# taz.de -- Folgen der Privatisierung: Hohe Mieten für einstige Eigentümer | |
> 2006 verhökerte der CDU-Senat in Hamburg viele städtische Immobilien. Das | |
> beginnt sich nun zu rächen, sind sich SPD wie Linke einig. | |
Bild: Hier ist der Finanzsenator nur noch Mieter: Gebäude der Hamburger Finanz… | |
HAMBURG taz | Ein [1][Erbe der CDU-Alleinregierung der Jahre 2004 bis 2008] | |
hat für die Hamburger Steuerzahler*innen womöglich teure Konsequenzen: | |
Damals hat der Senat reihenweise Bürogebäude verkauft, um Geld in die | |
Stadtkasse zu spülen. Die Mehrheit davon hat er sofort wieder | |
zurückgemietet, was der Stadt jetzt auf die Füße fallen könnte. | |
Denn viele der damals geschlossenen Mietverträge laufen 2026 aus; | |
Neuverträge könnten wegen der starken Preissteigerungen auf dem | |
Immobilienmarkt teuer werden. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) | |
befürchtet, dass die Stadt „von einer Kostenlawine überrollt“ werden | |
könnte. | |
Im Rahmen des „Projekts Immobilienmobilisierung“ (Primo) hatte der damalige | |
CDU-Senat unter Führung von Bürgermeister Ole von Beust und Finanzsenator | |
Wolfgang Peiner 187 städtische Gebäude zu einem Preis von mehr als 1,010 | |
Milliarden Euro verkauft. Rund 60 Prozent der Gebäude und Flächen wurden | |
sofort durch die Stadt zurückgemietet, heißt es in der Antwort des Senats | |
auf eine parlamentarische Anfrage vom 31. Oktober 2008. | |
Der Haushalt sei damals stark verschuldet und viele der zu verkaufenden | |
Gebäude seien sanierungsbedürftig gewesen, sagt dazu heute Thilo Kleibauer, | |
Fachsprecher für Haushalt und öffentliche Unternehmen der | |
CDU-Bürgerschaftsfraktion. Das eingenommene Geld sollte unter anderem für | |
Investitionen genutzt werden.,,In dieser Konstellation fand ich, das ist | |
auch nach wie vor meine Meinung, diese Transaktion sehr nachvollziehbar“, | |
sagt Kleibauer. | |
## Von Chancen und Schnapsideen | |
Das sieht auch Wolfgang Peiner heute noch so und sagt: „Unser Konzept war | |
in Hinblick auf Wirtschaftlichkeit und Stadtentwicklung sehr erfolgreich.“ | |
Die auslaufenden Mietverträge seien eine „Chance“, die „genutzt werden“ | |
müsse. | |
Dem aktuellen Finanzsenator Dressel geht es da anders. Infolge des | |
Primo-Deals residiert er zwar noch in dem traditionsreichen Behördengebäude | |
am Gänsemarkt, allerdings zur Miete. Den Verkauf bewertet er als „eine | |
Schnapsidee, bei der am Schluss eigentlich nur der Steuerzahler | |
draufzahlt“. | |
Aus einer Durchschnittsbetrachtung der Finanzbehörde geht hervor, dass die | |
Immobilien in den letzten 20 Jahren zwischen 60 und 120 Prozent an Wert | |
gewonnen haben. „Das ist endgültig der Beweis: Es war kein gutes Geschäft�… | |
resümiert Dressel und bezeichnet den Primo-Deal als ein „Veräußern von | |
Tafelsilber“. | |
Dass der Primo-Verkauf eine Fehlentscheidung gewesen sei, sei schon damals | |
absehbar gewesen, sagt Wolfgang Maennig, Professor für Wirtschaftspolitik | |
mit Schwerpunkt Stadt- und Immobilienökonomik an der Universität Hamburg. | |
Das Phänomen sei in abgewandelter Form auch in anderen Städten aufgetreten. | |
## Antizyklisch ist besser | |
Der Immobilienmarkt habe sich in einem,,typischen Tief“ befunden. Dass die | |
Preise in den folgenden Jahren steigen würden, sei immobilienwirtschaftlich | |
absehbar gewesen. „Finanzpolitisch war der Verkauf falsch. Man hat | |
prozyklisch auf dem Tiefpunkt der Immobilienwerte verkauft.“ | |
Wolfgang Marx, der zum Zeitpunkt der Verkäufe Bürgerschaftsabgeordneter für | |
die SPD war, leitete die entscheidende Sitzung des Haushaltsausschusses zum | |
Beschluss von Primo: „Damals war der neoliberale Diskurs ja noch weit | |
