# taz.de -- Bürgerbegehren verhindert Bauprojekt: Hauptsache nicht Vonovia | |
> Trotz hamburgweit steigender Mieten hat ein Bürgerbegehren den Bau von | |
> 300 Wohnungen gestoppt. Ein Grund ist das Misstrauen gegen den | |
> Vonovia-Konzern. | |
Bild: Oben links ist noch Platz: Ausschnitt des Eisenbahnerviertels in Hamburg-… | |
HAMBURG taz | Das Eisenbahnerviertel in Hamburg-Eidelstedt liegt neben | |
einem großen Bahnhof zum Abstellen und Warten von Zügen. Dort gibt es | |
Kleingärten, Sportanlagen und locker ins Grün gestreute Wohnblöcke: Platz | |
für weitere Bewohner, fand die Bezirkspolitik. Doch daraus wird trotz | |
mehrjährigen Vorlaufs fürs Erste nichts. Ein Grund: Misstrauen gegen den | |
Wohnungsbaukonzern Vonovia. | |
Das Vorhaben liegt jetzt auf Eis, weil ein im August initiiertes | |
Bürgerbegehren genügend Unterschriften gesammelt hat, um das Schaffen | |
weiterer Fakten in der Sache zu verhindern. Das verschafft der Initiative | |
Zeit, um weiter zu sammeln und die Bezirksversammlung zu zwingen, sich mit | |
ihrem Anliegen zu befassen. | |
Das Bürgerbegehren kommt einem zentralen politischen Anliegen des | |
rot-grünen Hamburger Senats in die Quere. Der will die munter steigenden | |
Mieten dadurch dämpfen, dass er 10.000 neue Wohnungen im Jahr baut. Meist | |
schafft er das auch, doch es wird immer kniffliger, denn auf der grünen | |
Wiese soll möglichst wenig gebaut werden und in der Stadt wird es immer | |
schwieriger, geeignete Orte zu finden, nicht zuletzt, weil sich die | |
Nachbarn wehren. | |
Dabei sind die Bedenken gegen das Projekt weniger | |
städtebaulich-architektonischer als vielmehr sozialer Art. Geplant sind 229 | |
Wohnungen für rund 900 Menschen. „Schon jetzt fehlen im Planbereich Ärzte | |
und Plätze in Kindergärten und Schulen“, kritisiert das Bürgerbegehren. | |
Fluktuation und soziale Verdrängung seien vorauszusehen. Das Viertel sei | |
ohnehin schon strukturell benachteiligt, „Gettobildung“ drohe. | |
Der Stadtteil hat 35.000 Einwohner und mit 13 Prozent deutlich mehr | |
Sozialhilfeempfänger als der Hamburger Durchschnitt mit zehn Prozent oder | |
gar der Bezirk Eimsbüttel mit sechs Prozent. Darunter sind besonders viele | |
Kinder. „Wir stehen zu den Wohnungsbauzielen des Bezirks“, sagt der | |
Eimsbütteler SPD-Fraktionschef Gabor Gottlieb. Zum jetzigen Zeitpunkt | |
vertrage das Eisenbahnerviertel eine solche Nachverdichtung aber nicht. | |
„Wenn man nachverdichtet, muss das funktionieren“, sagt Gottlieb. | |
Voraussetzung dafür sei, dass die Eigentümerin, der Dax-Konzern Vonovia, | |
erst mal seine Bestände pflege. Dessen [1][Häuser seien „nicht wirklich gut | |
in Schuss“]. Angemahnte Reparaturen würden häufig verschleppt. Gottlieb | |
fordert deshalb ein Sanierungskonzept für die Gebäude und die Infrastrukur | |
drumherum, bevor von Neubauten die Rede sein könne. | |
Die Klage über Vonovia als Vermieter kann Rolf Bosse, Geschäftsführer beim | |
Mieterverein zu Hamburg, nachvollziehen. Von 10.000 Vonovia-Wohnungen | |
würden 2.000 vom Mieterverein betreut. Bei diesen Klienten gebe es immer | |
wieder Streit mit Vonovia, was an der Geschäftspolitik des Konzerns liege. | |
So lege [2][Vonovia Kosten] etwa für die Fassadendämmung oder die | |
Erneuerung der Wohnungen auf die Mieter um – alles im gesetzlichen Rahmen, | |
wie Bosse betont. Dabei nutze Vonovia aber eine Grauzone, die zu | |
Auseinandersetzungen führe. „Das, was umgelegt wird, sind häufig | |
Instandhaltungsmaßnahmen“, sagt Bosse. | |
Zum Geschäftsmodell des Konzerns gehöre auch, dass Vonovia mit den | |
Betriebskosten Geld verdiene. Bosse leitet das daraus ab, dass der | |
[3][Geschäftsbereich „Value Add“, also wohnungsnahe Dienstleistungen, 2020 | |
gut 150 Millionen Euro erwirtschaftete]. Die Rechnungen der dabei | |
eingesetzten Subunternehmer bekämen die Mieter nicht zu Gesicht, sodass die | |
tatsächlichen Kosten nicht nachgeprüft werden könnten, sagt Bosse. | |
Vonovia versichert, sehr wohl in die Wohnungen zu investieren. 40 Prozent | |
der Bestände seien in den vergangenen sechs Jahren umfassend modernisiert, | |
acht Prozent teilsaniert worden. | |
In Workshops zu den Verdichtungsplänen hätten die Bewohner 2017 vor allem | |
soziale Einrichtungen als sehr wichtig bewertet. „Diese Themen sind als | |
Aufgabenstellung in den Masterplan aufgenommen worden und sollen, wenn es | |
nach uns und unseren Mietern geht, umgesetzt werden“, versichert | |
Vonovia-Sprecher Christoph Schwarz. | |
## Grüne wollen Kompromiss | |
Unter den geplanten Wohnungen seien sozial geförderte sowie bezahlbare, | |
frei finanzierte Wohnungen. Darüber hinaus seien geplant eine Kita mit 80 | |
Plätzen, ein Nachbarschaftstreff, Gemeinschaftsräume, ein Quartiersbüro, | |
Flächen für altersgerechtes Wohnen sowie Büros. Eine weitere Schule sei bei | |
rund 300 neuen Wohnungen nicht notwendig. | |
Ziel des Bebauungsplans für das neue Quartier sei es ausdrücklich, die | |
desolate soziale Infrastruktur zu verbessern, sagt der Grünen-Fraktionschef | |
Ali Mir Agha. Zusammen mit der CDU schoben die Grünen das Projekt an. | |
Inzwischen ist die Bezirkskoalition geplatzt. Jetzt müssen von Fall zu Fall | |
Mehrheiten gesucht werden. | |
Agha hat den Vertrauensleuten des Bürgerbegehrens angeboten, über einen | |
Kompromiss zu verhandeln: weniger Wohnungen, weniger Durchgangsverkehr, | |
bessere Nahversorgung und ein schönerer öffentlicher Raum. „Dann hätten | |
alle was gewonnen“, sagt er. | |
Auch Bosse vom Mieterverein plädiert dafür zu bauen. „Die Probleme, die wir | |
mit Vonovia haben, kriegen wir in den Griff“, sagt er. | |
21 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Aerger-mit-dem-Wohnungskonzern-Vonovia/!5663626 | |
[2] /Urteil-Hoehere-Miete-nach-Sanierungen/!5659695 | |
[3] https://reports.vonovia.de/2020/geschaeftsbericht/anhang/abschnitt-c-sonsti… | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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