# taz.de -- Ehemalige Gestapozentrale in Hamburg: Ein bisschen Gedenken | |
> Im Stadthaus in der Hamburger City wird heute geshoppt – und die | |
> Erinnerung an die dort begangenen Verbrechen auf engsten Raum gesperrt. | |
Bild: Shoppen in der ehemaligen Gestapo-Zentrale: in Hamburg ist das möglich | |
HAMBURG taz | Am besten, man geht auf die andere Straßenseite. Schaut sich | |
das Bau-Ensemble an der Stadthausbrücke in der Hamburger City zunächst aus | |
einer gewissen Distanz an. Denn die Vorbeigehenden mindestens zu | |
überwältigen, das war schon immer die Absicht dieses steinernen, | |
großherrschaftlichen Riegels, massig und kompakt, in dem ab 1933 die | |
gleichgeschaltete Polizei, bald auch die Gestapo ihren Hauptsitz hatten, | |
für Hamburg und weite Teile Norddeutschlands gleich mit. | |
Es war ein Schreckensort mit Verhörräumen und Gefängniszellen, dessen | |
Geschichte jahrzehntelang von der Hamburger Politik ignoriert wurde. | |
Stattdessen residierte hier unverdrossen die Baubehörde, dann die Behörde | |
für Umwelt. Bis man alles einem Investor übergab, der sanierte, | |
Historisches weitgehend überbaute und die frei gewordenen Flächen mit | |
hochpreisigen Design-Geschäften und sogenannter exquisiter Gastronomie | |
bestückte. Die schmiedeeiserne Überschrift: „[1][Stadthöfe]“. | |
## Eine Art Teufelsaustreibung | |
Und dann betritt man sie, die Buchhandlung mit dem Namen „Lesesaal“, in der | |
Hausnummer 6, das war zumindest nicht doof gedacht: Buch gleich Geist gegen | |
den Ungeist, eine Art dienstleisterische Teufelsaustreibung. Schmale Stufen | |
führen hoch, nach rechts in einen offenen Raum, der abstrakt-verloren | |
„Geschichtsort“ heißt und der auf den zahlreichen Umgebungsplänen nicht | |
verzeichnet ist, die man überall in die Durchgänge zu den Innenhöfen an die | |
Wände geschraubt hat. Hier findet sich eine kleine, gedrängte Ausstellung, | |
die zu erzählen versucht, wie von hier aus die Vernichtung der Hamburger | |
Juden, der [2][Roma und Sinti], der Kommunisten und Sozialdemokraten, der | |
Homosexuellen geplant und durchgeführt wurde, bis britische Bomber 1943 das | |
Areal schwer trafen. | |
Und fast hätten sie einen jetzt erwischt, dass man sich sagt: Okay, arg | |
wenig Platz, alles ziemlich gehetzt, doch vielleicht sollte man gnädig | |
sein, auch froh, dass wenigstens ein grober Einblick geboten wird. Und wer | |
wirklich wühlt, wer eintaucht, der erfährt durchaus Weiterführendes. Etwa | |
dass Hamburgs Gauleiter Karl Kaufmann nie für sein Tun zur Verantwortung | |
gezogen wurde, sondern nach dem Krieg mit einem anderen Hamburger | |
Naziverbrecher ein Versicherungsunternehmen gründen konnte, erneut ein | |
anerkannter Bürger der Stadt. | |
## Hanseatischer Pomp | |
Aber zum Glück muss man ja wieder raus, raus auf die viel befahrene Straße. | |
Steht wieder für sich auf dem geschlossenen, breiten Pflaster, schaut an | |
der nicht endend wollenden Fassade hoch und weiß wieder: Dieser Ort ist | |
eine Zumutung, weil er einem nichts zumutet. Weil alles Fragile und | |
Brüchige und nicht zuletzt das Verletzbare, das ein Menschenleben ausmacht, | |
noch einmal mehr nachträglich steinern verschlossen und erstickt wurde. | |
Weil hier der hanseatische Pomp auf eine Weise Hof hält, die sich nicht | |
beirren lässt. | |
Und das Kunstwerk, das hier entstehen soll, mit Namen „Stigma“? Eine | |
Intervention des [3][Projekts „Missing Icons“]: Der Gehweg wird gerade | |
einige Meter lang aufgebrochen, wird aufgefüllt mit einer | |
Granulatsplittschicht, eine Art Wunde soll sich so zeigen, so die Idee, | |
preisgekrönt nach einem Wettbewerb, auch um die Gemüter derer zu beruhigen, | |
die einen so schmalen Gedenkort bis heute nicht hinnehmen wollen. Ach ja, | |
die Kunst. Mal schauen, ob sie etwas ausrichten kann; noch zeigt sie sich | |
als Baustelle mit Absperrgittern. | |
Von daher und mal angenommen, man würde die damals prügelnden Schergen der | |
unteren Dienstgrade auf den Gängen wie die höher gestellten Befehlsgeber in | |
ihren Büros mit weitem Blick über die Stadt mal kurz aus der Hölle | |
hochlassen, sie würden anerkennend nicken: Macht doch noch immer was her, | |
dieser imposante Bau! Und sie würden stolz sein, dass sie hier mal arbeiten | |
konnten, in diesem einschüchternden Komplex. | |
5 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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