# taz.de -- Kreuzberger Stadtrat zu Vorkaufsrecht: „Den Menschen nicht vermit… | |
> Baustadtrat Florian Schmidt kritisiert die Entscheidung des | |
> Bundesverwaltungsgerichts scharf. Er betont aber: Sie ließe sich leicht | |
> korrigieren. | |
Bild: „Ein Baustein einer progressiven Stadtpolitik ist geschwächt worden“… | |
taz: Herr Schmidt, Ihr Name steht schon fast als Synonym für die Nutzung | |
des Vorkaufsrechts durch die Bezirke in Berlin – Sie haben [1][damit | |
mehrere tausend Wohnungen in landeseigene Hand gebracht.] Sind Sie nach der | |
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts arbeitslos? | |
Florian Schmidt (lacht): Natürlich nicht. Die Problematik, die das | |
Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung am Dienstag aufgeworfen | |
hat, war uns bekannt: An dieser Stelle des Gesetzes ist das Konzept des | |
Gesetzgebers nicht klar genug. Wir haben also keine irreparable | |
Gesetzeslage, sondern es ist allen schon länger bewusst, dass hier eine | |
Klarstellung vorgenommen werden muss. Das Land Berlin hatte im November | |
2020 im Bundesrat einen entsprechenden Antrag gestellt. Aber offenbar hat | |
man die Problematik auf der Bundesebene unterschätzt. | |
Es ließe sich also leicht ändern? | |
Ich bin ganz froh, dass mit dem Neustart auf Bundesebene diese Reparaturen | |
vorgenommen werden können, damit das [2][Vorkaufsrecht, das ja in allen | |
Großstädten in Deutschland seit Jahrzehnten angewandt wird,] eingesetzt | |
werden kann. Alles andere ist den Menschen in den Städten auch gar nicht | |
vermittelbar. | |
Im Bund läuft es auf eine Ampel hinaus, an der auch die FDP beteiligt sein | |
wird. Ich teile Ihre Hoffnung nicht, dass die neue Bundesregierung großes | |
Engagement zeigen wird, eine investorenfeindliche Politik umzusetzen. | |
Ich glaube, dass das eine sehr spezielle Situation ist. Die bisherige große | |
Koalition hat die Frist für den Vorkauf von zwei auf drei Monate | |
verlängert, das Vorkaufsrecht also gestärkt. Es muss jetzt wirklich erst | |
einmal jedem bewusst werden, welch' gravierender Bruch diese Entscheidung | |
ist. Und hier zu sagen, das sei investorenfeindlich, kann ich überhaupt | |
nicht nachvollziehen. Insofern erwarte ich, dass der Status quo | |
wiederhergestellt wird – damit die Herausforderungen der Zukunft angegangen | |
werden können. | |
Was meinen Sie? | |
Klimaschutz in den Städten betrifft zum großen Teil die Dämmung von | |
Gebäuden. Und das wird teuer. Wir können die Energiewende aber nicht | |
umsetzen, wenn es gleichzeitig eine erhöhte Belastung der Menschen durch | |
Spekulation gibt. Wir brauchen eine Atempause für die Mieterinnen und | |
Mieter. Deshalb ist der Milieuschutz nicht nur für uns Grüne von extremer | |
Bedeutung. Es müsste es auch für die SPD sein, weil sie ja stets das | |
Soziale betont. | |
Was können Sie tun, bis das Gesetz eventuell angepasst wurde? Das | |
Vorkaufsrecht war ja, wie gesagt, ein wichtiges Instrument. | |
Richtig, mit dem Vorkaufsrecht ist ein Baustein einer progressiven | |
Stadtpolitik erst mal geschwächt worden. Aber es gibt andere wichtige | |
Baustellen. Wir müssen zum Beispiel schauen, welcher Schaden schon | |
angerichtet wurde auf dem Wohnungsmarkt, etwa bei jenen Häusern, die | |
bereits in Eigentumswohnungen aufgeteilt worden sind. Das wird ein großes | |
Problem. Wir brauchen ganz neue Instrumente, um Eigenbedarfskündigungen | |
einzuschränken. | |
Aber das heißt jetzt, man kann das Vorkaufsrecht erst einmal nicht mehr | |
ziehen. Sehe ich das richtig? | |
Zunächst müssen wir das schriftliche Urteil insgesamt abwarten und genau | |
prüfen. Aber so, wie es aussieht, ist das jetzt wohl so. Das oberste | |
Gericht hat eine Interpretation vorgelegt, die denen der Vorinstanzen | |
widerspricht und die auch wir für falsch halten. | |
Ist denn nachvollziehbar, warum das oberste Bundesgericht jetzt von den | |
Vorinstanzen abgewichen ist? | |
Es ist leider nicht das erste Mal, dass das Bundesverwaltungsgericht | |
Gesetze zum Mieterschutz kippt, die langjährige Praxis der Kommunen waren. | |
Es sind eben verschiedene Auslegungen der Gesetzeslage möglich. Das | |
Bundesverwaltungsgericht hat sich streng am Wortlaut orientiert; es ist | |
daher eine Präzisierung des Vorkaufkonzepts im Baugesetzbuch notwendig. Das | |
ist schnell umsetzbar. | |
Befürchten Sie denn Auswirkungen für die Häuser, für die das Vorkaufsrecht | |
schon gezogen wurde, wo die Verträge also abgeschlossen sind? | |
Vorkaufsbescheide, die rechtskräftig sind, werden Bestand haben, insofern | |
ist unsere Politik auch nicht umsonst gewesen. Wie es sich mit Abwendungen | |
verhält, müssen wir noch prüfen. | |
Vor einem möglichen Vorkauf durch den Bezirk gibt es das Angebot einer | |
Abwendungsvereinbarung. Wenn der Investor die unterzeichnet und sich | |
entsprechenden sozialen Zielen verpflichtet, wird nicht vorgekauft. Wenn er | |
aber nicht unterzeichnet, ist das doch bereits ein klares Zeichen für | |
angestrebte Wertsteigerungen durch den Kauf: Warum also reichte dies dem | |
Gericht nicht als Beleg dafür, dass der Investor Verdrängungsabsichten hat? | |
Wir müssen jetzt das schriftliche Urteil abwarten. Hauptansatzpunkt des | |
Bundesverwaltungsgerichts ist aber die Idee, dass es einen Ausschlussgrund | |
im Baugesetzbuch gibt – den wir jedoch für sinnentleert halten. In Paragraf | |
26.4 heißt es, dass ein Vorkaufsrecht ausgeschlossen ist, wenn die Nutzung | |
einer Liegenschaft den Zielen einer städtebaulichen Maßnahme entspricht, | |
und dies sei bei Wohnhäusern in Milieuschutzgebieten immer der Fall. Das | |
ist aus meiner Sicht eine falsche Auslegung des Gesetzes, denn beim | |
Milieuschutz geht es nicht darum, eine noch anstehende Entwicklung zu | |
erreichen, sondern den Bestand zu erhalten. | |
10 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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