# taz.de -- Wintershall-Mediation droht zu scheitern: Der große Exodus | |
> Der Umzug der Firma Wintershall ins Gebäude des NS-Dokuzentrums | |
> Hannoverscher Bahnhof steht wohl fest. Die Opferverbände boykottieren die | |
> Mediation. | |
Bild: Erinnern: Eli Fel von der Jüdischen Gemeinde Hamburg am Gedenkort Hannov… | |
Hamburg taz | Es war von Anfang an ein Problem: für das Gebäude, in dem | |
2023 das NS-Dokumentationszentrum [1][Hannoverscher Bahnhof] residieren | |
soll, einen Zweitmieter mit unbelasteter Vergangenheit zu finden. „Der | |
Eigentümer verpflichtet sich, das Gebäude nicht … in einer Weise zu nutzen | |
oder nutzen zu lassen, die in der öffentlichen Wahrnehmung und insbesondere | |
in der Wahrnehmung der Opfer des Nationalsozialismus … im Konflikt mit dem | |
Zweck des Dokumentationszentrums steht oder der Ausstrahlung eines | |
Gedenkortes abträglich ist“, steht im Vertrag, den die Stadt Hamburg mit | |
Investor Harm Müller-Spreer schloss, der damit auch die Räume des | |
Dokumentationszentrums im Erdgeschoss finanziert. | |
Doch fast jedes nicht ganz junge Unternehmen ist entweder Nachfolger eines | |
NS-Profiteurs oder war selbst ein solcher. Auch die Firma Wintershall Dea | |
hat [2][ZwangsarbeiterInnen] beschäftigt, und als bekannt wurde, dass | |
Wintershall in dieses Gebäude ziehen würde, gab es Proteste. | |
Nicht nur, dass die Opferverbände im Vorfeld nicht beteiligt worden waren: | |
Auch das mangelnde Feingefühl wurde moniert, und der Hinweis, dass | |
Wintershall seine Vergangenheit aufgearbeitet habe, beruhigte die | |
Opferverbände nicht. Es könne verstörend wirken, wenn einstige | |
ZwangsarbeiterInnen oder deren Nachfahren beim Besuch des | |
[3][Dokumentationszentrums], das an die Deportation von 8.000 Juden, Sinti | |
und Roma erinnert, das „Wintershall“-Emblem vorfänden, sagte etwa Arnold | |
Weiß vom Landesverband der Sinti. | |
Da sich die Opferverbände also mit dem Wintershall-Einzug nicht abfinden | |
wollten, mahnten sie das Schiedsverfahren an, das der Vertrag für diesen | |
Fall vorsieht. Doch Kulturbehörde und Bauherr initiierten stattdessen ein | |
unverbindliches Mediationsverfahren, das Birgit Voßkühler, Präsidentin des | |
Hamburger Verfassungsgerichts, leiten sollte. | |
## Einzug trotz Mediation | |
Dass Wintershall – unabhängig vom Ausgang der Mediation – auf jeden Fall in | |
das Gebäude ziehen wird, hat der Pressesprecher bereits mehrfach | |
bestätigt. Und weil das so ist, blieben das Auschwitz Komitee und der | |
Landesverband der Sinti gleich dem ersten Mediationsgespräch im Mai fern. | |
Sie seien nicht Vertragspartner und sähen keinen Grund, an einem nicht | |
selbst gewählten Verfahren teilzunehmen, erklärten sie. | |
Und der Exodus hält an: Dem zweiten Gespräch am 21. Juni blieben auch die | |
Rom und Cinti Union, die jüdischen Gemeinden sowie die Biographie-Gruppe | |
der Stolperstein-Initiative fern – nicht aber Peter Hess, Organisator der | |
Hamburger Stolperstein-Verlegungen. | |
Er habe am ersten Gespräch teilgenommen, „um die Vertreter der Stadt bei | |
dem Versuch zu unterstützen, die Wohlverhaltensklausel gegenüber dem | |
Investor durchzusetzen“, erklärt Stolperstein-Biograph Ingo Wille. Da aber | |
nach diesem Gespräch nicht zu erwarten sei, dass die Büroflächenvermietung | |
an Wintershall Dea rückgängig gemacht werde, habe eine weitere Teilnahme | |
keinen Sinn. | |
Auch Rudko Kawczynski, Vorsitzender der Rom und Cinti Union (RCU) ist | |
zornig: Er habe vor wenigen Tagen erfahren, dass die Stadt in dieses | |
„Dilemma“ keineswegs versehentlich hineingeschlittert sei. Im ersten | |
Vertragsentwurf habe vielmehr gestanden, dass der Investor vor der | |
Vermietung Rücksprache mit den Opferverbänden nehmen müsse. Dieser Satz sei | |
später durch vagere Formulierungen ersetzt worden. | |
## Vertrag bewusst geändert | |
„Wir haben sehr kurzfristig davon erfahren, dass bei den damaligen | |
Vertragsverhandlungen ein Passus, der die jetzige Situation hätte | |
verhindern können, von der Stadt bewusst aus dem Vertrag genommen und durch | |
den jetzigen Text ersetzt wurde“, schreiben auch das Auschwitz Komitee, der | |
[4][Landesverband der Sinti und die RCU] in einer Erklärung vom 22. Juni | |
und mahnen die Einhaltung der Nutzungsverträge an. „Als ich erfuhr, dass | |
die Stadt so unprofessionell verhandelt hat, war mir klar, dass die RCU | |
nicht mehr teilnehmen würde“, sagt Kawczynski. | |
Die einzig in der Mediation verbliebenen Opferverbände wären somit die | |
jüdischen Gemeinden gewesen. „Aber dann wären die Opferverbände nicht mehr | |
breit repräsentiert“, sagt Galina Jarkova vom Vorstand der Liberalen | |
Jüdischen Gemeinde. Deshalb sei man ausgestiegen. Auch Daniel Rubinstein, | |
Geschäftsführer der Jüdischen Einheitsgemeinde, sagt, man habe sich | |
kurzfristig zur Absage entschlossen. | |
Wie es weiter geht, ist unklar; die Kommunikation überlassen Wintershall | |
und Investor in dieser misslichen Lage Birgit Voßkühler. Sie sagt, als | |
Mediatorin trage sie keine Ergebnisverantwortung. „Das tun die | |
Teilnehmenden. Ich bin dafür verantwortlich, dass das Verfahren fair | |
verläuft.“ | |
22 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /NS-Gedenkort-in-Hafen-City-teileroeffnet/!5327763 | |
[2] /Wanderausstellung-Zwangsarbeit-in-Deutschland/!5246147 | |
[3] https://hannoverscher-bahnhof.gedenkstaetten-hamburg.de/de/ | |
[4] /Zentraler-Deportations-Bahnhof/!5090834 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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