# taz.de -- Interview mit Herbert Diercks zu Hamburger Ausstellung: "Der Widers… | |
> Die erste Hamburger Ausstellung über den Widerstand zwischen 1933 und | |
> 1945 ist derzeit im dortigen Rathaus zu sehen. Kam der Widerstand | |
> zunächst aus der Arbeiterbewegung, stießen später auch Aktivisten aus dem | |
> Bürgertum dazu. | |
Bild: "Es kommt der Tag": Klebezettel des Internationalen Sozialistischen Kampf… | |
taz: Herr Diercks, soll die von Ihnen kuratierte Ausstellung die Hamburger | |
vom Ruch des Mitläufertums befreien? | |
Herbert Diercks: Nein. Es war eine winzige Minderheit, die sich aktiv am | |
Widerstand beteiligte, und das zeigen wir auch. In Hamburg waren es einige | |
wenige Prozent der Bevölkerung. Besonders nach der Machtergreifung Hitlers | |
1933 hatten nur wenige den Mut, im Widerstand zu bleiben. Die meisten waren | |
skeptisch, wehrten sich aber nicht aktiv. Und eine große Masse hat | |
bereitwillig mitgemacht. | |
War der Widerstand homogen? | |
Nein. Ich muss hier vorausschicken, dass in Hamburg die Arbeiterbewegung, | |
aus der der Widerstand wesentlich hervorging, sehr stark war - allerdings | |
intern zerstritten. Es gab eine kommunistische, aber auch eine | |
sozialdemokratische Arbeiterbewegung. Entsprechend zersplittert war der | |
Widerstand. Neben dem organisierten Widerstand gab es aber auch | |
individuelle Verweigerung. Dazu gehören individuelle Hilfen für Verfolgte | |
und Unterdrückte - für Zwangsarbeiter etwa, mit denen man nicht verkehren | |
durfte. | |
Wer einem Zwangsarbeiter zu essen gab, gilt Ihnen bereits als | |
Widerständler? | |
Ja. Auch das Verteidigen kultureller Errungenschaften unter den Bedingungen | |
des Nationalsozialismus halte ich für eine Widerstandshandlung. | |
Zum Beispiel? | |
Dazu würde ich auch die Pflege jüdischer Traditionen zählen oder die | |
Erziehung von Kindern in den pazifistischen, antifaschistischen Traditionen | |
der Arbeiterbewegung. In der Ausstellung wird das Schicksal Fritz von | |
Hachts vorgestellt, dessen Tochter 1934 noch an einem Jugendweihe-Kurs | |
teilnahm. Das wurde zwar erst 1935 verboten. Ich würde es trotzdem als | |
widerständiges Verhalten bezeichnen. | |
Gab es in Hamburg auch religiös motivierten Widerstand? | |
Ja. Am wichtigsten waren hier die Zeugen Jehovas. Hunderte von ihnen haben | |
versucht, ihre Organisation illegal aufrecht zu erhalten, sich zu treffen | |
und ihre Schriften zu verteilen. Sie sind daraufhin familienweise von der | |
Gestapo verfolgt und eingesperrt worden. Es gab aber auch einzelne | |
Protestanten und Katholiken, die im Widerstand aktiv waren. | |
Existierte ein organisierter jüdischer Widerstand? | |
Ich kenne keine solche Gruppe. Ich weiß aber, dass sich viele Juden im | |
kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstand engagierten. Dazu | |
gehörten unter anderem Dagobert Biermann und Max Eichholz, die 1943 in | |
Auschwitz ermordet wurden. | |
Veränderte sich der Widerstand mit Kriegsausbruch? | |
Ja. Vor 1939 hatten die - von den Nazis sukzessive verbotenen - | |
Widerstandsgruppen ihre Arbeit einfach illegal fortgesetzt. Das war | |
durchaus ein Massenwiderstand mit Flugblatt-Aktionen, Postwurfsendungen et | |
cetera. Etliche Aktivisten waren allerdings im Laufe der Jahre von der | |
Gestapo verhaftet und in KZ deportiert worden. Während des Kriegs kamen | |
viele von ihnen ganz regulär frei. Wer den Widerstand dann fortsetzte, tat | |
es wesentlich verdeckter und vereinzelter. Da wurden Flugblätter auch nicht | |
mehr gedruckt, sondern einzeln mit der Maschine getippt. Von einer | |
Massenbewegung konnte also nicht mehr die Rede sein. | |
