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# taz.de -- NS-Gedenkort in Hamburg: Mehr Würde für Gestapo-Opfer
> Das privatisierte Gedenken war gescheitert. Jetzt betreibt die Stadt den
> neu eröffneten Hamburger Geschichtsort Stadthaus in der
> Ex-Gestapo-Zentrale.
Bild: Senator Carsten Brosda (re.), Alyn Beßmann und Oliver von Wrochem (beide…
Hamburg taz | Dieser Ort war schwer zu retten: „Als ich den Raum zum ersten
Mal leer sah, wurde mir klar, wie klein er ist und wie wenig man dort
verändern kann“. Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) wusste bis
dato nicht, wie verbaut der Hamburger „Geschichtsort Stadthaus“ ist.
Dabei ist das neu gestaltete und jetzt wieder eröffnete Areal historisch
brisant: In der NS-Zeit – bis Juli 1943 – residierte dort das Hamburger
[1][Polizeipräsidium samt Gestapo-Zentrale]. Heute ist das Gebäudeensemble,
in dem damals Gefangene, vor allem WiderstandskämpferInnen, verhört,
gefoltert und ermordet wurden, mit Luxus-Hotel und Nobelläden bestückt.
Als Mitglied der Initiative Gedenkort Stadthaus hatte auch Kerth stets
gefordert, dass die seit 2020 bestehende Ausstellung erweitert werde und
neben der Täterschaft der Polizei stärker die Opfer fokussiere.
Dafür schien der Moment gekommen, als 2022 Umbau und Neugestaltung des
Ortes anstanden, der als regionale Zentrale des NS-Terrors galt. Hier wurde
die Verfolgung politischer GegnerInnen, von Jüdinnen und Juden, Sintize und
Sinti, Romnja und Roma aus ganz Norddeutschland organisiert. Auch die
Hamburger und Bremer [2][„Polizeibataillons“,] die an Massenerschießungen
in Polen und der damaligen Sowjetunion beteiligt waren, rekrutierte man
hier.
## Spätes Gedenken
Das Gedenken begann spät: Obwohl seit Kriegsende Hamburger Behörden im
Stadthaus residierten, brachte man erst 1981 eine Gedenktafel an – auf
Initiative von MitarbeiterInnen der Baubehörde, die dort bis 2013 saß.
Schon 2009 allerdings hatte die Stadt die attraktive Innenstadt-Immobilie
an den Investor Quantum Immobilien AG verkauft.
Im selben Jahr wurde die „Stadthöfe KG“ gegründet, der die Immobilie
inzwischen gehört. An ihr ist unter anderem die Ärzteversorgung
Niedersachsen beteiligt. Sie sicherte der Stadt Hamburg 2009 zu, den
Betrieb eines 750 Quadratmeter großen Geschichtsort „zu gewährleisten“.
Eine unverbindliche Formulierung. Dann rechnete sie den Ort – von der Stadt
unwidersprochen – auf 70 Quadratmeter in der Ecke eines „Dreiklangs“ aus
Buchladen, Café und Ausstellung klein, wobei die Buchhändlerin den
Gedenk-Ort betreiben sollte.
Die Kritik an diesem Konstrukt und der auf die TäterInnen fokussierten
Ausstellung folgte sofort – und blieb: Seit vier Jahren schon hält die
Initiative Gedenkort Stadthaus dort ihre Freitags-Mahnwachen ab. Als die
[3][Buchhandlung insolvent] ging, setzte man 2022 die Stiftung Hamburger
Gedenkstätten und Lernorte, die auch die KZ-Gedenkstätte Neuengamme
betreibt, ein. Der Auftrag: den Raum zu einem würdigen Geschichtsort
umzugestalten und zu betreuen.
Anders als zuvor wurden nun Verfolgtenverbände einbezogen, und im Zuge
jener Begehungen sah die VVN-BdA-Vorsitzende Cornelia Kerth, dass sich die
Ausstellung in dieser Enge nicht erweitern ließ. „Wir begrüßen die
Zusammenarbeit und die Neugestaltung des Orts“, sagt sie. Unabhängig davon
fordere man weiterhin einen zentralen Gedenkort für die
WiderstandskämpferInnen – etwa in einem Neubau gegenüber dem Görtzschen
Palais, das auch zu den „Stadthöfen“ gehört. Denn der in Fuhlsbüttel
geplante Gedenkort für den Widerstand sei zu abgelegen und werde erst in
vielen Jahren fertig.
## Kooperation mit Verfolgtenverbänden
Abgesehen davon habe man den – nun, da Buchladen und Café raus sind, 250
Quadratmeter großen – Raum gut genutzt, findet Cornelia Kerth. „Wir haben
um jeden Quadratmeter gerungen“, bestätigt Alyn Beßmann von der
Gedenkstätten-Stiftung, die den Geschichtsort Stadthaus leitet.
