| # taz.de -- Gedenkort „Stadthaus“ in Hamburg: Blutrote Risse im Pflaster | |
| > Das Künstlerinnenduo „missing icons“ hat den Wettbewerb zur Gestaltung | |
| > des Außenbereichs der ehemaligen Hamburger Gestapo-Zentrale gewonnen. | |
| Bild: Soll 2020 realisiert werden: Visualisierung der Arbeit „Stigma/Wiedergu… | |
| Hamburg taz | Noch ist der Gedenkort „Stadthaus“ in der Hamburger | |
| Innenstadt ein provisorischer. Noch ist der Streit darüber, ob die bisher | |
| veranschlagten rund 70 Quadratmeter Ausstellungsfläche in dem | |
| modernisierten 100.000 Quadratmeter großen Bau die vielfältige | |
| Verfolgungsgeschichte der ehemaligen NS-Gestapo- und Polizeizentrale | |
| ausreichend darstellen kann, alles andere als beigelegt. | |
| Immerhin ist jetzt etwas auf den Weg gebracht, das für Aufmerksamkeit wie | |
| Konfrontation vor Ort sorgen könnte: eine Art „dreidimensionaler | |
| Stolperstein“, der als ein „Denkzeichen“ für Passanten wie für Besucher | |
| agieren könnte, wie es in der Ausschreibung zu einem Kunstwettbewerb der | |
| Hamburger Kulturbehörde umschreibend hieß. Initiiert auf Empfehlung des | |
| nachträglich eingerichteten Fachbeirats ist sie wohl auch ein Versuch der | |
| Behörde, den offenkundigen Unmut, der unter den | |
| Hinterbliebenen-Organisationen der NS-Opfer, aber auch in der | |
| Historiker-Szene nach Bekanntgabe erster Konzeptideen ausbrach, wenigstens | |
| abzumildern. Nach dem Motto: Okay, wir tun etwas. Beziehungsweise: Wir | |
| versuchen es mal. Und wozu gibt es Kunst im öffentlichen Raum? | |
| Nun ist dieser Wettbewerb abgeschlossen. Per Jury-Votum mit dem ersten | |
| Preis ausgezeichnet und damit für die Realisierung vorgeschlagen wurde die | |
| Arbeit „Stigma/ Wiedergutmachungsversuche“ von „missing icons“, worunter | |
| sich die Hamburger Künstlerinnen Ute Vorkoeper und Andrea Knobloch | |
| subsumieren. | |
| ## Riss durch die Welt | |
| Das Künstlerduo will den Gehwegbereich vor dem mittlerweile aufgehübschten | |
| Stadthaus eigenhändig mit dem Vorschlaghammer wieder aufbrechen und in die | |
| dann entstanden Rissstellen eine Masse aus weichem, rot eingefärbtem | |
| Granulatsplitt gießen. Auf dass ab dann eine verzweigte, eben rissige | |
| Fläche das Um- wie Vorfeld des Stadthauses bestimmt und nicht mehr | |
| übersehen werden kann. Plus die Farbe Rot gleich Blut; sind doch im | |
| Stadthaus in den NS-Jahren zahlreiche Menschen drangsaliert und aufs | |
| schwerste misshandelt worden. | |
| Der Bezirk Hamburg-Mitte, der sozusagen die Gehweghoheit hat, hat seine | |
| Zustimmung bereits signalisiert: Mit einer Realisierung kann also | |
| gerechnet werden, allerdings erst 2020. Wobei es spannend sein wird, wie | |
| weit sich die so gestaltete Fläche tatsächlich erstrecken wird: Nur direkt | |
| vor dem eigentlichen, von außen bisher kaum sichtbaren Gedenkort mit der | |
| Hausnummer „Stadthausbrücke 6“? Oder weiter darüber hinaus in den | |
| öffentlichen Raum, sodass etwa der Eingangsbereich des angrenzenden Hotels | |
| „Torture“ mit seiner Wohlfühlwelt miteingeschlossen wäre? | |
| Der Riss, der durch die Welt geht; der sich nicht heilen lässt, der | |
| sichtbar bleibt, das ist eine oft benutzte Metapher in der Literatur und | |
| der Kunst. Sie stellt eine entscheidende Frage: Wer oder was hat diesen | |
| Riss verursacht? Und wer hat diesen Riss bisher nicht gesehen und wenn, | |
