# taz.de -- Deutsche Wohnen & Co enteignen: Wenn nichts anderes mehr hilft | |
> In Berlin hat eine Mehrheit der Bevölkerung für die Vergesellschaftung | |
> von Wohnungen großer Unternehmen gestimmt. Wie sieht es in anderen | |
> Städten aus? | |
Bild: Wird der Berliner Volksentscheid auf andere deutsche Städte ausstrahlen? | |
## In Hamburg ist der Wohnungsmarkt anders strukturiert | |
Was Berlin kann, will Hamburg auch können. Schließlich ist die Wohnungsnot | |
hier größer. Zwar baut die Immobilienwirtschaft wie bekloppt, aber die | |
Preise drückt das nicht. Wohnraum ist teuer und wird immer teurer. | |
Eine [1][Initiative mit dem Namen „Hamburg – wann enteignen wir?“] startet | |
nun den Versuch, die kämpferische Euphorie und den Erfolg der | |
Mieter*innenbewegung von Berlin nach Hamburg zu holen. Leider geht | |
das nicht ohne Weiteres. Der Wohnungsmarkt hier ist ganz anders | |
strukturiert. So ist die größte Vermieterin in Hamburg kein Immobilienhai, | |
sondern das städtische Wohnungsunternehmen Saga. Hamburg ist zudem eine | |
Hochburg der Genossenschaften, ihnen gehören rund 20 Prozent des | |
Mietwohnungsbestands. Wem der Rest gehört, ist schwer zu ermitteln, weil im | |
Unterschied zu Berlin wenige börsennotierte Unternehmen dabei sind. Nur die | |
sind verpflichtet, öffentlich Rechenschaft abzulegen, sodass man ihren | |
Bestand kennt. Ein öffentliches Immobilienregister für den Rest gibt es | |
nicht. Einer Kampagne in Anlehnung an Deutsche Wohnen & Co. enteignen würde | |
also das Feindbild fehlen. Klar, es gibt Vonovia, Heimstaden und TAG, ihnen | |
gehören etwa 30.000 Wohnungen. Bei einem Bestand von 740.000 Mietwohnungen | |
hamburgweit sind das aber gerade mal 4 Prozent. Dafür lohnt sich der | |
Aufwand wohl eher nicht. | |
Man könnte natürlich fordern, dass auch Privatvermieter*innen mit | |
einem Bestand von 500 Wohnungen enteignet werden. Da wird es aber | |
juristisch heikel. Das Recht auf Eigentum ist im Grundgesetz verankert. Die | |
Berliner*innen konnten argumentieren, dass es gewahrt bleibt, wenn man | |
nur die Player mit absurd großem Bestand enteignet. Wenn man an kleinere | |
Bestände ranwill, wird es also schwieriger. | |
Ein weiterer Unterschied liegt in der Schlagkraft der Mieter*innenbewegung. | |
In Hamburg hat die Bewegung 2009 ihren Zenit überschritten, seitdem ist sie | |
im Sinkflug. Teile der Bewegung haben auch Berührungsängste mit | |
parlamentarischen Instrumenten wie Volksinitiativen. Andere sind ganz | |
anders organisiert als in Berlin, wo Aktivist*innen von Deutsche Wohnen | |
& Co. enteignen unermüdlich von Tür zu Tür gingen und mit den Menschen | |
gesprochen haben. Das Ergebnis war eine riesige Organisierung von unten. | |
Aber so etwas aufzubauen dauert eben seine Zeit. Die Hamburger*innen | |
sollten also nicht nur die juristischen Fragen klären, sondern auch damit | |
schnell beginnen. | |
Katharina Schipkowski, Hamburg | |
## Teurer Beton auf der Großbaustelle Stuttgart | |
Im Südwesten der Republik gibt es eine Großbaustelle namens Stuttgart, auf | |
der Beton alle nur denkbaren Formen annehmen kann – nur nicht die von | |
bezahlbaren Wohnungen. In einer der reichsten Städte der Republik ist ein | |
Zehntel der Bevölkerung überschuldet, 100.000 Menschen hätten als | |
Wohnberechtigte einen Anspruch auf eine preisgünstige Sozialwohnung. Das | |
Problem: Davon gibt es hier nur 14.000, und von Jahr zu Jahr werden es im | |
Schnitt 200 weniger. | |
Die kommunale Politik beteuert, gegensteuern zu wollen, und so sind | |
Investor*innen bei großen Projekten verpflichtet, ein Drittel aller | |
Neubauwohnungen preisgebunden günstig zu vermieten. Weil aber mehr alte | |
Sozialwohnungen vom Markt verschwinden als neue entstehen, verdampft der | |
Tropfen, noch bevor er auf dem heißen Stein landet. Wie in fast jeder | |
großen Stadt gab es vor vielen Jahren einen nennenswerten Bestand an | |
Wohnungen in öffentlicher Hand. Heute [2][gehören sie der Vonovia]. | |
