des postmodernen Hans-Hollein-Baus ist eine | |
Mikro-Inszenierung in sich. Ganz in Türkis getaucht der spitz zulaufende | |
Bug, vor dem Serpil Yeters (*1956) und Hanefi Yeters (*1947) Malereien | |
migrantischer Alltagsszenerien aus dem Westberlin der 1970er Jahre | |
aufleuchten. Andere Kabinette zeigen Skulpturen, Textilarbeiten, | |
Siebdrucke, Wandgemälde oder weitere Filme. | |
Kunst, die für sich steht | |
Auch wenn die Biografie selbstredend eine Rolle bei der Auswahl spielte, | |
geht die Schau vom Werk aus und schaut, welche Erzählungen sich aus ihm | |
heraus ergeben. Die ausgewählte Kunst soll offenkundig für sich stehen, | |
nicht als [4][Staffage zur Illustrierung einer gut gemeinten kuratorischen | |
Absicht]. | |
In der Gesamtheit manifestieren sich so eigensinnige, einander durchaus | |
widerstrebende, in alle Richtungen ausschwirrende Utopien wie auch | |
Desillusionierungen. Von einem Ort, der Fremde heißt oder neue Heimat, | |
wobei jene Begriffe, wie der Ausstellungstitel nahelegt, durchaus | |
transformieren können. | |
Während einige rasch ernüchtert waren von der neuen Lebensrealität, empfand | |
mancher wie Želimir Žilnik Deutschland damals zumindest künstlerisch als | |
„sehr, sehr offen“. Was seinen kritischen Blick auf Missstände gerade nicht | |
entschärfte. Wieder andere suchten pragmatisch einen Ort, um weiter der | |
Kunst nachgehen zu können. | |
Gerade die südamerikanischen Künstlerinnen und Künstler richteten ihren | |
Blick verstärkt auf die politischen Zustände in den autoritär geführten | |
Ländern, aus denen sie nach Deutschland kamen. Bisweilen in den | |
Realsozialismus: das war „kein Geschenk der DDR“, betont die Malerin und | |
Bildhauerin Manuela Sambo (*1964), in Angola geboren, sondern „in harten | |
Devisen bezahlt“. Die Schau zeigt Kunst aus BRD und DDR unterschiedslos | |
gemeinsam, als ebenbürtigen Teil der Geschichte des heutigen Deutschlands. | |
Ins geografisch Konkrete führt Drago Trumbetaš (1937–2018): Der Kroate war | |
nach erfolgloser Bewerbung um ein Künstlerstipendium als Drucksetzer nach | |
Frankfurt gekommen. Seine fein gezeichneten Beobachtungen des Alltags am | |
Main zwischen Arbeitskampf und Ausländeramt bersten vor schwarzem Humor, | |
der mal zart, mal derb eingesetzt wird. | |
Auf dem Weg hinaus geht es dann noch einmal vorbei an den gespenstischen | |
Figuren des griechischen Künstlers Vlassis Caniaris (1928–2011), die | |
zwischen Ansammlungen bundesdeutscher Warenwelten auf gepackten Koffern | |
sitzen. Verkehrsgrau scheinen die Hallenwände auf die Environments | |
herunter: „Willkommen“ heißt es da auf einem Schild, und dort schon: | |
„Arrivederci!“ | |
7 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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