# taz.de -- Kuratorin über Kulturarbeit im Krieg: „Museen stärken die Demok… | |
> Die Stiftung Obmin vernetzt ukrainische Museen. Ihre Geschäftsführerin | |
> Małgorzata Ławrowska-von Thadden weiß, was Kulturarbeit im Krieg | |
> bedeutet. | |
Bild: Nach einem russischen Bombenangriff auf das Gregorius-Skoworoda-Museum na… | |
taz: Frau Ławrowska-von Thadden, vor Kurzem hat die Stiftung Obmin, der Sie | |
als Geschäftsführerin vorstehen, zehn Leitlinien für den Wiederaufbau | |
ukrainischer Museen veröffentlicht. Darin heißt es, der Wiederaufbau der | |
Ukraine könne eine Chance sein, um „das Museum des 21. Jahrhunderts“ zu | |
schaffen. Was verstehen sie darunter? | |
Małgorzata Ławrowska-von Thadden: Museen überall auf der Welt müssen auf | |
unsere sich wandelnden Gesellschaften, auf neue Technologien reagieren, | |
wenn sie relevant bleiben wollen. Zunächst müssen wir die Museen nicht nur | |
als Infrastruktur betrachten, sondern auch als Plattformen des | |
gesellschaftlichen Dialogs, die die Gesellschaft bei den neuen | |
Herausforderungen unterstützten. Die Ukraine ist schon jetzt ein ganz | |
anderes Land. Eine dieser Herausforderung wird die Wiedereingliederung der | |
Kulturinstitutionen aus den besetzten Gebieten in das Leben der Ukrainer | |
sein. Eine enorm wichtige Rolle wird zudem die Inklusion der im Krieg | |
Versehrten spielen. Es gibt in der Ukraine schon jetzt Hunderttausende | |
Menschen mit Handicap. Wenn ein Land starke Kulturinstitutionen hat, dann | |
stärkt das auch die Demokratie,und das ist für die Ukraine natürlich | |
ungeheuer wichtig. | |
Wie kann ein Museum auf mögliche Kriegstraumata der Besucher oder | |
psychische Folgen von Krieg reagieren? | |
Zum einen mit Museumstherapie. Ein Beispiel: Eine Mutter und Tochter wurden | |
bei dem Beschuss eines Bahnhofs verwundet. Sie wurden dann nach Lwiw | |
evakuiert, schwer traumatisiert, und konnten mit der Außenwelt nicht mehr | |
kommunizieren. Dann hat man festgestellt, sie kommunizieren durch | |
Zeichnungen. Kunstmuseen und dort angesiedelte Bildungsprojekte haben bei | |
der Genesung eine große Rolle gespielt. Ein anderes Beispiel: | |
Erinnerungskultur ist in der Ukraine ein großes Thema. In praktisch jedem | |
Museum werden Fotos von Gefallenen und Verschleppten aus dem jetzigen Krieg | |
ausgestellt. Aber man hat festgestellt, dass das zu Retraumatisierung | |
führt, wenn Freunde, Bekannte oder Familienangehörige von Gefangenen und | |
Verschleppten vorbeikommen. Es gibt eine große Diskussion in der Ukraine | |
momentan darüber, an welchen Orten an etwas Schreckliches erinnert werden | |
soll und an welchen nicht. Nicht jeder möchte auf seinem Weg zur Arbeit | |
daran erinnert werden, dass hier Menschen gestorben sind oder gefoltert | |
wurden. | |
Wie viele Museen sind in der Ukraine gerade geöffnet? | |
Alle Museen, die sich nicht unmittelbar in der Nähe der Front befinden, | |
sind geöffnet und arbeiten weiter. Die Kulturinstitutionen, auch die | |
Museen, erleben in der Ukraine gerade einen richtigen Boom. Die Leute | |
wollen etwas anderes sehen als immer nur Krieg. | |
Und die Museen an der Front? | |
Die Museen, die sich in der Nähe der Front befinden, wurden evakuiert. Dann | |
gibt es Fälle wie in Charkiw, wo Museen ihre Ausstellungen in den Keller | |
verlegt haben. Das ist gerade ganz typisch, viele Institutionen, aber | |
auch Schulen finden Sie jetzt im Untergrund. Wo auch das nicht möglich ist, | |
in Saporischschja zum Beispiel, versuchen die Mitarbeiter weiter | |
wissenschaftlich zu arbeiten oder bieten Onlineangebote an. Es gibt auch | |
evakuierte Museen, die zum Beispiel eigene Radiosendungen haben. Die | |
evakuierten Museen werden aber auch nicht einfach aufgelöst, sondern von | |
anderen Museen in der Ukraine aufgenommen und können von dort | |
weiterarbeiten. | |
Haben Sie Kontakt in die besetzten Gebiete und zu den | |
Mitarbeiter:innen jener Museen, die nicht mehr rechtzeitig evakuiert | |
werden konnten? | |
Es gibt Museumsmitarbeiter, die in den besetzten Gebieten geblieben sind, | |
die verfolgen, was passiert. Es ist ein Kolonialkrieg, es geht um die | |
Vernichtung der ukrainischen Nation. Alles, was Wert hat, wird gestohlen, | |