Wurden während des Kriegs - demoralisiert durch dessen Verlauf - auch | |
ehemalige Mitläufer zu Widerständlern? | |
Nicht, dass ich wüsste. Die neuen Widerstandsgruppen, die sich ab 1939 | |
bildeten, entstammten einem anderen Spektrum: Es waren Menschen aus dem | |
Bürgertum, die sich angesichts der Kriegsereignisse gegen den Faschismus zu | |
wehren begannen - wie der Hamburger Zweig der Weißen Rose. Sehr aktiv waren | |
auch die jugendlichen Widerständler um Helmuth Hübener, den wir in der | |
Ausstellung porträtieren. Er war bei Kriegsausbruch 14 Jahre alt und | |
gehörte zu jenen Menschen, die zwar während des Nationalsozialismus zur | |
Schule gegangen waren, aber aus einem aufgeklärten Elternhaus kamen. | |
Weiß man etwas über die Altersstruktur der Widerständler? | |
Für die Zeit nach 1933 heißt es in der Widerstandsliteratur, dass sich sehr | |
viele junge Menschen beteiligten - sowohl bei der KPD als auch bei der SPD. | |
Die Aktivisten der Weißen Rose waren Studenten, und die Leute um Helmuth | |
Hübener waren um die 17 Jahre alt. Junge Leute waren also anscheinend eher | |
bereit zu Risiko und Zivilcourage. Vielleicht, weil sie noch keine | |
familiären Verpflichtungen hatten. | |
Wer finanzierte den Widerstand? | |
Zum Widerstand gehörte immer auch das Einsammeln von Spenden - oft bei | |
politischen Freunden. Zudem steuerten die Beteiligten, soweit sie konnten, | |
selbst Geld bei. | |
Gibt es Spezifika des Hamburger Widerstands? | |
Eine Widerstandsgruppe, wie es sie um Hübener gegeben hat, ist schon etwas | |
Besonderes. Es gab in Deutschland nur sehr wenige Widerstandsgruppen mit so | |
jungen Menschen, die so brutal verfolgt wurden. Hübener ist 1942 als | |
17-Jähriger in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden. Er war einer der | |
jüngsten hingerichteten Widerständler überhaupt. Abgesehen davon war der | |
Hamburger Hafen wichtiges Widerstands-Zentrum. Da kamen ja die | |
verschiedensten Berufsgruppen zusammen - Hafenarbeiter, Werftarbeiter und | |
Seeleute. Sie alle sahen, dass ab 1936 Kriegsmaterial zur Unterstützung des | |
Franco-Putsches in Spanien verschifft wurde. Sie haben zum Boykott solcher | |
Verladearbeiten aufgerufen und die Informationen über den geplanten Putsch | |
über Seeleute an die rechtmäßige spanische Regierung gemeldet. | |
Porträtiert die Ausstellung besonders mutige Einzelschicksale? | |
Abgesehen vom erwähnten Helmut Hübener könnte man noch Walter Lüders | |
erwähnen, der der Hamburger kommunistischen Partei-Opposition angehörte. | |
Die hat sich 1933 sehr aktiv in den Widerstand eingebracht, hat eigene | |
Flugblätter hergestellt oder von Exilgruppen im Ausland bekommen. Lüders | |
ist Ende 1933 erstmals verhaftet worden und saß dann lange fest. 1942 wurde | |
er zum zweiten Mal verhaftet und bis Kriegsende nicht freigelassen. Er hat | |
den Krieg nicht überlebt. | |
Wie war die Quellenlage für Ihre Ausstellung? Ist der Hamburger Widerstand | |
gut erforscht? | |
Nein. Für die Universitäten war das lange kein Thema; man hat die | |
Erforschung des Widerstands den ehemaligen Widerstandskämpfern und den | |
Verfolgtenorganisationen überlassen. Erst Anfang der 1980er Jahre sind | |
einige wissenschaftliche Arbeiten über Teilaspekte des Hamburger | |
Widerstands erschienen. Eine Gesamtschau fehlt aber bis heute. Das | |
bemängeln wir in unserer Ausstellung auch, und das können unsere Text- und | |
Bildtafeln natürlich nicht kompensieren. Diese Schau ist übrigens - auch | |
das ein Indiz - die erste zu diesem Thema in Hamburg überhaupt. | |
1 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Nationalsozialismus | |
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