| dann nicht in handelnder Absicht zur Kenntnis genommen? | |
| Hoffnung macht da die Ankündigung des Künstler-Duos, das begleitend zu | |
| ihrer Bodenarbeit eine Publikation erstellt werden und ausliegen soll, die | |
| sich dem Verdrängungsprozess des Ortes widmen wird, der gleich nach dem | |
| Krieg einsetzte und der von den politischen Akteuren der Hansestadt | |
| weitgehend gestützt wurde, bis mit dem Verkauf des Areals an einen privaten | |
| Großinvestor sich das Verschweigen nicht mehr aufrecht erhalten ließ: „Zur | |
| allseitiger Beruhigung wurde die Einrichtung eines Gedenkortes in der | |
| ehemaligen NS-Exekutivzentrale beschlossen und dieser Kunstwettbewerb | |
| ausgeschrieben“, heißt es keck kommentierend im Projekttext von „missing | |
| icons“. | |
| Einen bemerkenswerten Entwurf hat noch Hannimari Jokinen aus Hamburg mit | |
| „nach längerer Dunkelheit“ abgeliefert. Sie schlägt vor, ebenfalls den | |
| Gehwegbereich zu gestalten – nur mit eingelassenen Schrifttafeln, die die | |
| Aussagen einstiger Opfer unmittelbar, aber bruchstückhaft aufgreifen. Etwa: | |
| „mit Ochsenziemern, Gummiknüppeln, Stuhlbeinen, Stahlruten/nach längerer | |
| Dunkelheit ein Geständnis unterschrieben“. | |
| Auch der Vorschlag „I AM (NOT) SAFE“ von Ariel Reichmann hat Potenzial: Er | |
| sieht vor, dass man sich an aufgestellten Monitoren über die Biografien von | |
| ins Stadthaus Verschleppten informieren kann. Andere Entwürfe zieht es | |
| erstaunlicherweise arg ins Allegorische; rätselhaft bleibt etwa der Entwurf | |
| des Büros Steinbrener/Dempf+Huber aus Wien, der mit Masken aus Afrika | |
| hantiert, während Nadia Kaabi-Linke aus Berlin mit „Erinnerungsrisse“ die | |
| Riss-Metapher erneut aufgreift, nur ist sie mit ihren dezent eingerissenen, | |
| einzelnen Gehwegplatten entschieden zu zahm, zu defensiv. | |
| ## Bruchstücke der Erinnerung | |
| 250.000 Euro hat die Hamburgische Bürgerschaft der Hamburger Kulturbehörde | |
| für das nachträgliche Kunstwerk bewilligt. Für die Realisierung des | |
| Wettbewerbes, durchgeführt durch das Büro Luchterhandt, wurden 50.000 Euro | |
| veranschlagt. An die KünstlerInnen, deren Entwürfe man zur Begutachtung | |
| durch eine Jury entgegengenommen hat, gehen von den verbleibenden 200.000 | |
| Euro insgesamt 12.500 Euro: Der erste Preis ist mit 3.000 Euro dotiert, den | |
| sich Vorkoeper/Knobloch zu teilen haben. Der zweite Preis erbringt 2.000 | |
| Euro, der dritte folglich 1.000. Wer leer ausgegangen ist, bekommt für die | |
| oftmals professionell hergestellte Präsentation seines Vorschlags eine | |
| Aufwandsentschädigung von je 500 Euro. | |
| So erzählt dieser städtische Wettbewerb, ganz unabhängig von seiner | |
| thematischen Ausrichtung, von den prekären Arbeitsbedingungen, unter denen | |
| KünstlerInnen, die sich für derartige Aufträge bewerben, tätig sein müssen | |
| – und dass es sich mehr lohnt, einen solchen Wettbewerb zu organisieren, | |
| als für ihn künstlerisch zu arbeiten. | |
| Und wo wir gerade bei Zahlen, bei Dimensionen sind, ein symbolischer Wink: | |
| Die Fläche, auf der derzeit die verschiedenen Entwürfe zu betrachten sind, | |
| ist weit größer als der geplante Erinnerungsort im Stadthaus, auf den so | |
| markant verwiesen werden soll. | |
| 8 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
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