verbreitet und die Hamburger CDU versuchte, dabei mitzumachen.“ Damit sei | |
die Vorstellung bei vielen einhergegangen, dass [2][private Unternehmen oft | |
bessere Immobilienbesitzer als die Stadt seien]. | |
Das größte Problem sieht Marx darin,,,dass die Stadt so viele Grundstücke | |
und Immobilien aus der Hand gegeben hat, die sie nach wie vor selber | |
nutzt“. Daher habe es sich lediglich um eine kurzfristige,,Geldanschaffung“ | |
gehandelt. | |
Das empfand auch Walter Zuckerer so. Der damalige SPD-Abgeordnete stellte | |
sich 2006 vehement gegen die Verkäufe. Die sofortige Rückmietung vieler | |
Immobilien hielt er für inkonsequent. Viele der zum Verkauf stehenden | |
Gebäude seien schon damals nicht mehr als moderne Büros nutzbar gewesen. | |
Zuckerers Meinung nach hätten die Behörden direkt in neue Gebäude umziehen | |
sollen, anstatt [3][teilweise sanierungsbedürftige Gebäude] zurückzumieten. | |
## Wurde die Stadt „ausgeplündert“? | |
Die damaligen Berechnungen der CDU über die Wirtschaftlichkeit der Verkäufe | |
und die Rückmietungen seien zudem undurchsichtig gewesen, sagt Zuckerer und | |
ergänzt: „Die wenigsten von uns haben sie geglaubt.“ Eine Anfechtung der | |
Berechnungen vor dem Hamburger Verfassungsgericht sei aus Oppositionssicht | |
jedoch wenig aussichtsreich erschienen, sodass es bei starken Zweifeln | |
blieb, ergänzt sein damaliger Fraktionskollege Marx. | |
Der heutige SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Kienscherf sieht das Hauptproblem | |
darin, dass der damalige Finanzsenator Peiner einen engen Kontakt zur | |
Immobilienwirtschaft pflegte.,,Ich glaube, das hat man damals auch schamlos | |
ausgenutzt gegenüber der Stadt“, sagt Kienscherf. Die Stadt | |
sei,,ausgeplündert“ worden. | |
Belege dafür gebe es keine. Es habe aufgrund der komplexen Thematik auch | |
keinen großen Protest in der Öffentlichkeit gegeben. Innerhalb der | |
Bürgerschaft sei die CDU zwar,,heftigst kritisiert“ worden, aufgrund ihrer | |
damaligen absoluten Mehrheit habe dies aber keine Folgen gehabt. | |
Auch die Linke vermutet bei den Verkäufen eine Verquickung von Wirtschaft | |
und CDU-Politik. Die Aktiengesellschaft Alstria German REIT kaufte mit | |
einem geringen Eigenkapital und Krediten knapp 40 Primo-Objekte im Wert von | |
815,5 Millionen Euro. Die Kredite kamen unter anderem von der HSH Nordbank, | |
der damaligen Landesbank. Aus der Antwort auf die Parlamentsanfrage von | |
2008 geht außerdem hervor, dass die Alstria zur Hälfte einer | |
Tochtergesellschaft der Warburg-Bank gehört, welche derzeit wegen | |
Cum-Ex-Geschäften stark in der Kritik steht. | |
## Linke vermutet Finanzskandal | |
Norbert Hackbusch, Linken-Abgeordneter in der Bürgerschaft und Mitglied im | |
Haushaltsausschuss, vermutet in den Verkäufen einen Finanzskandal:,,Da ist | |
ein Unternehmen saureich geworden, das vorher nicht existierte, die haben | |
praktisch ihr Vermögen innerhalb kürzester Zeit verdoppelt. Wie kann das | |
sein?“ Die Alstria sei kurz nach den Verkäufen an die Börse gegangen und | |
habe ihr Vermögen vervielfacht. | |
Zudem soll es Verflechtungen zwischen den von der CDU herangezogenen | |
Beratern und der Alstria gegeben haben. Ein möglicher Zusammenhang lässt | |
sich etwa bei Alexander Stuhlmann erkennen, der zur Zeit von Primo noch | |
Vorstandsvorsitzender der HSH Nordbank war. Ein Bericht des | |
Haushaltsausschusses vom 20. Januar 2015 widerspricht dem Linken-Politiker | |
zwar darin, dass Stuhlmann nicht als Primo-Berater tätig gewesen sei, | |
jedoch geht aus einem Bericht des Haushaltsausschusses vom 7. Februar 2006 | |
hervor, dass die HSH Real Estate AG als Berater tätig gewesen ist. | |
Die Immobilienholding war eine Tochtergesellschaft der HSH Nordbank. | |
