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# taz.de -- Debatte über einstiges NS-Häftlingslager: Neue Chance für würdi…
> Die Pläne für das einstige ZwangsarbeiterInnenlager im Hamburger Hafen
> sind unklar. Mit Investoren geplante Gedenkorte haben bisher kaum
> funktiert.
Bild: Fast aus der Erinnerung gefallen: das einstige Hamburger ZwangsarbeiterIn…
Hamburg taz | Er wirkt wie eine Verdichtung der komplexen, tragischen
Geschichte: der einzelne Stolperstein vor dem Lagerhaus G am „Dessauer
Ufer“ im Hamburger Hafen, jenem 24.000 Quadratmeter großen Backsteinbau von
1903, in dem die SS 1944/1945 mehrere tausend Kriegsgefangene und
ZwangsarbeiterInnen kasernierte.
Der Stein gilt der aus Prag stammenden Margarethe Müller, die 1944 vom KZ
Auschwitz zur Zwangsarbeit in dieses größte Frauenlager des KZ Neuengamme
deportiert wurde und dort starb. Er wurde nach einer Beschädigung auf
Initiative Güven Polats erneuert, der die Eigentümergemeinschaft vertritt.
Er sagt, er habe etliche Schicksale niederländischer Häftlinge erforscht,
pflege Kontakte zu Opferverbänden und sei im Vorstand der 2020 gegründeten
niederländischen „Heritage Foundation Lagerhaus G“. Der Stolperstein solle
der erste einer größeren Reihe sein, sagt Polat. Denn natürlich gebe es
weit mehr Menschen, deren Schicksal gewürdigt gehöre, und zwar in einer
individuelleren Form, als es die beiden Gedenktafeln an der Fassade tun.
Denn zu den bereits internierten russischen und italienischen
Kriegsgefangenen kamen im Juli 1944 zunächst 1.000 ungarische und
tschechische Jüdinnen aus dem [1][KZ Auschwitz] ans Dessauer Ufer. Einen
Monat später folgten 500 polnische Jüdinnen aus Auschwitz, die man aus dem
Getto Lódż geholt hatte. Sie alle mussten im Zuge des
„Geilenberg-Programms“ – ein Sofortmaßnahmenprogramm zur Rettung der
zerstörten Mineralölindustrie – für Konzerne wie Rhenania Ossag (Shell) und
Ebano-Oehler (Esso) Aufräumungsarbeiten verrichten.
## Maroder Zustand
Die Fluktuation war hoch: Nachdem die SS die Frauen auf andere Lager
weiterverteilt hatte, folgten 2.000 männliche Häftlinge aus dem KZ
Neuengamme, gleichfalls für das „Geilenberg-Programm.“ „Ein Kommando mus…
auch Panzergräben bei Hittfeld ausheben“, vermerkt zudem die Internetseite
der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
Die Überlebenschancen derer, die in Innenräumen arbeiteten, waren größer
als im KZ – weshalb die aus Auschwitz kommenden Frauen bei der Ankunft
Hoffnung schöpften, wie sie später erzählten. Den Männern erging es
schlechter: 150 von ihnen kamen bei einem Bombenangriff ums Leben. Weitere
starben im April 1945, als die SS das Lager räumte und die Häftlinge auf
„Todesmärsche“ unter anderem ins [2][Lager Sandbostel] schickte.
An all dies erinnert fast nichts, im Gegenteil: Der riesige Backsteinquader
im einstigen Freihafen in Hamburg-Veddel liegt außer Sicht- und
Erinnerungsweite. Und derzeit, sagt Eigentümervertreter Polat, erlaube die
Hamburg Port Authority (HPA) aufgrund des Hafenentwicklungsgesetzes nur
eine hafenkonforme Nutzung – weshalb die Hallen als Lager dienten.
Doch das denkmalgeschützte Gebäude gilt als marode. „Wir sorgen uns seit
langer Zeit um den Zustand des Lagerhauses G“, sagt Kristina Sassenscheidt,
Geschäftsführerin des [3][Hamburger Denkmalvereins.] „Durch Löcher im
Dachbereich ist jahrelang Feuchtigkeit ins Gebäude eingedrungen und hat
erhebliche Schäden an den Holzkonstruktionen des Daches und der Decken
verursacht. Im Mauerwerk der Außenwände haben sich starke Risse gebildet,
und die Holzpfahlgründung ist möglicherweise nicht mehr tragfähig.“ Daher
könne die Standsicherheit des Gebäudes bedroht sein, weshalb es wichtig
sei, „sehr bald mit der Sanierung zu beginnen“.
## Teure Sanierung schafft Probleme
Auch die [4][Initiative Dessauer Ufer,] 2017 von StudentInnen und
StadtteilaktivistInnen gegründet und in Erforschung, Gedenk-Aktivitäten und
Öffentlichkeitsarbeit hoch engagiert, mahnt eine baldige Sanierung an.
Die wird wohl einen zweistelligen Millionenbetrag erfordern, und hier
beginnen die Probleme. Denn die Stadt Hamburg hat schon einmal versucht,
sich dieser Kosten zu entledigen: 1997 verkaufte sie den eigentlich zum
Abriss avisierten Bau an einen Investor – mit der Auflage zu sanieren. Es
unterblieb, der Eigner starb 2017, seine Firma ging insolvent.
Mit der aktuellen Eigentümergemeinschaft, die das Gebäude 2018 erwarb,
steht nun der nächste Investor in der Pflicht, und Polat sagt, man habe
bereits stabilisierende Reparaturen vorgenommen. Doch generell seien ihnen
die Hände gebunden, solange die Hoheitsrechte ungeklärt seien.
