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# taz.de -- NS-Widerstandsroman „Die Prüfung“: Eine notwendige Qual
> Wiedergelesen: Anfang 1935 erschien Willi Bredels „Die Prüfung“. Der
> Roman handelt vom Alltag im KZ Fuhlsbüttel – der Autor wusste, wovon er
> schrieb.
Bild: Kein strahlender Held: Willi Bredel (l.) bei der Vorstellung der „Bibli…
„Die Prüfung“ ist ein schreckliches Buch. Willi Bredels Roman zu lesen,
macht wirklich keinen Spaß. Aber es ist wichtig: Er berichtet aus erster
Hand von der Anfangszeit der NS-Diktatur, in klaren, schlackenlosen Sätzen.
Bredels Sprache braucht an keiner Stelle den Vergleich [1][mit der von Hans
Fallada zu scheuen]. Und was er zu erzählen hat, ist inhaltlich ohnehin
relevanter.
Aber genau deshalb verursacht das vor 90 Jahren veröffentlichte Buch
Qualen. Nicht der Anfang: Da wirkt’s, und das ist ein kluger
kompositorischer Griff, als läse man einen fulminanten Großstadtroman, ja,
einen Politthriller der ein famoses Panorama von Hamburg entwirft.
Aber so, wie der NS-Terror gleich am Bleichenfleet [2][mitten in der Stadt
seine Herzkammer eingerichtet hat], steht auch im Zentrum des Romans das
Leben von August 1933 bis zum Frühjahr 1934 – im Konzentrationslager
Fuhlsbüttel. Und an keiner Stelle gönnt Bredel sich und seinen
Leser*innen eine erholsame Abdrift in die wirkungsbewusste
kleine-Männer-Gefühligkeit, mit der andere Autoren der Neuen Sachlichkeit
sich und ihr Publikum betäuben.
Bredel war aus dem Hamburger KZ 14 Monate nach seiner Verhaftung entlassen
worden, also um Pfingsten 1934. Ihm war klar: Noch einmal würde er das
nicht überleben. Also ging er außer Landes, erst nach Prag, später dann
Moskau.
Bredel war Sohn eines Zigarrensortierers, und dass er in der herrlich
galligen Wirtschaftskurzgeschichte „Ernte 23 oder Ein Held der westlichen
Welt“ 1960 ausgerechnet vom brutalen Aufstieg des Philipp K.F. Reemtsma zum
Monopolisten erzählt, hat möglicherweise auch etwas mit dieser Herkunft zu
tun.
Vor allem aber war der gelernte Dreher und zwischenzeitliche Matrose sowie
Taxifahrer ein kommunistischer Aktivist. Schon beim kläglichen Hamburger
Aufstand 1923 war Bredel dabei gewesen. Schon damals war er im Knast
gelandet, war Journalist geworden, bevor man ihn 1930 wegen vermeintlichen
Hochverrats wieder zwei Jahre wegsperrte. Im März 1933 nahmen ihn dann die
Nazis hops, elf Monate wurde er in Fuhlsbüttel isoliert in Haft gehalten,
zweieinhalb davon in Dunkelhaft.
Erzählerisch meisterhaft, und ja, fast lesbar wie eine gallige Antwort oder
sinistre Parodie auf die Zeitthematik in Thomas Manns zehn Jahre zuvor
erschienenem „Zauberberg“ macht Bredel in den Dunkelhaft-Kapiteln der
„Prüfung“ den Verlust jedes Gefühls für Dauer spürbar, den Verlust auch…
Elementar-Rhythmus von Tag und Nacht – und das Ringen, sich diesen durch
intellektuelle Anstrengung zu bewahren.
Durchgestanden habe Bredel diese Zeit indem er den Roman bereits konzipiert
hat, „im Kopf geschrieben“, heißt es im Vorwort der ersten
Nachkriegsausgabe. Das Buch auf Papier zu bringen sei „nur noch eine
technische Angelegenheit“ gewesen. Schon im Sommer 1934 waren Auszüge der
„Prüfung“ wohl als Vorabdruck in Zeitschriften erschienen. Ganz fertig war
der Roman dann im Herbst. Die Umschlaggestaltung übernahm John Heartfield,
Meister der politischen Collage und wie Bredel in die Tschechoslowakei
geflüchtet.
