# taz.de -- Günstige Mieten in Hamburg: Dem Immobilienmarkt entzogen | |
> Ein Kollektiv will Wohnraum kaufen und ohne Profitinteresse | |
> weitervermieten. Ein erstes Haus in Wilhelmsburg hat die Gruppe nun | |
> übernommen. | |
Bild: Dem Markt entzogen: Von der Likedeelerei gekauftes Haus in Hamburg-Wilhel… | |
HAMBURG taz | [1][Ohne die „Likedeeler“] hätte sich Philine Jaffke wohl | |
bald eine neue Wohnung suchen müssen: „Hätte ein Investor das Haus gekauft, | |
war unsere realistische Befürchtung, dass wir Mieter:innen dann wohl | |
raussaniert worden wären“, sagt Jaffke. Doch nun, kurz vor Weihnachten, | |
kommt es anders: In Hamburg-Wilhelmsburg ist ein Haus dem Immobilienmarkt | |
entzogen worden. | |
Ein kürzlich gegründetes Kollektiv hat es gekauft. Damit sollen die sieben | |
Mietwohnungen und ein Geschäftsraum in Zukunft, ähnlich wie bei dem | |
[2][bundesweit agierenden Mietshäusersyndikat], nicht mehr als Ware | |
gehandelt werden können. „Ich bin total glücklich darüber“, sagt Jaffke. | |
Der vorherige Eigentümer wollte das Haus am Vogelhüttendeich gern | |
verkaufen. Ihm sei es nicht zwingend um einen möglichst hohen | |
Verkaufsertrag gegangen und durch ein Gespräch mit einer der | |
Mieter:innen kam der Kontakt mit der Gruppe von der Likedeelerei | |
zustande. „Das war ein guter Zufall“, sagt Simon Stülcken. | |
Er ist Teil des sechsköpfigen Kollektivs, dass die Likedeelerei voriges | |
Jahr als Verein gegründet hat. Der Name ist an die [3][Freibeuter um Klaus | |
Störtebeker] angelehnt: Als „Gleichteiler“, so die Übersetzung aus dem | |
Niederdeutschen, setzten sie sich stark vom streng hierarchisch-feudalen | |
System des Mittelalters ab. Die Beute teilten sie gerecht untereinander | |
auf, die gesamte Besatzung hatte Mitspracherechte. „Wir wollen auch | |
gerechtere Strukturen schaffen – nur eben auf dem Wohnungsmarkt“, sagt | |
Stülcken. | |
## Ähnlich wie das Mietshäusersyndikat | |
Der Verein wiederum ist Gründer einer GmbH, die nun Eigentümer der | |
Immobilie ist. Anders als das Mietshäusersyndikat ist die Likedeelerei | |
keine Beteiligungsgesellschaft, die am Besitz des Hauses beteiligt wird, um | |
es dauerhaft vor dem Weiterverkauf zu schützen – sie will Immobilien | |
komplett kaufen, ohne dass die Bewohner:innen den Kaufpreis aufbringen | |
müssen. „Damit wollen wir günstigen Wohnraum für Menschen, die strukturell | |
benachteiligt werden, schaffen und erhalten“, sagt Stülcken. | |
Doch es musste dann alles ganz schnell gehen: „Es gab auch das | |
Kaufinteresse von größeren Unternehmen, die das Haus wohl luxussaniert | |
hätten“, sagt Stülcken – bis zu 14 Euro pro Quadratmeter wären am Ende b… | |
der Miete wohl herausgesprungen. Das hätte sich kaum eine:r der bisherigen | |
Mieter:innen leisten können, sagt Stülcken. | |
Die Mieter:innen spiegelten den durchmischten Stadtteil Wilhelmsburg gut | |
wider – migrantisch und mittlerweile auch alternativ-studentisch geprägt, | |
zählt er zu den ärmeren der Hansestadt. | |
Doch der Likedeelerei gelang es, den profitorientierten | |
Immobilienunternehmen zuvorzukommen: Binnen weniger Wochen sammelte sie | |
rund 600.000 Euro an Direktkrediten von Privatpersonen aus dem | |
Bekanntenkreis des Syndikats und der Mieter:innen ein. „Dass sie keine | |
hohen Zinsen erwarten können, wissen sie – sie machen es aus Überzeugung“, | |
sagt Stülcken. | |
## Investoren zuvorgekommen | |
Durch die hohe Summe aus der „Social Crowd“ musste die Likedeelerei nur | |
noch 40 Prozent des Kaufpreises durch einen Bankkredit mit seinen | |
gestiegenen Zinsen auftreiben. Als beides in kurzer Zeit gelang, konnte die | |
Likedeelerei vorige Woche den Kaufvertrag unterschreiben. | |
Weiteres Geld müssen die neuen Eigentümer in der Zukunft dennoch | |
auftreiben: Das 1886 erbaute Haus muss an mehreren Stellen vom Dach bis zu | |
den Abwassersielen saniert werden. Sollten weitere Privatpersonen | |
Direktkredite geben, würde das die Finanzierung erleichtern. | |
Ganz ohne eine Erhöhung der bisher mit knapp sechs Euro pro Quadratmeter | |
niedrigen Miete wird die Instandhaltung jedoch nicht gelingen: „Unser Ziel | |
ist, dass wir im Durchschnitt die 8,50 Euro pro Quadratmeter nicht | |
überschreiten“, sagt Stülcken. Damit würde die Miete weiter deutlich unter | |
dem Mietenspiegel liegen. Und es sollen auch individuelle Lösungen mit den | |
Mieter:innen gefunden werden – je nachdem, was für sie finanziell zu | |
tragen ist. | |
23 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://likedeelerei.org/ | |
[2] /Hausprojekt-in-Neukoelln/!5900729 | |
[3] /Slime-Gitarrist-Elf-ueber-Stoertebeker/!5501069 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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