# taz.de -- Schutz von Sint:ezze und Rom:nja: Würde ein Staatsvertrag helfen? | |
> Hamburgs Senat will laut Koalitionsvertrag die Teilhabe von Sinti und | |
> Roma stärken. Passiert ist wenig, deshalb fordert die Linke einen | |
> Staatsvertrag. | |
Bild: Wird jetzt besser betreut: Sinti-Siedlung in Hamburg-Wilhelmsburg | |
HAMBURG taz | SPD und Grüne in Hamburg haben in ihrem | |
[1][Koalitionsvertrag] von 2020 vereinbart, die Teilhabe von Sinti und Roma | |
am gesellschaftlichen Leben zu verbessern. 18 Monate später ist davon wenig | |
zu sehen, zumindest wenig Grundsätzliches. Die Linke fordert deshalb einen | |
Staatsvertrag mit der deutschen Minderheit, wie ihn andere Bundesländer | |
bereits geschlossen haben. Die Schwesterstadt Bremen hat immerhin schon mal | |
einen Rahmenvertrag mit den Sinti und Roma geschlossen. | |
An Problembewusstsein mangelt es dem rot-grünen Hamburger Senat nicht: „Als | |
Verfolgte sind die Sinti und Roma bis heute in der öffentlichen Wahrnehmung | |
unterrepräsentiert“, ist im Koalitionsvertrag zu lesen. Im Vergleich mit | |
anderen Minderheiten in Hamburg würden Sinti und Roma besonders stark | |
diskriminiert, stellte der von der Sozialbehörde in Auftrag gegebene | |
[2][Bericht „Zusammenleben in Hamburg“] von 2014 fest. Die Einstellungen zu | |
Sinti und Roma sind demnach weniger positiv als zu allen anderen | |
abgefragten Gruppen. Viele Befragte sehen sie nicht gern als Nachbarn und | |
lehnen eine Einheirat in die Familie ab. | |
Der Senat versucht bereits, dem gegenzusteuern. 2023 soll ein | |
[3][Dokumentationszentrum] in dem neuen Stadtteil Hafencity eröffnet | |
werden, dass unter anderem die Geschichte deportierter Sint:ezze und | |
Rom:nja aufarbeiten soll. Der Senat [4][kümmert sich wieder um eine lange | |
vernachlässigte Siedlung] für Sinti im Stadtteil Wilhelmsburg und erprobt | |
neue Wege, um [5][Sinti-Kinder an die Schule und den Kindergarten | |
heranzuführen.] | |
Die Hamburger Linke sieht darin einen Flickenteppich von Maßnahmen. Sie | |
fordert einen großen Wurf in Gestalt eines Staatsvertrages, wie er sie mit | |
den großen Religionsgemeinschaften geschlossen hat. | |
„Ein Staatsvertrag sichert die gesellschaftliche Anerkennung für Sinti und | |
Roma“, sagt Metin Kaya, Fachsprecher für Migration und interkulturelles | |
Zusammenleben der Linken. Dieser solle nicht nur politische Teilhabe und | |
Minderheitenrechte verbürgen, sondern auch eine Basisfinanzierung der | |
Sinti- und Roma-Vertretungen. Überdies müsse die Stadt „einen Rahmen für | |
gemeinsame Projekte zwischen den einzelnen Gruppen“ schaffen. | |
Die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Unabhängige Kommission | |
Antiziganismus (UKA) stellte in ihrem [6][Abschlussbericht] im Juli fest, | |
dass das Engagement für die Sache der Sinti und Roma durch mangelnde | |
Finanzierung ständig in seiner Existenz bedroht sei. Mehr als 90 Prozent | |
der befragten Vereinigungen forderten daher mehr Unterstützung ihrer | |
Arbeit. Die Kommission empfiehlt deswegen die Berufung eine:s | |
Antiziganismusbeauftragten, die Anerkennung des nationalsozialistischen | |
Genozids an Sint:ezze und Rom:nja und die Einsetzung eines unabhängigen | |
Beratungskreises. | |
Die Bundesländer gehen auf verschiedenen Wegen gegen Antiziganismus vor. | |
Schleswig-Holstein setzte den Schutz von Sint:ezze und Rom:nja in der | |
[7][Landesverfassung] fest. Dies überträgt sich in einen Schutz der | |
Minderheitensprache Romanes, die ausschließlich innerhalb der | |
Familienverbände gelehrt und weitergegeben wird. Es wurde ein Ort für eine | |