Sein Bruder, der Verleger Wieland Herzfelde, erledigte den Rest: Rechtlich
gesehen hatte der seinen Malik-Verlag aus Charlottenburg nach London
umgesiedelt. Aber dort gab’s nur einen Briefkasten, die Arbeit fand in
einer Prager Einzimmerwohnung statt. Gedruckt wurde in Moskau, wo das Buch
mit anderem Umschlag fast gleichzeitig in der „Verlagsgenossenschaft
Ausländischer Arbeiter in der UdSSR“ herauskam.
Nach Hans Beimlers Aufzeichnungen „Im Mörderlager Dachau“ (1933), aber noch
vor dem anonymen Bericht [3][„Als sozialdemokratischer Arbeiter im
Konzentrationslager Papenburg“ (1935)] ist „Die Prüfung“ das erste Werk,
das einen Einblick in die Anfänge des Systems Konzentrationslager
verschafft. Es tut aber noch mehr als diese Berichte.
Ohne den dokumentarischen Wert zu schmälern, kann Bredel im Roman auch
Innensichten des Terrorregimes anstellen: Er zeichnet Gestapo-, SA- und
SS-Leute nicht als Typen oder gar Karikaturen, er lässt sie reden. Zeigt
wie sie sich mit Tabakschiebereien und anderen Ganoventricks an den
Häftlingen bereichern. Manche haben schon Zweifel am Regime, andere
berauschen sich an ihrer eigenen Grausamkeit.
Ebensowenig sind bei Bredel die KZ-Insassen eine einheitliche Masse: In
Schlafsaalgesprächen tragen sie den Konflikt aus zwischen Sozialdemokraten
und den Kommunisten, die sich von jenen verraten sehen. Auch widmen sie
sich der Frage, wie nach dem Sturz des Regimes an den Nazi-Schergen Rache
zu nehmen sei. Dass sie in geheimer Abstimmung bis auf einen alle für
Totschießen sind, statt fürs Totprügeln, nehmen sie sich als allzu human
fast ein wenig übel.
Eine Figur, der kommunistische Agitator Heinrich Torsten, in dem am meisten
von Bredel selbst steckt, schrammt in Wochen der Dunkelhaft nur knapp am
Wahnsinn vorbei – und erkennt erst nach einer gefühlten Ewigkeit in den
Klopfzeichen aus der Nachbarzelle codierte Nachrichten.
Selten sind die Lichtblicke: Als der Journalist Dr. Fritz Koltwitz – in ihm
hat Bredel [4][vor allem das Martyrium des Lübecker
Bürgerschaftsabgeordneten und Zeitungsredakteurs Fritz Solnitz] gespiegelt
– einen Brief von seiner Frau erhält, ist es für ihn ein Freudentag:
„Koltwitz liest den Brief dreimal, liest ihn immer noch einmal, lacht und
weint dabei vor Freude“, heißt es.
Der Mann stellt fest: „Das Leben ist schön. Wie schön und lebenswert
eigentlich, das hat er erst hier erkannt.“ Später wird er totgeprügelt. Und
so schreitet die Erzählung von planmäßigen Erniedrigungen über Tritte und
rohe Schläge über die systematischer Folter mit einem Tauende bis hin zum
plötzlichem Erschrecken der Schergen, wenn sie mal wieder zu weit gegangen
sind.
Der erste Gefangene, der zusammenbricht, da sind wir noch nicht im KZ, ist
John Tetzlin, ein kommunistischer Hafenarbeiter. „Ein Koloß von einem
Mann“, nennt Bredel ihn: Auch diesem Tetzlin hat er Elemente seiner eigenen
Biografie geliehen. Anders als der heroische Torsten kann Tetzlin die
Verhöre im Stadthaus aber nicht aushalten, in Hamburgs Polizeizentrale.
