# taz.de -- Mahnmal für tote Babies von Zwangsarbeiterinnen: Die fremden Kinder | |
> In Otterndorf bei Cuxhaven kamen in den letzten Kriegsjahren 14 Babies | |
> von Zwangsarbeiterinnen zu Tode - man hatte sie von ihren Müttern | |
> getrennt und in einem unbeheizten Gartenhaus untergebracht. Jahrelang | |
> kämpfte eine Initiative, bis ein Mahnmal errichtet wurde. | |
Bild: Durchgesetzt von der CDU-Ratsmehrheit: der Gedenkstein für alle Kinder a… | |
OTTERNDORF taz | Da hinten müsste es gewesen sein! Kurt Schaefer, Pastor im | |
Ruhestand und nach seiner Pensionierung hier nach Otterndorf im Landkreis | |
Cuxhaven gekommen, verlässt den Hauptweg des kirchlichen Friedhofes, stapft | |
beherzt durch den hohen Schnee. "Hier am Rande des Friedhofes", sagt er und | |
zeigt mit einer weiten Armbewegung zum Ende des Geländes hin, "hier lagen | |
die Gräber der Zwangsarbeiterkinder." | |
Die Friedhofsverwaltung hat die Gräber 1968 aufgelöst, die Fläche | |
entsprechend eingeebnet, als der Friedhof umgestaltet und neue Wege | |
angelegt wurden. Dabei hatte die damalige Bundesregierung zwei Jahre zuvor | |
die Grabanlagen von Zwangsarbeitern und ihren Kindern per Gesetz | |
ausdrücklich unter Bestandschutz genommen. | |
"Dass die Gräber trotzdem beseitigt wurden, war das nun Absicht oder | |
passierte das aus Unwissen, das ist jetzt die große Frage", sagt Schaefer | |
und er klopft sich den Schnee von den Handschuhen. | |
14 Kinder polnischer und russischer Zwangsarbeiterinnen kamen zwischen 1944 | |
und 1945 in Otterndorf zu Tode. Gleich nach der Geburt wurden sie ihren | |
Müttern weggenommen, damit diese unverzüglich weiterarbeiten konnten. Die | |
Säuglinge wurden in einem unbeheizten Gartenhaus untergebracht, in dem es | |
nicht einmal fließend Wasser gab. | |
Sie wurden kaum versorgt, kaum ernährt, nicht medizinisch behandelt - in | |
Sichtweite des Otterndorfer Kreiskrankenhauses, auf dessen Gelände das Haus | |
stand: Alexsander Usik wurde so einen Tag alt, Elfried Wegrizyn schaffte | |
siebeneinhalb Monate. | |
Pastor Schaefer geht auf den neueren Teil des Friedhofs, die Bahnhofsstraße | |
muss dazu kurz überquert werden, auf dem die Autos durch den Schneematsch | |
schliddern. Der Pastor öffnet die Pforte, geht voran, bleibt vor einem | |
zugeschneiten Findling stehen, der etwas abseits auf einer freien Fläche | |
steht: "Zum Gedenken aller Kinder, die durch Krieg und Gewalt ihr Leben | |
verloren", ist da zu lesen, als Schaefer den Schnee entfernt hat. | |
Reinhard Krause packt jetzt noch der Ärger, denkt er an den Vormittag, als | |
der Stein eingeweiht wurde, am Volkstrauertag 2003. Lange hatte die | |
Otterndorfer Kommunalpolitik darüber gestritten: SPD und Grüne wollten, | |
dass an die 14 toten Zwangsarbeiterkinder erinnert wird, daran, wie sie | |
gestorben waren. | |
Die Otterndorfer CDU setzte mit ihrer Mehrheit durch, dass die genaueren | |
Zusammenhänge unerwähnt bleiben: "Alle standen betreten neben dem Stein, | |
der Pastor erzählte irgendwas Allgemeines über Kinder und Kindersoldaten, | |
was ihm gerade so einfiel", erinnert sich Krause. Er ging damals nach | |
Hause, schrieb einen erbosten Leserbrief an die Niederelbe Zeitung, die den | |
sofort druckte. Krause sagt: "Danach war hier Aufstand." | |
Während die einen Krause heftig beschimpfen, stimmen ihm andere | |
Otterndorfer zu. Krause gründet die Gruppe "Zukunft durch Erinnern", bei | |
der auch Kurt Schaefer mitmacht. Er will nicht lockerlassen, er will nicht | |
hinnehmen, dass über solch offensichtliches Unrecht weiter geschwiegen | |
wird. | |
Er will nicht mehr hören, dass damals die Leute überall gestorben seien, | |
nichts Ungewöhnliches sei das gewesen: "Hier auf dem Lande hat niemand | |
hungern müssen; den Bauern haben ja die Zwangsarbeiter die Felder | |
bestellt", sagt Krause. | |
Auf einem kleinen Rasenstück nahe des Gartenhauses, in dem die Kinder | |
starben, wollen Krause, Schaefer und ihre Mitstreiter ein Mahnmal | |
aufstellen. Eine kleine, verwaltungsrechtliche Besonderheit hilft ihnen | |
dabei: Die wenigen Quadratmeter Rasen gehören nicht der Stadt Otterndorf, | |
sondern dem Land Niedersachsen. Und das zeigt sich bereit, die Initiative | |
zu unterstützen. | |