Die sind in der Tat kompliziert: Das Grundstück gehört bislang besagter
Hamburg Port Authority und ist auf eine eher hafengerechte Nutzung
festgelegt. Da aber der gesamte Stadtteil Grasbrook vielfältig „entwickelt“
werden soll, wird man das Grundstück der Hafencity GmbH übertragen – wobei
die Genehmigungshoheit für die Planungen bei der HPA bleibt.
Ob die Stadt auch das Gebäude zurückkaufen will, um frei über dessen
Nutzung zu entscheiden, ist unklar. Susanne Bühler, Sprecherin der
Hafencity GmbH sagt, solche Pläne seien ihr nicht bekannt.
Eigentümervertreter Polat wiederum sagt, er habe bereits eigene
Architektur- und Ingenieurbüros für weitere Planungen kontaktiert.
Doch es geht nicht nur um Grundsanierung: Auch in die Wand gekratzte
Inschriften und andere von Häftlingen hinterlassene Spuren müssten weiter
untersucht und gesichert werden, sagt Oliver von Wrochem, Leiter der
[5][KZ-Gedenkstätte Neuengamme.] „Und zwar an Ort und Stelle. Das Lagerhaus
G ist ein historischer Ort, der für die Geschichte von KZ-Zwangsarbeit im
Hamburger Hafen von zentraler Bedeutung ist.“
Dass dort ein Gedenkort „entwickelt“ werden soll, hat Hamburgs Senat auch
in seinen Koalitionsvertrag geschrieben. Details nicht. Dabei sollten in
dem Gebäude, sagt von Wrochem, „ausreichend große Räume für Gedenken,
Sonderausstellungen und Seminare vorgesehen werden“. Denn einen
innenstadtnahen Raum für Sonderausstellungen gebe es weder im
[6][Stadthaus] noch im [7][Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof.]
Das Dessauer Ufer solle nicht nur Gedenk-, sondern auch zukunftsgerichteter
Lernort sein. „Privatwirtschaftliche Interessen dürfen dabei keine Rolle
spielen“, sagt von Wrochem.
## Streit um Gedenkorte
Damit berührt er einen wunden Punkt. Denn wann immer die Stadt Hamburg in
den letzten Jahren gemeinsam mit Privatinvestoren Gedenkorte plante, ging
es ziemlich schief. Beim Stadthaus, der einstigen Gestapo-Zentrale, hat der
Investor die zugesagte Ausstellungsfläche kleingerechnet und ins Café eines
Buchladens verbannt. Zudem wurde versäumt, die Stiftung Hamburger
Gedenkstätten als Trägerin einzusetzen und Mitsprache zusichern.
Nur wenig besser lief es beim Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof
in der Hafencity. Dort streitet man gerade darüber, ob der Privatinvestor
die übrigen Etagen des Baus an die NS-belastete Firma [8][Wintershall-Dea]
hätte vermieten dürfen. Denn laut Vertrag verpflichtet sich der Eigentümer
zwar, das Gebäude nicht in einer Weise zu nutzen, „die in der Wahrnehmung
der Opfer des Nationalsozialismus im Konflikt mit dem Zweck des
Dokumentationszentrums steht“.
Aber diese Formulierung ist auslegbar. Und da Wintershall die eigene
Geschichte aufgearbeitet hat, sieht der Investor kein Problem. Die
Opferverbände dagegen schon. Jetzt hat man eine Schlichterin angerufen.
## Ausmaß und Nutzung im Vorfeld festschreiben
Nun, beim einstigen ZwangsarbeiterInnenlager am Dessauer Ufer, bestünde die
Chance, es besser zu machen: Ausmaß und Art der Gedenkstätte sowie die
Nutzung der übrigen Flächen im Vorfeld klar zu regeln. Immerhin, die
Trägerschaft scheint festzustehen: „Neben der Stiftung Hamburger
Gedenkstätten und Lernorte als Trägerin einer zukünftigen Gedenkstätte“
stünden Denkmalschutzamt, Kulturbehörde und Hafencity GmbH im Austausch,
sagt Bühler. Zur künftigen Nutzung und Aufteilung der Flächen könne sie
noch nichts sagen, da die bautechnischen Untersuchungen noch liefen.
Und während die Initiative Dessauer Ufer eine auch soziokulturelle Nutzung
fordert, avisiert der Eigentümervertreter sogar einen „Gedenk- und
Andachtsort zu interkulturellem und interreligiösem Austausch“. Er wolle
Konzepte für Bildung und Reflexion entwickeln und „um breite Unterstützung
der Bevölkerung werben“.
Allerdings, ergänzt er, müsse „ein großer Anteil der Nutzung gewerblich
sein und zu Erträgen führen, die in Ausbau und Förderung sozialer und
gesellschaftlicher Projekte fließen“.
5 May 2021
## LINKS
[1] /Erinnerung-an-NS-Zeit-aufrechterhalten/!5756698
[2] /Gedenkstaette-soll-erweitert-werden/!5247486
[3] https://www.denkmalverein.de/gefaehrdet/gefaehrdet/unklare-perspektive-fuer…
[4] https://initiativedessauerufer.noblogs.org/
[5] https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/
[6] /Archiv-Suche/!5715751&s=Stadthaus+hamburg&SuchRahmen=Print/
[7] https://hannoverscher-bahnhof.hamburg.de/ort-des-lernens/
[8] /Wintershall-Streit-schwelt-weiter/!5758224
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Hamburg
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