Doch auch bei den Sozialwohnungen in Stuttgarter Besitz steigt der Druck | |
auf die Mietenden. So ist bei der städtischen Wohnungsgesellschaft [3][SWSG | |
eine Mieterhöhung geplant], obwohl diese letztens einen Jahresgewinn von | |
17,7 Millionen Euro eingefahren hat. | |
Obwohl die Mieten in Stuttgart noch ein gutes Drittel über denen in Berlin | |
liegen, wären Enteignungen hier undenkbar – allein schon, weil die Städte | |
im Südwesten keine Gesetzgebungskompetenz haben und auf den Beistand | |
Baden-Württembergs angewiesen wären. Doch Ministerpräsident Winfried | |
Kretschmann (Grüne) hat die Vergesellschaftung von Wohnraum schon im April | |
2019 [4][als „Unsinn“ abgekanzelt]: „Die Debatten um Enteignung von | |
Wohnungsbaugesellschaften führen wir mit Sicherheit nicht.“ | |
Warum eigentlich nicht? [5][Fünf der zehn teuersten Durchschnittsmieten] | |
haben Städte in [6][Baden-Württemberg] vorzuweisen. Trotz großer Not bleibt | |
der Protest vergleichsweise zurückhaltend. Demonstrationen der | |
verschwörungsgläubigen „Querdenker“-Bewegung konnten in letzter Zeit | |
deutlich mehr Menschen auf die Straßen locken als solche gegen den allzu | |
realen Mietenwahnsinn. Bleibt die Hoffnung, dass die Berliner Aufmüpfigkeit | |
hier noch ein paar Leute zur Nachahmung ermuntert. | |
Minh Schredle, Stuttgart | |
## Druck auf städtische Wohnungsgesellschaft in Frankfurt | |
Das Frankfurter Bündnis Mietenwahnsinn unterstützt die Berliner Kampagne | |
zur Enteignung der Wohnungskonzerne. Seine Aktivisten hatten eine | |
Gruppenbahnfahrt zur zentralen Demo in Berlin organisiert. Doch die eigenen | |
Aktivitäten zielen eher auf die Stadtregierung und die stadteigene | |
Wohnungsbaugesellschaft ABG. | |
Als Eigentümerin von 52.000 Wohnungen habe die „ein großes Gewicht in der | |
Bankenmetropole“. Im Falle von Neubauten soll sie nach dem Willen der | |
Initiative ausschließlich öffentlich geförderte und preisgebundene | |
Wohnungen errichten und die Mieten für sozialwohnungsberechtigte Mieter auf | |
6,50 Euro pro Quadratmeter begrenzen. Die Stadt hält das Bürgerbegehren, | |
das mehr als 22.000 Unterschriften trägt, für rechtswidrig, weil es | |
unzulässig in die Kompetenzen des Stadtparlaments eingreife. Vor Gericht | |
kämpft das Bündnis jetzt um die Zulassung einer Abstimmung. | |
Wenn eine Familie mit drei Personen in Frankfurt am Main eine Wohnung sucht | |
und nicht mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens für die Miete | |
aufbringen will, ist ein Nettoeinkommen von monatlich 4.200 bis 4.500 Euro | |
erforderlich, in gefragten Stadtteilen sogar 6.200 bis 7.200 Euro. Die | |
Zahlen stammen aus einer Studie der Beratungsgesellschaft Immoconcept. | |
Obwohl Stadtverordnetenversammlung und Magistrat in den letzten Jahren | |
rechtliche Bestimmungen mehrfach verschärft haben und Investoren eine feste | |
Quote an Sozial- oder geförderten Wohnungen vorschreiben, wurden im Jahr | |
2020 gerade mal 21 Sozialwohnungen fertiggestellt. Gleichzeitig fallen | |
jedes Jahr Hunderte Sozialwohnungen aus der Bindung. Die Folge sind zum | |
Teil drastische Mieterhöhungen oder der Verkauf der Immobilie an | |
Investoren. | |
Die [7][neue Stadtregierung aus Grünen, SPD, FDP und Volt] will den Druck | |
auf Bauherrn verstärken. Private Investoren müssen bei neuen Projekten | |
mindestens 30 Prozent, die stadteigene GWG sogar 40 Prozent geförderte | |
Wohnungen einplanen. Nach dem Ausscheiden der CDU aus dem Magistrat soll | |
auch das Vorkaufsrecht der Stadt in besonders gefragten Wohngebieten | |
häufiger genutzt werden, aber dafür ist viel Geld nötig. Immobilienhaie, | |
die Wohnhäuser aufkaufen, Mieter herausekeln und das Objekt in | |
Eigentumswohnungen aufteilen, sind inzwischen nicht mehr nur in den | |
gefragten Stadtgebieten aktiv. Nach Überzeugung von SPD, Grünen und Linker | |
muss das Verbot der Umwandlung von Mietobjekten in Eigentumswohnungen | |
verschärft werden. | |