Die knüpft ihrerseits Kontakt zu der Berliner Künstlerin Rachel Kohn, die | |
eine Skulptur entwirft: eine dunkle, unförmige Wolke, die über einem | |
stilisierten, weißen Kinderbett schwebt. | |
Schüler einer benachbarten Schule recherchieren im Otterndorfer Kreisarchiv | |
zu den Hintergründen nicht allein in ihrer Stadt und dokumentieren ihre | |
Ergebnisse auf einer Tafel: "Nicht nur nationalsozialistische Stellen waren | |
an der Organisation der Säuglingslager beteiligt, sondern auch Behörden, | |
Krankenkassen, Ärzte, Betriebe und Arbeitsämter", ist da unter anderem zu | |
lesen. Im November 2008 wird das Mahnmal eingeweiht. | |
Würde es einer konservativen Kleinstadt wie Otterndorf schwerfallen, einen | |
kommunistischen Widerstandskämpfer zu ehren, wäre das vielleicht | |
verständlich. Aber hier geht es um Kinder, von denen kaum eines älter als | |
ein halbes Jahr wurde. Schaefer sagt dazu knapp: "Es waren keine deutschen | |
Kinder; es waren polnische und es waren russische Kinder." | |
Bis heute findet sich auf dem Otterndorfer Friedhof ein massiger Stein, der | |
an mehrere Otterndorfer Jungen erinnert, darunter zwei Brüder: Die Gruppe | |
findet vor Kriegsende beim Herumstromern eine Mine, die die Soldaten | |
achtlos hatten liegenlassen. | |
Die Jungen tragen die Mine davon, wollen mal schauen, was passiert, wenn | |
man sie ins Wasser wirft. Und dann stolpert einer von ihnen. "Die Stadt | |
übernimmt bis heute die Pflege für dieses Grab und das ist ja auch richtig | |
so", sagt Schaefer: "Aber für fremde Kinder macht man das eben nicht." | |
Es gab nicht nur in Otterndorf eine so genannte | |
"Ausländerkinderpflegestätte". Es gab eine solche auch in dem Örtchen | |
Balje, ein paar Kilometer weiter westlich, nahe der Mündung der Oste, wo 13 | |
Säuglinge und Kleinkinder ums Leben kamen. Es gab eine bei Drochtersen, wo | |
die Fähre über die Elbe nach Glückstadt geht, mit 26 Kindern, die nicht | |
leben durften. | |
Es gab eine bei Jork im Alten Land und eine in Fredenbeck bei Stade, wo das | |
Gemeinderatsmitglied der Grünen Wolfgang Weh sich über Jahre für eine | |
Gedenktafel engagierte und wo nun auf dem örtlichen Friedhof ein Findling | |
allein mit den Vornamen der 17 Opfer zu finden ist - ohne weitere | |
Erklärung, um wen es sich handelt und wie und warum diese hier in einer | |
Ziegelei zu Tode kamen. Heime im Dorf Bülkow und im Waldgebiet der Wingst | |
wurden nicht mehr rechtzeitig fertig gestellt. | |
Ist eine der Mütter nach 1945 noch mal nach Otterndorf zurückgekehrt, um | |
nach dem Grab ihres Kindes zu schauen? Die beiden Männer schütteln den | |
Kopf: Nicht, dass sie wüssten. Und es sei auch nicht wahrscheinlich: "Die | |
Zwangsarbeiter wurden nach der Kapitulation sofort in ihre Heimatländer | |
geschickt, dort galten sie meist als Helfer der Deutschen, sie werden also | |
in ihrer Familie kaum etwas erzählt und diese Zeit vermutlich schnell | |
verdrängt haben", sagt Schaefer. | |
Und Krause ergänzt: "Wir wissen auch nicht, ob manchen der Frauen von den | |
Bauern vielleicht Gewalt angetan wurde; wir wissen nicht, wie sie im | |
Einzelnen zu ihren Kindern standen." Nicht mal, ob die Mütter über den Tod | |
ihrer Kinder unterrichtet wurden, ob sie bei der Beerdigung dabei waren, | |
ist bekannt. | |
Einer aber ist zurückgekehrt: Wladimir Surowow. Er wurde im Sommer 1944 auf | |
einem Hof in Mittelstenahe, südlich von Otterndorf geboren, wurde damals | |
vom hiesigen Ortsgruppenleiter ins Heim nach Otterndorf gebracht. Seine | |
Mutter, eine russische Zwangsarbeiterin, weigert sich daraufhin weiter zu | |
arbeiten. | |
Der Bauer, bei dem sie arbeiten muss, erreicht, dass ihr das Kind | |
zurückgegeben wird: Er holt es eigenhändig aus Otterndorf zurück - das Kind | |
überlebt. 2007 kommt Surowow nach 62 Jahren unter Vermittlung der | |
Gedenkstätte Neuengamme nach Otterndorf, erzählt von dem wenigen, was er | |
weiß. Und bekennt abends beim Essen: "Ich dachte immer, die Deutschen sind | |
meine Feinde. Aber jetzt weiß ich, dass es auch andere Deutsche gibt." | |
Kurt Schaefer sagt: "Das erleben zu dürfen, war einer der erhebendsten | |
Momente in meinem Leben." | |
22 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## TAGS | |
Hamburg | |
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