# taz.de -- Chance auf würdiges Gedenken: Gedenken ent-privatisiert | |
> Kommerzieller Gedenkort im Hamburger Stadthaus, der Ex-Gestapo-Zentrale, | |
> ist wegen Insolvenz gescheitert. Jetzt steigt eine Stiftung ein. | |
Bild: Kommerzielles Konzept gescheitert: Nun übernimmt eine Stiftung das Geden… | |
Hamburg taz | Was Kritiker seit Langem fordern, tritt jetzt ein: Die in | |
Neuengamme angesiedelte Stiftung „Hamburger Gedenkstätten und Lernorte“ | |
wird den Betrieb des Gedenkorts im innerstädtischen Stadthaus übernehmen. | |
Auslöser ist die jetzt angemeldete Insolvenz von Stephanie Krawehl, die | |
seit vier Jahren den „Lesesaal“ betreibt, einen „Dreiklang“ aus Buchlad… | |
Café und NS-Dokumentationsort. | |
Ersonnen hatten dieses Konstrukt die Stadt Hamburg und der Investor | |
Quantum, an den Hamburg die Immobilie 2009 verkauft hatte, den Gedenkort | |
aber nicht selbst betreiben wollte. Von den vertraglich zugesagten brutto | |
750 Quadratmetern Gedenk- und Lernortfläche waren dann 70 in jener | |
Buchhandlung geblieben, deren Inhaberin wenig Miete zahlte und dafür den | |
Zugang zum Gedenkort gewährleistete. Die Ausstellung haben dann | |
[1][Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme] konzipiert. | |
Als „Privatisierung des Gedenkens“ hatten Verfolgtenverbände dieses | |
Konstrukt bezeichnet. Auch der nach öffentlichen Protesten von der | |
Kulturbehörde einberufene Fachbeirat hatte die Fläche von Anfang an als zu | |
klein befunden. Immerhin war das Stadthaus in der NS-Zeit die | |
Gestapo-Zentrale gewesen, von der aus die Verfolgung und Deportation von | |
Juden, Sinti und Roma aus ganz Norddeutschland organisiert wurde. Zudem | |
wurden etliche Widerstandskämpfer im Stadthaus verhört, gefoltert, manche | |
umgebracht. | |
An 100 Freitagen hat die Initiative „Gedenkort Stadthaus“ vor dem Gebäude | |
deshalb für einen würdigen Gedenkort Mahnwachen abgehalten, und auch das | |
derzeit entstehende Kunstwerk „Stigma“ – eine stilisierte „Blutspur“ … | |
Trottoir – kann dessen Fehlen nicht kompensieren. Denn abgesehen vom | |
Mini-Gedenkort-Ort, einigen Stelen zur Baugeschichte in den Brückenarkaden | |
und dem „Seufzergang“, durch den die Gefangenen zu den Verhören gebracht | |
wurden, sind die „Stadthöfe“ inzwischen nobles Hotel- und | |
Gastronomiequartier geworden. Nicht einmal eine gut sichtbare Gedenktafel | |
findet sich an der schneeweißen Außenfassade. | |
## Chance für Neubeginn | |
Da bietet die Insolvenz des Buchladens eine Chance für eine Neuanfang, | |
findet auch Kultursenator Carsten Brosda (SPD), und die wolle man nutzen, | |
sagte er jetzt in der Bürgerschaft. Aber auch die aktuelle Eigentümerin des | |
Gebäudes, die Ärzteversorgung Niedersachsen, müsste Verantwortung für ein | |
professionalisiertes Gedenken übernehmen. Gespräche hätten begonnen, und | |
man sei sich einig, dass die Stiftung „Gedenkstätten und Lernorte“ den Ort | |
betreiben solle. Dem Vernehmen nach gibt es erste Signale, dass die | |
Ärzteversorgung die rund 250 Quadratmeter große Fläche mietfrei zur | |
Verfügung stellen wird. | |
Unklar ist noch, wer den Umbau – etwa den Einbau eines Seminarraums – sowie | |
jene Person bezahlt, die künftig den Zugang zum Gedenkort sicherstellen | |
soll. „Wir können Verwaltung und Leitung gewährleisten“, sagt Detlef Garb… | |
Chef der Stiftung, „außerdem eine Stelle für die Organisation von | |
Veranstaltungen.“ Man könne aber weder Betriebskosten zahlen noch Personal | |
für die Aufrechterhaltung der Öffnungszeiten. Auch Ehrenamtler und | |
Mini-Jobber eigneten sich hierfür nicht. Man brauche eine qualifizierte | |
Fachkraft. | |
Was die Ausstellung selbst betrifft, fordern Verfolgtenverbände und Beirat | |
eine Ergänzung – etwa um die Rolle des von dort rekrutierten Hamburger | |
Polizeibataillons 101, das an Massenerschießungen beteiligt war, sowie um | |
die Schicksale der [2][Widerstandskämpfer.] Dem will Garbe Rechnung tragen: | |
„Wir werden die vorhandene Ausstellung, die ja inhaltlich von guter | |
Qualität ist, nicht grundlegend verändern. Wohl aber ergänzen: Der | |
Widerstand wird anklingen und mehr Sichtbarkeit bekommen. Auch kleine, | |
ergänzende Wechselausstellungen seien denkbar. Für ein ganz neues großes | |
Museum reiche der Platz aber nicht. „In erster Linie werden wir den | |
Lernort-Charakter durch Gruppenbetreuung und Veranstaltungen stärken.“ | |
## Zeit für einen neuen Dreiklang | |
Auch das fordern Kritiker seit Jahren: „Nachdem der | |
[3][investorenfreundliche] Dreiklang des Senats aus Buchhandlung, Café und | |
Gedenkort gescheitert ist, wird es Zeit für den Dreiklang der Verbände und | |
des Beirats: Gedenken, Dokumentieren, Lernen“, sagt Norbert Hackbusch, | |
kulturpolitischer Sprecher der Linksfraktion. „Nur durch ein neues | |
Erinnerungskonzept kann mit der Lebenslüge aufgeräumt werden, Hamburg habe | |
im Nationalsozialismus lediglich eine Nebenrolle gespielt.“ | |
Kultursenator Brosda betont indes, das Stadthaus solle das Gedenken an die | |
Täter wachhalten, nicht an die Opfer. „Dafür wird in der zu erweiternden | |
Gedenkstätte in Fuhlsbüttel der richtige Ort sein.“ Die Arbeitsgemeinschaft | |
ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten sowie die Vereinigung | |
der Verfolgten des Naziregimes protestieren: „Wir halten daran fest, dass | |
auch der Widerstand gegen diesen Terror in die Mitte der Stadt zum | |
Stadthaus gehört“. Die Beschränkung auf die Täter an diesem Ort bedeutete | |
eine „eindimensionale Sicht der Geschichte, die wir als Opferverbände so | |
nicht hinnehmen können und werden“. | |
3 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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