Stuhlmann verließ 2006 die HSH Nordbank, arbeitete dann bei der West LB und | |
war bereits 2008 Aufsichtsratsvorsitzender bei der Alstria. Auf eine Bitte | |
um Stellungnahme reagierte die Alstria nicht. | |
Trotz all der Kritik scheint die CDU die Veräußerung städtischen Besitzes | |
auch rückblickend nicht zu bereuen. Thilo Kleibauer war bereits damals | |
Bürgerschaftsmitglied und empfand den damaligen Diskurs als,,keine große | |
Aufregerdebatte“. Hamburg habe nicht, wie es in Berlin 2004 und auch in | |
anderen Städten der Fall war, die eigenen Wohnungsbestände verkauft. | |
Städtische Bürogebäude zu verkaufen, sei deutlich,,verträglicher“ gewesen. | |
## Die CDU sieht den Verkauf als Chance | |
Die stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Anke Frieling war damals noch | |
kein Mitglied in der Hamburger Bürgerschaft. Doch auch sie bewertet den | |
Verkauf im Nachhinein als sinnvoll. Die Primo-Immobilienpakete müssten aus | |
ihrer Zeit heraus begriffen werden. Hamburg sei in den 2000er-Jahren | |
geschrumpft. | |
,,Deshalb hatten wir ja das Motto,wachsende Stadt'“, sagt Frieling. Hiermit | |
meint sie das damalige CDU-Konzept, mit dem Hamburgs Stellenwert als | |
Metropole verbessert werden sollte. Um das realisieren zu können, habe man | |
Geld benötigt, was Hamburg damals nicht gehabt habe. | |
Vor dem Hintergrund, dass sich mittlerweile die Ansprüche an Bürogebäude | |
geändert hätten und viele der verkauften Immobilien außerdem | |
sanierungsbedürftig seien, sieht Frieling die in den nächsten Jahren | |
auslaufenden Mietverträge sogar als,,Chance“. Die Stadt könne nun neue | |
Gebäude anmieten, die den heutigen Bedürfnissen besser entsprechen. Diese | |
müssten technisch zeitgemäß ausgebaut sein, um für junge | |
Arbeitnehmer*innen attraktiv zu sein und keine hohen Energiekosten | |
verursachen. | |
Frieling verweist außerdem darauf, dass Finanzsenator Dressel bereits | |
inoffiziell die Quadratmeterzahl an Bürofläche pro Beschäftigten | |
heruntergesetzt habe, als Reaktion auf zunehmendes Arbeiten im Homeoffice. | |
## Verhandlungen über Mietverträge sind angelaufen | |
Die Verhandlungen über neue Mietverträge ab 2026 sind bereits angelaufen. | |
Erst dann lässt sich laut Finanzsenator Dressel zeigen, wie stark die | |
Auswirkungen auf die Steuerzahlenden sind. „Dann werden wir eine | |
Vermögensbilanz vorlegen, Vorher-Nachher-Vergleich, dann können wir sagen: | |
Was hat es am Schluss den Steuerzahler gekostet“, sagt Dressel. Nur bei | |
ausgewählten Gebäuden seien neue Verträge und Rückkäufe tragbar. Die | |
Finanzbehörde gibt aus Datenschutzgründen keine Einsicht in die Miethöhen | |
der aktuell 727 von der Stadt angemieteten Gebäude. | |
Sie kann auch keine Aussage über den Immobilienbesitz und die | |
Sanierungskosten der Stadt Hamburg machen. Das diesbezügliche Register | |
befindet sich derzeit erst im Aufbau. Als sein politisches Ziel gibt | |
Dressel an, dass sich zukünftig wieder über 50 Prozent der Flächen der | |
Hansestadt Hamburg im Eigentum der Stadt oder öffentlicher Unternehmen | |
befinden sollen. | |
Der Linke Hackbusch beurteilt dieses Ziel skeptisch: „Das ist das Fatale an | |
Privatisierung, du kriegst das durch nichts wieder eingefangen in der | |
gegenwärtigen Art“, sagt er. „Es ist für immer. Du bist völlig in der Ha… | |
dieser Investoren.“ | |
Sophie Schätzle und Emmy Thume studieren Journalistik und | |
Kommunikationswissenschaft an der Uni Hamburg. Dieser Text ist im Rahmen | |
eines Recherche-Seminars in Kooperation mit der taz nord entstanden. | |
17 Oct 2022 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Emmy Thume | |
Sophie Schätzle | |
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