[1][alles, was auf die ukrainische Geschichte hinweist, wird vernichtet.] | |
Es gibt viele Fälle in von der ukrainischen Armee zurückeroberten Gebieten, | |
wo in den Bibliotheken Bücher aussortiert wurden: russische auf den einen, | |
ukrainische auf den anderen Haufen. Wir hatten auch Fälle, wo man einfach | |
auf die ukrainischen Bücher geschossen hat. Was außerdem in diesem Krieg | |
typisch ist: Die Russen kommen mit fertigen Ausstellungen in die besetzten | |
Gebiete. Multimedial wird da die vermeintlich richtige ukrainisch-russische | |
Geschichte erklärt. Das wird eine riesige Herausforderung sein, die | |
besetzten Gebiete, wenn man sie zurückerobert, nicht nur von Minen zu | |
räumen, sondern auch die Propaganda aus den Köpfen wieder herauszubekommen. | |
Auf der Krim und im Donbass dauert dieser Krieg seit 2014 an. Der Einfluss | |
von russischer Propaganda ist enorm. Es ist kein Zufall, dass die Ersten, | |
die nach der Besetzung durch die Russen verhaftet wurden, Schulleiter und | |
Museumsdirektoren waren. | |
Wie viel Austausch gab es vor 2022 und vor 2014, als die russische Armee | |
die Krim besetzte, zwischen ukrainischen und europäischen | |
Kultureinrichtungen? | |
Eins unserer Mottos unserer Tätigkeit lautet „Filling blind spots“. [2][Das | |
Wissen über die Ukraine im westlichen Europa ist immer noch gering,] es gab | |
nicht genug Austausch zwischen ukrainischen Kulturinstitutionen und denen | |
im Ausland. Das versuchen die Ukrainer nachzuholen. | |
Gibt es diese blind spots hinsichtlich der Ukraine auch bei | |
postsowjetischen Staaten? | |
In Polen und anderen Staaten, die die kommunistische Diktatur durchleiden | |
mussten, gibt es ein besseres Verständnis als manchmal im westlichen Europa | |
dafür, dass sich die Ukrainer gegen einen kulturellen Vernichtungskrieg | |
vonseiten Russlands wehren. Deshalb helfen zum Beispiel Museen in den | |
baltischen Republiken gerne und so viel sie können. Polen möchte dieses | |
Thema zu einem Schwerpunkt seiner EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr | |
2025 machen. Wir arbeiten deshalb an einer Konferenz im Frühjahr 2025 in | |
Brüssel zum Thema Dekolonisierung. | |
Obmin, Ihre Stiftung, setzt sich auch dafür ein, Wissenslücken zu | |
schließen. | |
Ja. Obmin ist eine Plattform, auf der jetzt mehr als 120 ukrainische Museen | |
zusammenarbeiten. Da sind sowohl nationale, große Museen, aber auch kleine, | |
regionale, kommunale; für uns sind besonders die kleinen wichtig. Unser | |
Ziel ist es, die Museen in der Ukraine noch enger miteinander zu verbinden | |
und zudem dabei zu helfen, [3][internationale Partnerschaften zwischen | |
Museen in der Ukraine und außerhalb der Ukraine] aufzubauen. | |
Warum sind besonders die kleinen Museen wichtig? | |
Die regionalen Museen sind nah dran an den Menschen und ihren Bedürfnissen. | |
Ihr Bestehen wird sichergestellt durch das Engagement von Freiwilligen. Sie | |
sind daher besonders auf Spenden angewiesen. In unseren zehn Leitlinien | |
haben wir daher vorgeschlagen, einen nationalen Fonds für kleine und | |
mittlere lokale Museen einzurichten, der von privaten Geldgebern in der | |
Ukraine und im Ausland finanziert wird. Dieser Fond könnte noch mal | |
besonders wichtig werden im Kontext der derzeit besetzten Gebiete, wo die | |
dortigen Museen eine wichtige Rolle spielen dürften bei der | |
Wiedereingliederung. | |
Eins Ihrer formulierten Ziele ist es, Korruption zu beseitigen. Inwiefern | |
war die in der Ukraine auch im Kulturbereich ein Problem? | |
Krisensituationen und Kriege bringen in den Menschen das Beste und das | |
Schlechteste hervor. Natürlich ist auch der Kulturbereich nicht frei von | |
Korruption. Die Museen in der Ukraine haben das in den zehn Leitsätzen | |
bewusst formuliert, sie wollen Korruption bekämpfen. Alle ukrainischen | |
Institutionen bemühen sich um Transparenz. Hilfreich ist, dass die | |
ukrainische Verwaltung sehr gut digitalisiert ist, sodass sich leicht | |
nachprüfen lässt, wo welche Gelder fließen. | |
22 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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