## Erhängt aus Scham und Schuld
Wieder zurück in der Einzelzelle, verzweifelt er: „Alle haben sie dir
vertraut, John, alle haben sie in dir einen stahlharten Bolschewiken
gesehen. Alle haben dich geliebt, John, und du verrätst deinen Org-Leiter“,
zermartert er sich nächtens den Kopf, „hetzt die Bluthunde auf die Spuren
deines Freundes.“ Er fiebert. Schreit seinen Verrat raus in die Nacht. Dass
er sich erhängt hat, erfahren die Leser*innen dann beiläufig aus dem
Munde eines Wachtmeisters.
Zu den wichtigsten Figuren des Romans gehört Gottfried Miesicke. Er
betreibt nahe der Colonnaden ein Kleidungsgeschäft, „Herrenkonfektion en
gros“, und tritt auf beseelt vom Hochgefühl eines prima Abschlusses: Er hat
vorteilhaft 18 Kartons Krawatten verkauft.
Dass dieser vergnügte und durchaus liebenswerte Spießer auf dem
Alsterdampfer sorglos vor Glück drauflosplappert, wird ihm zum Verhängnis.
Denn dabei spricht er mit Torsten, den die Staatspolizei observiert. Also
wird auch er einkassiert, obwohl er sich doch völlig unpolitisch weiß.
Miesicke ist einer von drei jüdischen Charakteren des Romans. Bredel hatte
sehr früh und sehr genau die ideologische Bedeutung des Judenhasses fürs
Nazitum erfasst. Schon 1931 war er ihm im Roman „Rosenhofstraße“
erzählerisch entgegengetreten. Nach dem Krieg brüskierte er mit „Das
schweigende Dorf“ (1948) [5][fast schon die offizielle Geschichts- und
Gedenkpolitik in Sowjetischer Besatzungszone und DDR: Die hätte den
Holocaust lieber verdrängt].
## Wahre Helden gibt es nicht
Die Literaturwissenschaftlerin Birgit Schmidt weist zurecht darauf hin,
dass die Figur Miesicke [6][problematische Stereotype bedient]. An keiner
Person setzt der Roman die Erniedrigung so plastisch in Szene, einen
Kommunisten etwa, der die Kontrolle über seinen Schließmuskel verliert,
gibt’s in keinem Bredel-Roman, so Schmidt. Allerdings: Von Miesickes
Kollaps erfährt man nur aus dem Mund von SS-Männern. Schlägt da deren
Judenhass durch?
Wahre Helden gibt es nicht. Bredel ist eine beeindruckende, aber keine
harmlose oder gar strahlende Figur. In den 1930ern schwärzt er politisch
unzuverlässige Schrifstellerkollegen in Moskau an. Später, als Mitglied des
Zentralkomitees der SED, hilft er auf widerlichste Weise, den Weggefährten
und Kollegen Walter Janka fertig zu machen.
Genießbarer wird sein Werk dadurch nicht – wichtig bleibt es. Umso
schlimmer, dass es selbst in Hamburg, wo die [7][Willi-Bredel-Gesellschaft]
sitzt, kaum noch präsent ist. Dabei erzählen gerade Bredels beste Bücher
auch die Geschichte und die Geschichten dieser Stadt. Mit klarem Blick für
die Opfer, ohne falsche Rücksicht auf die Täter. Schonungslos, notwendig
quälend. Und zwingend wiederzulesen.
1 Jan 2025
## LINKS
[1] /Berlinale-Wettbewerb/!5277880
[2] /Historiker-ueber-fruehere-Gestapo-Zentrale/!5780123
[3] https://www.fruehe-texte-holocaustliteratur.de/wiki/Als_sozialdemokratische…
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Solmitz
[5] https://muse.jhu.edu/pub/19/article/381783/pdf
[6] https://unrast-verlag.de/2022/11/rezension-zu-kein-licht-auf-dem-galgen/
[7] /!5349792/
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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