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# taz.de -- Ein Ort entdeckt seine Geschichte: Ein Ferienheim für Kommunisten
> In den 1930ern war die Siedlung Heideruh ein Treffpunkt für Kommunisten -
> bis die Nazis sie entdeckten. Heute steht die Siedlung vor dem
> wirtschaftlichen Aus.
Bild: Steht noch heute: Hauptgebäude der Siedlung, das ab 1956 Küche, Speiser…
HAMBURG taz | Es geht geradeaus, schnurgerade, wenn man die Hauptstraße,
von Buchholz in der Nordheide kommend, in Richtung Holm Seppensen verlässt.
Am Anfang stehen noch Einfamilienhäuser, es geht in den Wald, dann folgt
eine Bahnschranke. Weiter geht es, bis linker Hand ein kleines Schild
auftaucht: „Heideruh“ und „Sonntagscafe“ ist zu lesen.
Einzelne einstöckige Häuser verteilen sich im Gelände. Auf einer Terrasse
werden Kaffee und selbst gebackener Butterkuchen serviert. Die Wespen, die
sich dafür interessieren, taumeln schon leicht. Herbst liegt in der Luft.
Jahrzehntelang war man froh, dass sich hierhin nur Eingeweihte verirrten.
Hier war es ruhig, und hier sollte es ruhig bleiben.
Wann das erste Haus erbaut wurde und für wen es erdacht war, liegt noch im
Dunkeln: 1923 oder 1926. Fakt ist, dass die kommunistischen Familie Stender
aus Hamburg eines der ersten Häuser nutzte: Mitglieder der Kommunistischen
Partei Deutschland (KPD) zogen sich hierhin zurück. Um Ferien zu machen und
um sich zu beraten.
„Spätestens 1931 war der KPD klar, was passieren wird, wenn die Nazis an
die Macht kommen. So hat man sich hier wohl auch auf das Leben im
Untergrund vorbereitet“, sagt Bea Trampenau, Geschäftsführerin des Vereins
Heideruh e.V, der heute die Ansiedlung verwaltet. Sie ist die Tochter des
Wilhelmsburger Kommunisten Richard Trampenau. Er kam am 1. 3. 1933 in Haft
und wurde erst 1945 entlassen.
„Heideruh war auch ein geheimes, kommunistisches Spionagenest“, erzählt
Oliver Rump, Professor für Museumskunde an der Berliner Hochschule für
Technik und Wissenschaft. Er wohnt in der Nachbarschaft, stieß über eine
historische Postkartensammlung auf den Ort und leitet nun eine studentische
Forschungsgruppe, die sich erstmalig wissenschaftlich mit Heideruh befasst.
Wie genau Heideruh in der NS-Zeit als Rückzugsort oder gar als Versteck
genutzt werden konnte, weiß noch niemand. Klar ist, dass es eine Zäsur war,
als es der Gestapo 1935 gelang, die verschiedenen kommunistischen Zellen in
und um Hamburg zu enttarnen. Ein Hamburger Unternehmer übernahm bald danach
das Areal.
Weiter ging es im Frühsommer 1945. Die britische Armee hatte das KZ
Bergen-Belsen befreit und suchte in der Lüneburger Heide nach Unterkünften
für die Kinder, die sie dort vorgefunden hatten oder die infolge der
Todesmärsche der norddeutschen KZs durch die Gegend irrten. Neben Heimen in
Hamburg-Blankenese und Wentorf wurden auch in Steinbeck bei Buchholz Kinder
untergebracht.
Und eben in Heideruh. Das Komitee politisch Verfolgter, aus dem später die
Vereinigung Verfolgter des Naziregimes (VVN) hervorging, wurde mit der
Organisation beauftragt. Wie viele Kinder und später auch Erwachsene
versorgt wurden, ist nicht bekannt. Dabei trugen viele derer, die sich um
die traumatisierten Kinder kümmerten, selbst schwer an den Erfahrungen der
Lagerhaft. Sie taten ihre Arbeit so gut wie möglich. „Wenn ein Kind beim
Spielen plötzlich von seinen Erinnerungen gepackt wurde, wurde es von einem
Erzieher aus der Gruppe genommen und alleine betreut. Es hieß: Im Heim soll
nur Lachen und Freude sein“, berichtet Bea. Zudem habe man ursprünglich mal
gedacht, dass die dortigen Bauern die Kinder mitversorgen könnten. Doch das
funktionierte nicht. Die Bauern, von denen viele in den Jahren zuvor treu
den Nazis ergeben waren, dachten nicht daran, Lebensmittel abzugeben. Die
Versorgung der Kinder lief fast ausschließlich über Hamburg.
Später fanden die Kinder ihre Eltern wieder oder kamen in Pflegefamilien.
Heideruh wurde Genossenschaft, dann Verein – und blieb Ferienheim,
Treffpunkt, zuweilen auch Wohnort für ehemalige Widerstandskämpfer und
deren Angehörige. Erneut unter Druck geriet man allerdings, als 1956 die
KPD verboten wurde sowie mancherorts – etwa in Hamburg – auch die VVN.
Einzelne Heideruher zogen daraufhin in die DDR, und Heideruh geriet in
Vergessenheit. Nur wenige, die in der 1968 gegründeten
Nachfolgeorganisation der KPD, der DKP, organisiert waren, kannten den Ort.
Finanziell wurde es von Jahr zu Jahr schwieriger.
Aber „mit der Wende kam die Wende“, wird noch heute der damalige
Vorsitzende des Heideruh-Vereins zitiert. „Man kann über das, was in der
DDR war, geteilter Meinung sein. Aber Tatsache ist, dass die Ehrung, die
viele antifaschistischen Widerstandskämpfer in der DDR erfahren haben, nach
der Wende verloren ging“, sagt Bea Tramperau. Oliver Rump formuliert es so:
„Heideruh war nach der Wende das letzte Ferienheim, wo man sich unter
Gleichgesinnten treffen konnte. Da gab es einen Riesenschub an Urlaubern.“
Der aber auch wieder verebbte. Denn viele, die hier erneut eine
ideologische wie persönliche Heimat fanden, sind heute sehr alt – oder
nicht mehr am Leben. Heideruh aber braucht Ferien und Urlaubsgäste, will es
wirtschaftlich überleben, und so sucht man nun den Kontakt zur
Öffentlichkeit, will Bildungsarbeit betreiben und öffnet sich etwa als
Station für Wandergruppen, die bei Kaffee und Kuchen pausieren wollen.
Vor kurzem wäre ein solcher Schritt nicht denkbar gewesen. Tostedt als
Treffpunkt norddeutscher Neonazis ist schließlich nahe; auch in Buchholz
gab es Vorfälle mit rechtsradikalen Hintergrund. Und die Stadt selbst, die
sich gerade von einer „Einkaufsstadt“ zur „Kulturstadt“ wandelt, hat si…
lange gescheut, sich mit ihrer Vergangenheit während der NS-Zeit zu
befassen.
Das soll jetzt anders werden: Im kommenden Jahr – am 27. Januar, dem
Holocaust-Gedenktag – soll die Geschichte Heideruhs in der Buchholzer
Stadtbücherei ganz amtlich vorgestellt werden.
10 Sep 2012
## AUTOREN
Frank Keil
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