Herausgekommen ist ein heller, großzügig wirkender Raum mit Empfangstresen,
einer Veranstaltungsfläche, Büro und Seminarraum.
Eine weitere Veränderung betrifft die einstige Schaufenster-Installation
mit dem halb eingesunken 1930er-Jahre-Schreibtisch und den
Verfolgtenporträts, die schwer als solche erkennbar waren. Dieses Areal ist
nun begehbar: Die Porträts werden künftig als Dreh-Elemente fungieren, auf
deren Rückseite der Lebenslauf steht. Und an den Schreibtisch kann man
herantreten und in einer Mappe mit „Schutzhaft-Befehlen“ lesen.
Über die Nutzung des zweiten Schaufensters wird noch gestritten. Die
pädagogische Mitarbeiterin Christiane Hesz sagt, dort sollten sich im
Wechsel Verfolgtenverbände präsentieren. Die VVN-BdA-Vorsitzende Cornelia
Kerth fordert, dass dort dauerhaft an den Kampf um diesen Gedenk-Ort
erinnert wird. „Eine solche Ergänzung halte ich für eine gute Idee“, sagt
Alyn Beßmann, Leiterin des Geschichtsorts. „Über Ort und Umsetzung werden
wir noch sprechen.“
Sogar wechselnde Ausstellungen soll es trotz der Enge geben – die erste
gleich zur Wiedereröffnung. Sie ist dem 1942 in Berlin-Plötzensee
hingerichteten 17-jährigen Hamburger Widerstandskämpfer [4][Helmuth
Hübener] gewidmet.
## Umbau teurer als geplant
Finanziert hat den Umbau großteils die Stadt Hamburg mit 100.000 Euro. Die
wurden – die genaue Summe ist noch nicht errechnet – „deutlich überzogen…
sagt Oliver von Wrochem, Leiter der Gedenkstätten-Stiftung. Aber die
Kulturbehörde habe Unterstützungsbereitschaft signalisiert.
Die Stadthöfe-KG (Jahresumsatz: 200 Millionen Euro) hat sich mit 25.000
Euro am Umbau beteiligt. Und auch wenn die Stadt den Raum mietfrei nutzen
kann, muss sie – neben einer Nebenkosten-Pauschale von 20.000 Euro – die
verbrauchsabhängigen Kosten für Strom, Wasser, Heizung tragen. Außerdem
muss jener externe Dienstleister bezahlt werden, der während der
Öffnungszeiten am Tresen steht und bei Bedarf den „Seufzergang“ öffnet,
durch den damals Gefangene zu den Verhören gebracht wurden. Er gehört, wie
die Leuchtstelen zur Baugeschichte der „Stadthöfe“ im Arkadengang, mit zum
Geschichtsort.
Dass die Betriebskosten aufgrund der Inflation die von der Stadt zugesagten
139.000 Euro jährlich übersteigen werden, zeichnet sich laut Beßmann
bereits ab. Auf die Frage nach der Erhöhung der Zuschüsse sagte
Kultursenator Carsten Brosda (SPD) anlässlich der Wiedereröffnung, mit
Preissteigerungen hätten alle städtischen Stiftungen zu kämpfen. Man werde
das besprechen und einvernehmlich lösen.
Die Finanzierung der beiden 50-Prozent-Stellen der pädagogischen
Mitarbeiterinnen ist aber laut Behördensprecher Enno Isermann dauerhaft
gesichert. Auch die Aufstockung der beiden Stellen auf je 75 Prozent ist
laut Stiftung zugesagt.
## Nutzung für 20 Jahre
Ungewöhnlich bleibt, dass der Nutzungsvertrag der Stadt mit der Stadthöfe
KG nur über 20 Jahre läuft – mit unbefristeter Option auf Verlängerung um
je zehn Jahre. Für einen in Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus so
relevanten Geschichtsort ein wenig plausibles Konstrukt.
Die Stadt hätte wohl gern eine unbefristete Nutzung vereinbart, wie Brosda
durchblicken lässt. Aber die Ärzteversorgung Niedersachsen habe
komplizierte Debatten mit den anderen Mit-Eignern gefürchtet – den
Ärzteversorgungen Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. „Da haben wir
das dann gar nicht mehr verhandelt“, sagt Brosda.
4 Jul 2023
## LINKS
[1] /Ex-Gestapo-Zentrale-in-Hamburg/!5879866
[2] /Ex-Polizeipraesident-ueber-Shoah-Gedenken/!5666585
[3] /Ehemalige-Gestapozentrale-in-Hamburg/!5816104
[4] /Interview-mit-Herbert-Diercks-zu-Hamburger-Ausstellung/!5148389
## AUTOREN
Petra Schellen
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