# taz.de -- Ausstellung zur Migration in Deutschland: Fragen ohne Antworten | |
> Eine Gruppenausstellung der Bundeskunsthalle Bonn will erklären, was | |
> Einwanderung in Deutschland bedeutet. Das Konzept geht jedoch nicht auf. | |
Bild: Soll in Bonn für postmigrantische Stimmung sorgen: Nadira Husain „Migr… | |
„Fragen an ein Einwanderungsland“ möchte man in der [1][Bonner | |
Bundeskunsthalle] stellen; jedenfalls, wenn man dem Untertitel der jetzigen | |
Ausstellung vertrauen darf. Dafür haben sich die Kurator*innen Johanna | |
Adam, Lynhan Balatbat-Helbock und Dan Thy Nguyen mit DOMiD e. V. einen | |
vertrauenswürdigen Partner ins Haus geholt. Der DOMiD e. V. besitzt eine | |
Sammlung aus 150.000 sozial-, kultur- und alltagsgeschichtlichen | |
Zeitzeugnissen, die die Migrationsgeschichte in Deutschland seit 1945 | |
dokumentieren. Da es für diese Sammlung noch immer nicht das versprochene | |
Museum in Köln gibt, stellt man seine Schatztruhe nun der Bundeskunsthalle | |
zur Verfügung. | |
Ein besonderes Fundstück wird nun [2][in der Ausstellung „Wer wir sind“] | |
abgespielt, eine Videokassette des Kollektivs Kanak Attak. Dieses war im | |
November 2001 als „Kanak TV“ getarnt zum Festakt „40 Jahre | |
Einwanderungsland“ in die Kölner Philharmonie gereist. Tolles Konzert, alle | |
Gäste begeistert. Ob das nun am Schampus oder der Ergriffenheit von sich | |
selbst liegt, wird in dem Video nicht klar. Das Kamerateam fragt die Gäste, | |
ob diese eigentlich richtig finden, dass bei der Veranstaltung mal wieder | |
„die Kanaken“ arbeiten müssten. Ein Kameraschwenk zeigt Kellner*innen, die | |
irgendwie „anders aussehen“ als die Kölner Hautevolee. Eine interviewte | |
Frau, Kostümträgerin, zeigt sich pikiert. Die Dialektik von Sein und | |
Schein. | |
In Bonn setzt man gerne auf den Ansatz „Art meets science“, verquickt | |
Zeitzeugnisse, Didaktik und Kunst. Man möchte dem Bildungsauftrag der | |
„Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik“ folgen, doch er birgt | |
Gefahren. Kunstwerke sind per se keine Welterklärungsmaschinen. Stellt man | |
die Kunst zwischen historische Artefakte, dann kratzt man an ihrem | |
ästhetischen Eigenwert. Unglücklich wirkt der Abschnitt „Koloniale Welt“, | |
hier zwingt man Kunstwerken internationaler Größen wie [3][Mona Hatoum] und | |
[4][William Kentridge] zu viel didaktischen Willen auf. Hatoums Wandteppich | |
„Projections (velvet)“ zeigt eine vermeintlich verzerrte Weltkarte. | |
Kontinente sind entgegen der verbreiteten europäischen Darstellung in ihren | |
wahren Größenverhältnissen abgebildet. Afrika erscheint in seinem enormen | |
Ausmaß. Aber kann uns dieses Kunstwerk wirklich koloniales Unrecht | |
erklären, wie es ihm hier kuratorisch abverlangt wird? | |
Dann gelingt der Brückenschlag: Alicja Kwade, mittlerweile deutscher | |
Kunstsuperstar, indes in Polen geboren, ist mit der Videoarbeit „Alice“ | |
vertreten. Ihr konzises Sammelsurium aus Film-und-Fernseh-Found-Footage | |
gibt Überblick über die deutsche Fernsehlandschaft der späten Neunziger. | |
Alle Filmschnipsel von Kwades audiovisueller Collage eint die Anrufung | |
eines Namens: Alice. | |
Die Künstlerin selbst trug lange den Namen Alice, man verpasste ihn ihr bei | |
der Einwanderung, aus Alicja Elżbieta Kwade wurde damals Alice Elisabeth. | |
Ein deutsches Phänomen, der richtige, falsche Name. [5][Das erinnert auch | |
an die deutschiranische Künstlerin Natascha Sadr Haghighian, die 2019] in | |
lustvoller Scharade ihr Pseudonym Natascha Süder Happelmann im deutschen | |
Pavillon der Biennale in Venedig vorstellte. | |
Dieses Moment greift die Stuttgarter Künstlerin Ülkü Süngün auf: „Takdir. | |
Die Anerkennung“ bringt bundesdeutsche Zungen unter Spannung. Sie gibt ein | |
Videoseminar über die richtige Aussprache der Opfer des NSU. Im Duktus | |
eines Einführungskurses für Fremdsprachler*innen werden die Eigenheiten | |
der „nichtdeutschen“ Aussprachen erklärt – und es wird zum Nachsprechen | |
animiert. Angrenzend steht eine Tafel mit den Opfernamen. Während die Namen | |
der drei rechtsextremen Täter des NSU jeder weiß, gilt das längst nicht für | |
die Opfer. Oder wie spricht man Enver Șimşek richtig aus? | |
## Kunst und Wissenschaftlichkeit gut zusammengebracht | |
Daneben steht Mario Pfeiffers etwa sechs Meter lange Filmkabine. Seine | |
darin gezeigte forensischen Studie „Cell 5 – A Reconstruction“ zeigt auf | |
verstörende Weise, dass hier Kunst und Wissenschaftlichkeit auch gut | |
zusammengebracht werden können. Pfeiffer untersucht in dem Video [6][den | |
Tod Oury Jallohs], der 2005 in Polizeigewahrsam unter noch ungeklärten | |
Umständen starb, er führt darin Dokumentation wie Experimente der Gutachter | |
auf und macht deutlich, dass die offizielle Erklärung für Jallohs Tod, er | |
habe sich selbst entzündet, infrage zu stellen ist. | |
Während die Schau zuvor das nötige Maß an Sorgfalt und Einfühlungsvermögen | |
vermissen lässt, wird das mehr als eingehalten, wenn es um „Rassistische | |
Gewalt an Migrant*innen“ geht. Das ist eingeübt in Deutschland: Terror kann | |
man nicht verhindern, aber gekonnt betrauern. | |
Als diplomatische Endnote gibt es eine positive Geste, der letzte Abschnitt | |
der Schau heißt „Gesellschaft der Vielen“. Es wirkt, als wolle man auf die | |
„Fragen an ein Einwanderungsland“ keine Antworten hören. Dabei zeigen | |
gerade die unversöhnlichen Beiträge, etwa das Video von Kanak Attak, wie | |
man es hätte besser machen können. | |
10 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundeskunsthalle.de/ | |
[2] https://www.bundeskunsthalle.de/wer-wir-sind.html | |
[3] /Retrospektive-Mona-Hatoum/!5887169 | |
[4] /Afrikanische-Kunst/!5472339 | |
[5] /Deutschland-auf-der-Biennale-von-Venedig/!5550338 | |
[6] /Verfassungsgericht-zu-Fall-Oury-Jalloh/!5918001 | |
## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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