# taz.de -- Historiker über frühere Gestapo-Zentrale: „Ein Ort systematisch… | |
> Nur wenig erinnert daran, dass Hamburgs Stadthaus, heute Luxus-Areal, in | |
> der NS-Zeit Gestapo-Zentrale war. Jetzt erschien ein umfangreicher | |
> Katalog. | |
Bild: Viel Information auf wenig Raum: Info-Tisch in der Ausstellung im Hamburg… | |
taz: Herr Diercks, was war das Stadthaus in der NS-Zeit für ein Ort? | |
Herbert Diercks: Es war einerseits bis zum Bombardement Hamburgs 1943 Sitz | |
des Hamburger [1][Polizeipräsidiums.] Zusätzlich war dort die | |
Gestapo-Leitstelle für ganz Norddeutschland untergebracht, also die | |
Gestapo-Zentrale. Auch die Kriminalpolizei hatte dort ihre Büros. | |
Wie war die „Arbeitsteilung“? | |
Da war einmal die ganz normale uniformierte Schutzpolizei, die auch in den | |
Polizeirevieren Dienst tat und zudem als eine Art Bereitschaftspolizei in | |
den Polizeikasernen untergebracht war. Sie wurde ab 1933 für Verhaftung | |
politischer GegnerInnen eingesetzt. Aus Schutzpolizisten wurde 1933 auch | |
das berüchtigte „Kommando zur besonderen Verwendung“ zusammengestellt. Es | |
war ein Schlägerkommando, das in eher politisch links orientierten | |
Stadtteilen Razzien und Verhaftungen durchführte und Gewaltterror ausübte. | |
Auch die Leitung des ersten Hamburger KZ Wittmoor unterstand uniformierter | |
Polizei. Und schließlich bestanden auch die [2][„Polizeibataillons“,] die | |
in Polen und der [3][damaligen Sowjetunion] an Massenerschießungen | |
beteiligt waren, aus Schutzpolizisten. | |
Und welche Rolle spielte die „politische Polizei“? | |
Sie hatte die Aufgabe, 1933 zunächst den erwarteten breiten Widerstand zu | |
brechen und möglichen Widerstand in den Folgejahren zu unterdrücken. Aus | |
der „politischen Polizei“ wurde später die Geheime Staatspolizei, die | |
Gestapo, die ja am bekanntesten ist für NS-Verbrechen. Sie war auch | |
zuständig für die Überwachung und Deportation der jüdischen Bevölkerung. | |
Auch die ungefähr 1.000 Hamburger [4][ZwangsarbeiterInnenlager] mit 400.000 | |
bis 500.000 InsassInnen wurden von der Gestapo überwacht. | |
Und wofür war die Kriminalpolizei zuständig? | |
Für die Überwachung und Verfolgung der Roma und Sinti, der Homosexuellen, | |
sogenannter „Asozialer“, die nicht ins Bild der NS-“Volksgemeinschaft“ | |
passten: Obdachlose wurden festgenommen und in Lager gesperrt. Auch für die | |
„vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ war die Kripo zuständig. Das heißt, | |
dass Menschen aufgrund von Vorstrafen, aufgrund einer „ungünstigen | |
Sozialprognose“ präventiv verhaftet und ins KZ gesperrt wurden. Oft | |
übrigens mit dem Vermerk „Rückkehr unerwünscht“, das heißt, der- oder | |
diejenige sollte das KZ nicht unbedingt überleben. | |
Und welche Verbrechen wurden im Stadthaus vor Ort verübt? | |
Die Organisation von Verbrechen ist ja auch schon ein Verbrechen, und die | |
Büros dort saßen voll mit SchreibtischtäterInnen. Zu einem unmittelbaren | |
Ort für NS-Verbrechen wurde das Stadthaus insbesondere für die Männer und | |
Frauen des Widerstands. Denn dort fanden die Verhöre statt, bei denen die | |
Verhafteten schwer misshandelt, zusammengeschlagen, gezielt in den | |
Selbstmord getrieben wurden. Oft sind Aussagen unter systematischer Folter | |
erpresst worden. Diese „verschärften Vernehmungen“ begannen mit der | |
Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 und dauerten bis Kriegsende | |
1945. Es gab gefürchtete Kommissare – wie Peter Kraus –, die die | |
Verhafteten zusammenschlagen ließen. Und im Keller gab es – heute nicht | |
mehr erhaltene – Arrestzellen, in denen die Menschen viele Stunden | |
eingesperrt waren. Von dort zur Vernehmung und zurück zu gehen war ein | |
besonders schwerer Weg. | |
Er führte durch den „Seufzergang“ über das Bleichenfleet. | |
Ja. Das Stadthaus ist in mehreren Bauabschnitten errichtet worden, und es | |
gibt auf beiden Seiten des Bleichenfleets Stadthaus-Gebäude. Der | |