Siedlung für Sint:ezze und Rom:nja in Kiel geschaffen. Zudem werden | |
Mediator:innen an Kieler Schulen gefördert, weil Kinder der Gruppe | |
häufig diskriminiert werden. | |
Der bayrische Landtag stimmte 2018 einem Staatsvertrag mit Vertretungen von | |
Sint:ezze und Rom:nja zu. Das Land verpflichtete sich damit, die | |
kulturelle Identität der Minderheit zu schützen. In Bremen existiert seit | |
2013 eine Rahmenvereinbarung. Eine solche führte beispielsweise in | |
Rheinland-Pfalz in einen Staatsvertrag. Hamburg hingegen fehlt eine | |
vertragliche Regelung komplett. Und an der politischen Teilhabe hat sich | |
seit 2001, als Mario Mettbach, der aus einer Sinti-Familie stammt, | |
ausgerechnet für die Schill-Partei in den Hamburger Senat einzog, nichts | |
geändert. | |
Rudko Kawczyinski, Vorsitzender der Rom und Cinti Union in Hamburg, | |
kritisiert die Dissonanz zwischen politischem Willen und Realität: „Wir | |
sind der Spielball in den Händen der Hamburger Politik“, findet er. Seit | |
Mitte der Neunzigerjahre würden Projekte durch wechselnde | |
Regierungsparteien willkürlich „an- und ausgeknipst“. Es fehle eine | |
vertragliche Grundlage, auf der man planungssicher arbeiten könne. | |
Hamburg müsse sich endlich dazu bekennen, die mehr als 60.000 in der Stadt | |
lebenden Sint:ezze und Rom:nja als nationale Minderheit anzuerkennen. | |
Vor den Wahlen sei der politische Wille einer Anerkennung von allen | |
Parteien signalisiert worden – sogar von der AfD. Der Genozid an | |
Sint:ezze und Rom:nja müsse strukturell Aufgearbeitet werden: „Die Stadt | |
hat einen großen braunen Fleck auf der sozialdemokratischen Weste“, | |
kritisiert Kawczyinski. | |
Arnold Weiß, seit 2013 Vorsitzender des Landesvereins der Sinti in Hamburg, | |
wünscht sich „selbstverständlich“ einen Staatsvertrag. Der Landesverband | |
fühle sich und andere Vereinigungen unangemessen behandelt. | |
Nachdem 2019 gemeinsam mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma der | |
Wunsch nach einem Staatsvertrag an den Ersten Bürgermeister Peter | |
Tschentscher (SPD) herangetragen wurde, sei es aber bloß zu einem Gespräch | |
auf Staatsratsebene gekommen – so heißen in Hamburg die Staatssekretäre. | |
Das Gespräch sei ergebnislos geblieben. | |
Aus der Sicht von Arnold Weiß ist die Diskussion über die Diskriminierung | |
von Sint:ezze und Rom:nja und was dagegen zu tun wäre in Hamburg noch | |
wenig entwickelt: „Es kommt immer wieder zu rassistischen Äußerungen in | |
Schulen und Behörden, die häufig gar nicht erst zur Anzeige gebracht | |
werden“, kritisierter.“ Es fehlt eine institutionalisierte | |
Antziganismuspolitik.“ Zu oft suchten die Behörden nicht das Gespräch. Zur | |
Abschaffung eines Durchreiseplatzes etwa, der für reisende Sinti und Roma | |
wichtig ist, seien die Verbände nicht gefragt worden. | |
Die taz fragte den Senat, ob Hamburg auch einen Staatsvertrag nach dem | |
Vorbild anderer Bundesländer plane. „Die Überlegungen dazu sind noch nicht | |
abgeschlossen“, teilte eine Pressesprecherin mit. | |
6 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hamburg.de/contentblob/7038508/2d28de063ebdca700d3ee3a388ec5960… | |
[2] https://www.hamburg.de/contentblob/4419094/44d61b14c2c2d48d9598c30aeba73789… | |
[3] /Wintershall-Streit-schwelt-weiter/!5758224 | |
[4] /Sinti-Siedlung-in-Hamburg-Wilhelmsburg/!5758502 | |
[5] /Bildungsangebot-fuer-Sinti/!5761344 | |
[6] https://dserver.bundestag.de/btd/19/303/1930310.pdf | |
[7] https://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/M/minderheiten/minderheite… | |
## AUTOREN | |
Arne Matzanke | |
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