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# taz.de -- Ausstellung fragwürdiger Kunstwerke: Bestandsaufnahme mit Triggerw…
> Das Landesmuseum Oldenburg setzt sich kritisch mit dem eigenen Bestand
> auseinander. In Frage stehen Bilder, die Sexismus und Rassismus
> transportieren.
Bild: Im neuen Titel dieses Emil-Nolde-Bildes zweier Tänzerinnen steht in der …
In nur zwei kleinen Räumen präsentiert das Landesmuseum Oldenburg derzeit
die Kabinettausstellung „Perspektivwechsel!“. Dabei hätte man mit ihrem
Thema ein ganzes Haus füllen können. Zu sehen sind Kunstwerke vor allem aus
dem frühen 20. Jahrhundert, die selbst aus Sicht der Ausstellungsmacher
problematisch sind. Problematisch deshalb, weil sie von Rassismus und
Sexismus geprägt sind, weil sie zum Teil sexualisierte Gewalt zeigen, die
sich auch gegen Kinder richtet.
Kuratiert haben diesen „Perspektivwechsel“ Marcus Kenzler, seit 2011
Provenienzforscher am Landesmuseum Oldenburg, und Zoe Marie Achtsoglou,
derzeit wissenschaftliche Volontärin dort und Mitglied im Arbeitskreis
Koloniale Kontinuitäten, einem „freien Zusammenschluss verschiedener
Organisationen, Verbände, Vereine, Initiativen und Einzelpersonen“ in der
Stadt, der auch maßgeblich an der Kabinettausstellung beteiligt war.
Es ist der erste Versuch des Hauses, sich öffentlich kritisch mit der
eigenen Sammlung auseinanderzusetzen. Dafür sind die beiden
Kurator:innen auch mit betroffenen Communitys und lokalen Vereinen in
Austausch getreten. Die Oldenburger Sammlung ist auch nicht frei von
Raubkunst, sagt Kenzler. Bei vielen Stücken habe er sich schon lange nicht
mehr wohl dabei gefühlt, sie unkommentiert zu zeigen.
Um beispielsweise diskriminierende Stereotype nicht gleich im Übermaß zu
reproduzieren, habe man eine kleine, repräsentative Auswahl an Exponaten
getroffen, so Kenzler. Vor der eigentlichen Ausstellung durchlaufen die
BesucherInnen trotzdem eine Triggerwarnung: Sie hängt als Fahne vor dem
Eingang und muss zum Öffnen der Tür beiseite geschoben werden.
Im ersten Raum steht „[1][Sexismus] und sexualisierte Gewalt“ an der Wand
mit einer kurzen Erläuterung. Außerdem liegen Informationsbroschüren zu den
Themen aus. Der Verein „Wildwasser“, der zu sexualisierter Gewalt gegen
Frauen und Mädchen berät, kommentiert in einem Film eines der ausgestellten
Werke: Erich Heckels „Stehendes Kind (Fränzi, stehend)“ aus dem Jahr 1911.
Der expressionistische Farbholzschnitt befindet sich seit einer Schenkung
1984 im Besitz des Museums und wurde jahrzehntelang als Highlight der
Sammlung präsentiert – zu sehen ist ein nacktes, durch Körpersprache und
Mimik stark sexualisiertes Kind.
Das reale Modell, Lina Franziska Fehrmann, war neun Jahre alt, als der
Holzschnitt entstand. Sie war bei den Brücke-Künstlern beliebt, aber bei
Weitem nicht das einzige Kindermodell. Kenzler erzählt: Die
Mädchendarstellungen, die jetzt in der Ausstellung fehlen, seien so obszön,
und in den Schriften der Brücke-Gruppe werde so sexualisiert über die
Minderjährigen gesprochen, dass nicht auszuschließen sei, dass es auch
sexuelle Übergriffe gegeben habe. Paula Modersohn-Becker ist übrigens die
einzige Künstlerin, die in der Ausstellung vertreten ist. Das Verhältnis
zwischen Maler*in und Modell ist oft ein Machtverhältnis.
„Unser Anliegen ist nicht, die Bilder zu diskreditieren“, sagt Achtsoglou,
„sondern zu sehen, was dahinter steckt und mit welchem Blick wir heute
darauf schauen.“ Diesen Blick wollten sie dem Publikum aber nicht
aufzwingen, ergänzt Kenzler.
Ebenfalls im ersten Ausstellungsraum sind Werke des Malers Fidus
(1868–1948) zu sehen, die im Kontext der Lebensreformbewegung entstanden
sind. Von Yoga bis [2][Freikörperkultur]: Einige der damals so neuartigen
Ideen finden bis heute Anklang, die Suche nach einem antimaterialistischen,
spirituellen Naturzustand fasziniert immer noch. Fidus, eigentlich Hugo
Höppener, war zudem Anhänger einer esoterischen Naturreligion und vertrat
offen völkisches Gedankengut.
Die Oldenburger Ausstellung zeigt nun seine Mappe „Naturkinder“ (1902). Der
damalige Beihefttext forderte dazu auf, die darin enthaltenen Bilder ohne
„moralische Brille“ zu betrachten – hielt man sie also schon bei ihrer
Veröffentlichung für potenziell problematisch? In Fidus’ Bild „Der
Wolkenmann“ greift ein dunkler Schatten am Himmel nach einem nackten Kind,
das ohne wirklichen Halt am Rande einer Klippe sitzt. Kinder, die Opfer
sexualisierter Gewalt geworden sind, nutzen nach Angaben des Vereins
Wildwasser Begriffe und zeichnen Bilder wie diesen „Wolkenmann“, sagen die
KuratorInnen.
Im zweiten Raum geht es um „[3][Antisemitismus]“, „[4][Antiziganismus]“…
„[5][Rassismus] und Exotismus“: Auf Stoffbahnen an den Wänden sind diese
Problemfelder mit entsprechenden Definitionen zu lesen. „Susanna im Bade“
ist ein in der Kunstgeschichte häufig aufgegriffenes biblisches Motiv. Hier
ist es unter anderem von Arnold Böcklin, 1888, zu sehen: Zwei alte Männer
mit antisemitisch verzerrten Fratzen bedrängen die badende Frau. Sie ist
von Mauern umgeben, doch zum Publikum hin ist das Bad offen, was den
voyeuristischen Effekt noch verstärkt. Die weiße Frau symbolisiert hier das
„reine“ Christentum, die dunklen Fremden drohen es zu beschmutzen. Eine
Symbolik, die auch heute noch verwendet wird.
In diesem Raum erhalten die Kunstwerke neue, weniger problematische Titel,
unter denen die ursprünglichen durchgestrichen und kontextualisiert stehen.
Diese Kommentierung soll die gesamte Sammlung des Hauses erfahren, sagt
Kenzler. Bei Fritz Behns „Büste eines Mannes“, die um 1910 unter einem ganz
anderen Namen entstand, sei Rassismus etwa nicht unbedingt erkennbar, so
die KuratorInnen: Der Künstler, der 1931/32 auch den Bremer
Backstein-Elefanten schuf, war ein entschiedener Befürworter des
Kolonialismus und reiste selbst in die Kolonien, auf der Suche nach neuen,
lebendigen Motiven. Vor dem Hintergrund von Ausbeutung und Unterdrückung
scheint eine wertschätzende Darstellung dieser „Motive“ kaum möglich.
13 Jul 2024
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## AUTOREN
Lilli Uhrmacher
## TAGS
Oldenburg
Ausstellung
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Kunst
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Kunst
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