Die in Hessen regierende CDU verweigert den mitregierenden Grünen bislang | |
sogar ein Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum. Eigentümer, die ihre | |
Wohnimmobilie leer stehen lassen und mit der Wertsteigerung spekulieren, | |
müssen keine Sanktionen fürchten. Die Illusion, dass „Bauen, bauen, bauen!�… | |
für eine Entlastung sorgen könnte, ist indes geplatzt. Luxuswohnungen zur | |
Miete oder zum Kauf sind reichlich zu haben, Wohnungen zu bezahlbaren | |
Mieten dagegen nicht. Kurzfristig würde sich daran nichts ändern, wenn alle | |
Forderungen der Ampelregierung und der Mieterinitiativen durchgesetzt | |
würden. Langfristig schon. | |
Christoph Schmidt-Lunau, Frankfurt | |
## An Rhein und Ruhr gibt es kein schlagkräftiges Bündnis | |
Auch an Rhein und Ruhr gehen die Mieten durch die Decke: In Köln werden bei | |
Neuvermietungen im Durchschnitt 10,55 Euro pro Quadratmeter aufgerufen – | |
eine Steigerung von 15 Prozent seit Ende 2017. Im Ruhrgebiet ist es nicht | |
besser: Bochum meldet plus 15 Prozent, und selbst am Rand des Reviers in | |
Witten ist Wohnen um 13 Prozent teurer geworden. | |
Dennoch setzt die schwarz-gelbe Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vor | |
allem auf den Markt – und schielt auf ihre Klientel: So hat sie etwa die | |
[8][Umwandlungsverordnung] 2020 auslaufen lassen. Diese hätte verhindern | |
sollen, dass aus Miet- schnell Eigentumswohnungen werden. | |
In der Politik setzt in NRW bisher nur die Linke klar auf Enteignung. Die | |
Grünen wollen Immobilienspekulation stärker besteuern – in den Metropolen | |
wird oft nicht gebaut, weil Investor:innen darauf warten, dass die | |
Grundstückspreise weitersteigen. Und die SPD fordert darüber hinaus die | |
Neuauflage einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft. Deren Vorgänger LEG | |
hatte Armin Laschets CDU-Vorgänger Jürgen Rüttgers 2008 per | |
Privatisierung verramscht. | |
Ein schlagkräftiges Bündnis für die Enteignung großer Immobilienkonzerne | |
gibt es in NRW trotzdem noch nicht. Zwar fordern eine [9][Initiative | |
namens Recht auf Stadt] und der MieterInnenverein Witten eine | |
Vergesellschaftung großer Bestände. Und auch der Deutsche Mieterbund, der | |
Enteignungen in NRW lange strikt abgelehnt hat, zeigt sich beeindruckt von | |
den 56 Prozent, die beim Berliner Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co. | |
enteignen mit Ja gestimmt haben. | |
Doch [10][in NRW ist der Weg zu einem Volksentscheid, wie er in Berlin | |
stattfand, weit] – vorgeschaltet sind Volksinitiative und Volksbegehren. | |
Mieter:innen schneller helfen könnte ein Machtwechsel nach den | |
Landtagswahlen nächsten Mai. Mit entsprechendem gesellschaftlichem Druck | |
auf SPD und Grüne könnten neue Gesetze dafür sorgen, dass immer mehr | |
Wohnungen zurück unter öffentliche Kontrolle gelangen, mit mehr | |
Mitbestimmungsrechten und Mietpreisbindung für die darin Wohnenden. Und | |
wenn an Rhein und Ruhr irgendwann eine Mehrheit der Wähler:innen für die | |
Enteignung milliardenschwerer Spekulanten stimmt – umso besser. | |
Andreas Wyputta, Bochum | |
1 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Initiative-zur-Enteignung-in-Hamburg/!5800403 | |
[2] https://www.kontextwochenzeitung.de/wirtschaft/248/annington-heisst-jetzt-v… | |
[3] https://www.kontextwochenzeitung.de/wirtschaft/546/auf-kosten-der-mieter-77… | |
[4] https://www.sueddeutsche.de/politik/wohnungspolitik-stuttgart-kretschmann-g… | |
[5] https://www.f-und-b.de/files/fb/content/Dokumente/Immobilienmarktdaten/PM_F… | |
[6] /Berliner-Wohnungsmarkt/!5797585 | |
[7] /Neue-Stadtregierung-in-der-Mainmetropole/!5795791 | |
[8] /Umwandlung-in-Eigentumswohnungen/!5657975 | |
[9] http://karte.rechtaufstadt-ruhr.de/ | |
[10] /Bundesweiter-Aktionstag-am-Samstag/!5582221 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
Minh Schredle | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
Andreas Wyputta | |
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