# taz.de -- Debatte in Neuengamme: Gemeinsames Gedenken unerwünscht | |
> Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme lud russische und belarussische Offizielle | |
> aus. Die ukrainische Konsulin kam trotzdem nicht. | |
Bild: „CCCP“ – zu deutsch UdSSR – steht auf diesem Stein der KZ-Gedenks… | |
HAMBURG taz | Sollen Bürger verfeindeter Staaten gemeinsam erinnern? Und | |
wenn, was ist dann zumutbar und was nicht? Diese Debatte entbrannte jetzt | |
um die [1][KZ-Gedenkstätte Neuengamme] bei Hamburg, wo Menschen aus der | |
einstigen Sowjetunion die größte Opfergruppe ausmachten – wie in vielen | |
anderen KZ auch. Entsprechend hoch dekoriert sind seit 77 Jahren die | |
Gedenkfeiern, in Hamburg begangen am 3. Mai, dem Jahrestag der dortigen | |
Kapitulation. | |
Dass dieses Ritual im Jahr 2022 angesichts des [2][Kriegs in der Ukraine] | |
besonderer Umsicht bedürfe, war der Stiftung Hamburger Gedenkstätten klar. | |
Man könne es den internationalen Gästen „nicht zumuten, dass sie und wir in | |
diesem Jahr gemeinsam mit offiziellen RepräsentantInnen der Russischen | |
Föderation und aus Belarus zu einem Gedenken zusammenkommen, während | |
zeitgleich Russland mit Unterstützung von Belarus einen Angriffskrieg | |
gegen die Ukraine führt“, hieß es in einer Erklärung. Daher habe man die | |
diplomatischen und konsularischen Vertretungen von Russland und Belarus als | |
„unerwünscht“ ausgeladen. | |
Stattdessen sollten „Stimmen aus der ukrainischen und russischen | |
Zivilgesellschaft“ zu Wort kommen, so stand es zunächst im Programm. Dass | |
man damit pazifistische Stimmen meinte, war für die Gedenkstätte klar. Doch | |
das Hamburger Ukrainische Generalkonsulat fand die Formulierung zu | |
unverbindlich: Es zeuge von wenig Taktgefühl und Einfühlungsvermögen, bloß | |
anonyme ukrainische „Stimmen“ anzukündigen. Noch dazu neben einer Stimme | |
aus der „sog. russischen Zivilgesellschaft“. Ob es sich dabei um die | |
Gesellschaft handele, „welche in der letzten unabhängigen Befragung zu 81 | |
Prozent Freude, Stolz und Zufriedenheit über Putins Politik gegenüber der | |
Ukraine empfand?“. So formulierte es ein offener Brief des Konsulats an die | |
Gedenkstätte. | |
Neuengamme präzisierte die missverständliche Formulierung. Nun sollten | |
„ukrainische, aber auch russische und belarussische Stimmen gegen den Krieg | |
zu Gehör kommen“. Denn natürlich – das hatte man gleich zu Kriegsbeginn | |
deutlich gemacht – verurteilt die Gedenkstättenstiftung den | |
völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine zutiefst und fordert die | |
sofortige Beendigung der Kampfhandlungen. | |
## Kränze ohne Nationalfarben | |
Trotzdem bedeute die Ausladung nicht, dass russische und belarussische | |
Opfer nicht geehrt würden. Man werde vielmehr „explizit daran erinnern, | |
dass die ehemalige Sowjetunion neben Polen die Hauptlast des deutschen | |
Raub- und Vernichtungskrieges getragen hat“, so eine Erklärung aus | |
Neuengamme. | |
Daher würden auch VertreterInnen der Zivilgesellschaft aus Russland und | |
Belarus Kränze niederlegen; Überlebende und Angehörige ehemaliger Häftlinge | |
des KZ Neuengamme aus allen Ländern seien willkommen. Allerdings sollten | |
die Kränze weiß dekoriert sein und keine russischen oder belarussischen | |
Nationalfarben zeigen. | |
Auch habe Neuengamme versichert, dass der Austausch der VertreterInnen | |
beider Zivilgesellschaften kein Versöhnungsversuch sei, bestätigt ein | |
Sprecher des ukrainischen Konsulats. „Das würden wir vehement ablehnen.“ An | |
den Feiern hat dann zwar nicht die Konsulin teilgenommen, wohl aber zwei | |
Konsulatsvertreter. Deren Kranz war „auch den jetzigen Opfern des | |
totalitären russischen Regimes gewidmet“, sagt der Sprecher. | |
Wobei es eigentlich, von außen betrachtet, eine Zumutung ist, dass | |
GedenkstättenleiterInnen entscheiden müssen, wer hier – im Land der | |
[3][NS-Täter] – gemeinsam der Opfer gedenkt. Doch „KZ-Gedenkstätten | |
verstehen sich als Einrichtungen mit internationaler Ausstrahlung“, sagt | |
Detlef Garbe, der Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten. | |
„Diplomatisch-politische Verantwortung ist Gedenkstätten also nicht fremd.“ | |
Auch schwierige Situationen hätten immer wieder Auswirkungen auf die | |
Gedenkstättenarbeit gehabt – etwa der Kalte Krieg, der Nahostkonflikt, der | |
Zerfall Jugoslawiens und die nachfolgenden Kriege. | |
## Den 1945 abgelegten Schwüren verpflichtet | |
Grundsätzlich liegt es also nahe, dass sich Gedenkstätten immer wieder auch | |
tagespolitisch positionieren. Schließlich sind sie Hüter eines Erbes, zu | |
dem Vermächtnisse wie das Testament der Frauen von Ravensbrück oder der | |
Schwur von [4][Buchenwald] gehören. | |
Im befreiten KZ Buchenwald gab es 19. April 1945 eine erste Trauerfeier für | |
die Toten. Die Überlebenden gingen, nach Nationen geordnet, zu den Klängen | |
des Lagerorchesters zum Appellplatz. Dort wurde auf Russisch, Polnisch, | |
Deutsch, Französisch, Tschechisch und Englisch eine Gedenkansprache | |
verlesen. | |
Sie schloss mit den Worten: „Die endgültige Zerschmetterung des | |
Nationalsozialismus ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des | |
Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.“ Sie wurde als der Schwur von | |
Buchenwald bekannt und reiht sich ein in Versprechen, die auch in anderen | |
gerade befreiten Lagern gegeben wurden: dem Aufruf zur Koexistenz aller | |
Völker in Frieden, Demokratie und nationaler Souveränität. | |
8 May 2022 | |
## LINKS | |
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[4] /Kritik-von-der-Gedenkstaette-Buchenwald/!5791768 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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