„Seufzergang“ ist ein kleiner versteckter Gang vom Untergeschoss des einen | |
Gebäudes über die Brücke zum anderen Gebäude, durch den die Verhafteten zu | |
ihren Verhören gingen. Der Begriff „Seufzergang“ entstammt dem Roman „Die | |
Prüfung“, den der Hamburger Widerstandskämpfer [5][Willi Bredel] im Exil | |
über die Bedingungen im KZ Fuhlsbüttel schrieb. | |
Wie wird all dessen gedacht? | |
Das Stadthaus ist ein Ort, der bei Angehörigen ehemals Verfolgter bis heute | |
Beklemmungen auslöst. Es ist ein Denkmal, das aus der Sicht vieler | |
Angehöriger nicht angemessen gestaltet worden ist: [6][Luxus-Geschäfte,] | |
Restaurants, ein Hotel in der einstigen „Folterhölle“ werden als der Opfer | |
unwürdig empfunden. Zudem sind von 750 Quadratmetern Ausstellungsfläche, | |
die der Investor gegenüber der Stadt bei der Privatisierung 2009 zusagte, | |
für die Hauptausstellung 50 geblieben – neben dem Café eines Buchladens. | |
Wir haben versucht, die erwähnten Verbrechenskomplexe auf dieser Fläche | |
unterzubringen und mit wenig Information auf der Oberfläche und viel | |
Information in der Vertiefung gearbeitet. | |
Das heißt? | |
Da es vor allem um SchreibtischtäterInnen geht, haben wir – neben einem | |
symbolträchtig schief gestellten Schreibtisch im Fenster – mit acht | |
Stahltischen gearbeitet, die Themen zugeordnet sind. Wer mehr wissen will, | |
kann in bereit gestellten Karteikästen, Hängeregistern oder auf Monitoren | |
und Screens recherchieren. Dort ist zum Beispiel die gesamte Aussstellung, | |
die wir 2012 zum [7][Widerstand in Hamburg] gezeigt haben, eingestellt – | |
sowie, unter anderem, die interaktive Karte der Hamburger | |
ZwangsarbeiterInnenlager. Insgesamt ist es ein Ort, an dem | |
Sachinformationen vermittelt werden. Es ist kein Gedenkraum. | |
Und was bieten die Info-Stelen im Gang über das Bleichfleet? | |
Dies ist ein Teil der Fläche, die der Investor – die Quantum Immobilien AG | |
– in die 750 Quadratmeter hineingerechnet hat. Uns von der KZ-Gedenkstätte | |
Neuengamme, die nicht Trägerin des Gedenk- und Lernorts ist, ihn aber auf | |
Beschluss der Hamburger Bürgerschaft begleitet, war sofort klar, dass wir | |
auch diesen Platz nutzen würden. Nach schwierigen Verhandlungen hat sich | |
ein von der Kulturbehörde eingesetzter Beirat mit dem Investor auf sechs | |
Leuchtstelen geeinigt, die die Bau- und Nutzungsgeschichte der Stadthöfe | |
vermitteln. Der Text endet mit den schon in den 1980er-Jahren erhobenen | |
Forderungen nach einem Gedenkort und dem Verweis auf die erste 1981 | |
angebrachte Gedenktafel. Auch dies ist kein Gedenkort, aber als | |
Informationsangebot funktioniert er ganz gut. Er ist immer zugänglich, und | |
Leute, die dort vorbeigehen, bleiben hängen und lesen sich ein. | |
Und wie viel Andacht erlaubt der „Seufzergang“? | |
Auch er ist als öffentlich zugänglicher Ort gedacht – wenn man die etwas | |
versteckte Klingel betätigt, schließt der oder die jeweilige | |
Café-Angestellte auf. Im Gang selbst gibt es eine Hörstation mit | |
ZeitzeugInnenberichten, die Hamburger SchauspielerInnen eingesprochen | |
haben. Ansonsten ist der Raum leer und still und kommt am ehesten einem | |
Gedenkort nahe. | |
Und was bietet Ihr frisch erschienener Ausstellungskatalog? | |
Er enthält, leicht zugänglich und zum Durchblättern, alle Ausstellungstexte | |
– auch diejenigen, die man sich sonst mühsam durch elektronische Medien, | |
Karteikästen, Register erarbeiten müsste. Er ist also eine gute Ergänzung | |
zu den anderen drei „Säulen“ der Stadthaus-Ausstellung. | |
22 Jun 2021 | |
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[4] /Debatte-ueber-einstiges-NS-Haeftlingslager/!5768236 | |
[5] http://www.bredelgesellschaft.de/schoeps/bredel.html | |
[6] https://www.baumeister.de/david-chipperfield-stadthoefe-hamburg/ | |
[7] http://www.offenes-archiv.de/de/WeitereAusstellungen/rathausausstellung_201… | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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