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# taz.de -- Ausstellung von Künstler aus Charkiw: Widerständiger Beton
> Seine schrille Sozialkritik am Postsowj-Alltag hat Sergiy Bratkov seit
> Kriegsbeginn abgelegt. Zu sehen ist seine Kunst im Kunstmuseum Magdeburg.
Bild: Auch „My Brother’s Cats“ schaffen manch absurdes Alltagsbild, Sergi…
Magdeburg taz | Mehrfach hat der Fotograf und Multimediakünstler Sergiy
Bratkov, 1960 in Charkiw geboren, seinen Vater porträtiert. Ein kleines
Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1995 zeigt ihn zusammen mit seinem Vater,
beide mit Anzug, Hut und Krawatte wie zum förmlichen Ausgehen gewandet, in
einer Zimmerecke auf dem Bett des Vaters vertraulich eng zusammensitzend.
Die Wandecke scheint mit einem gewebten Teppich, einer Art Kelim,
ausgekleidet. Dessen grafisches Muster beherrscht fast die Bildkomposition,
zumindest verleiht es dem ohnehin schon etwas surrealen Setting eine
weitere Verfremdung. Das letzte Foto, das Bratkov dem Vater widmete, stammt
aus dem Jahr 2013.
Nochmals sitzt der nun sehr alt gewordene Herr auf diesem Bett, jetzt
allein, vor dieser auffälligen Wandgestaltung. Er trägt ein zerschlissenes
Nachthemd, ein vollgekleckertes Lätzchen und ist umgeben von beschmutzter
Bettwäsche. Zwei Plastikkanister sind als improvisierte Stützen unter die
Arme geschoben.
Obwohl die hygienisch prekären Umstände sofort abstoßen, strahlt dieses
Motiv eine fast altmeisterliche Schönheit aus. Es ist eine ungewöhnliche
Würde, getragen nicht nur von der eindringlichen Präsenz des Porträtierten,
sondern auch dem einfühlsamen Bildzugriff des Sohnes.
Ausstellung in Magdeburg
Der großformatige farbige Fotoausdruck hängt nun in einer Ausstellung, die
das Kunstmuseum Magdeburg Sergiy Bratkov eingerichtet hat. Hier erfährt man
auch, dass Bratkov senior, Jahrgang 1922, eine künstlerische Karriere
anstrebte. Anfang der 1940er Jahre hatte er bereits in den USA ausgestellt,
die Pflicht, im Zweiten Weltkrieg für die Rote Armee zu kämpfen, vereitelte
weitere Ambitionen.
Der Krieg, nun der Angriff Russlands auf die Ukraine seit Februar 2022, hat
auch das Leben von Sergiy Bratkov verändert. Er versteht sich als Vertreter
einer jüngeren Generation [1][jener informellen Charkiwer Schule] für
Fotografie, die seit den 1960er Jahren mit Ironie und eigensinnigen
künstlerischen Techniken die sowjetische Doktrin des sozialistischen
Realismus unterlief.
Bratkov wählte lange Zeit recht schrille, mitunter obszöne Ausdrucksformen,
verstand es, damit große Ausstellungshäuser zu füllen, etwa 2008 das
Fotomuseum Winterthur und anschließend die Hamburger Deichtorhallen.
Mit seiner direkten, oft skurril schonungslosen Sozialkritik des Alltags
nach dem Niedergang der Sowjetunion, die [2][einem Martin Parr] in nichts
nachsteht, hatte er lange Zeit auch in Russland Erfolg: 2001 war er nach
Moskau gezogen, lehrte dort an der Rodtschenko-Schule für Fotografie und
Multimedia als Leiter der Klasse „Fotografie, Skulptur und Video“, stellte
aus und kuratierte.
2022 hat Bratkov Russland verlassen, lebt seitdem in Deutschland. In
Magdeburg schlägt er differenzierte Töne an, die abbildende Fotografie
scheint ihm aktuell nebensächlich, vielleicht gar unmöglich.
Düstere Übermalungen von Zeitungsausschnitten
Beklemmend sind seine düsteren Übermalungen vergrößerter
Zeitungsausschnitte, die über Zerstörungen in Charkiw informieren.
Bildfragmente sind noch zu erkennen, ein Fenster, eine Gardine. Ihnen
stellt er eine frühe Arbeit entgegen, den Leuchtkasten einer schwarz-weißen
Mehrfachbelichtung der konstruktivistischen Architekturikone und
Welterbe-Kandidatin Charkiws, des Derschprom-Hochhauskomplexes. Dessen
Stahlbeton ist längst zum Sinnbild der Widerstandskraft der Stadt geworden.
Weniger zuversichtlich sind Bratkovs ganz neue Malereien aus großen Lettern
und Worten im Geiste [3][konstruktivistischer Plakatkunst der 1920er
Jahre]. Mit „втрати ворога“ (Gegnerische Verluste) etwa beklagt…
dass russische Freunde nun zu Feinden gemacht wurden, ohne dass sie
persönlich verantwortlich wären.
4 Sep 2024
## LINKS
[1] /Charkiwer-Schule-fuer-Fotografie/!5963362
[2] /Festival-in-Madrid/!5856936
[3] /Ausstellung-in-der-Kunstbibliothek-Berlin/!5693313
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Kunst
Ausstellung
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Charkiw
Magdeburg
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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