# taz.de -- Kampf um die Erinnerung: Der Gedenkstreit von Wandsbek | |
> Die Gedenkstätte für die NS-Zwangsarbeiter der Wandsbeker Drägerwerke | |
> stieß nicht bei allen Anwohnern auf Sympathie. Wegweiser wurden | |
> abmontiert und ein Zaun errichtet. | |
Bild: Einige Buchstaben fehlen: Die Gedenkstätte im heutigen Wandsbeker Wohnge… | |
HAMBURG taz | "Verhandlungen, Verhandlungen, Verhandlungen", sagt Bernhard | |
Esser. Und langsam, Schritt für Schritt, Anwohnerversammlung für | |
Anwohnerversammlung, sei die Akzeptanz schließlich gewachsen. Es nieselt, | |
es ist kalt an diesem grauen Tag und Bernhard Esser kriecht noch tiefer in | |
seinen Mantel hinein. | |
"Gedenkstätte" steht auf dem Schild einige hundert Meter entfernt an der | |
Ahrensburger Straße, Höhe Hausnummer 162 geschrieben, das sehr vage in die | |
richtige Richtung zeigt. "KZ Gedenkstätte" ist dagegen auf einem Schild am | |
Rande des Rahlauer Wanderweges zu lesen, der hier direkt vorbeiführt und | |
auf dem Bernhard Esser gerade steht. Beide Schilder meinen eigentlich | |
dasselbe: eine Gedenkstätte für die Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge der | |
einstigen Wandsbeker Drägerwerke, die hier von 1941 bis zum Mai 1945 in der | |
Kriegsproduktion schuften mussten. | |
Doch da es zwei Schilder gibt, muss es auch zwei Gedenkorte geben: Eine | |
kleine, abgeschlossene Pforte versperrt den Durchgang zwischen ihnen. | |
"Privat. Durchgang verboten" heißt es zusätzlich in Druckbuchstaben. "Das | |
alles ist schon einigermaßen kurios", sagt Bernhard Esser, dreht sich | |
einmal um die eigene Achse und blickt mal auf das eine, mal auf das andere | |
Ensemble aus Hinweistafeln, die die Geschichte dieses Ortes zu erzählen | |
versuchen. | |
Bernhard Esser gehört zum Freundeskreis der KZ Gedenkstätte Neuengamme und | |
hat sich in den vergangenen Jahren mit anderen darum gekümmert, dass die | |
Erinnerung an das, was hier geschehen ist, nicht verblasst. "Die Geschichte | |
des Lagers ist mittlerweile sehr gründlich erforscht worden", sagt Bernhard | |
Esser und verweist auf das Buch "Ein KZ in Wandsbek" von Stefan Romey, das | |
leider vergriffen und nur noch antiquarisch erhältlich sei. | |
400 Zwangsarbeiter wurden 1941 in die Drägerwerke abkommandiert, im Sommer | |
1944 wurden weitere 500 Frauen aus dem KZ Ravensbrück nach Wandsbek | |
gebracht: Die umzäunten Baracken waren eines der Außenlager von Neuengamme. | |
Die Frauen kamen aus der Sowjetunion, aus Polen, aus Slowenien und der | |
Tschechoslowakei sowie aus Skandinavien und aus Deutschland. Sie mussten im | |
Akkord Gasmasken fertigen, in den letzten Kriegsmonaten wurden sie auch zum | |
Trümmerräumen eingesetzt. Als im April 1945 verschiedene Außenlager des KZ | |
Neuengamme aufgelöst wurden, kamen weitere KZ-Häftlingsfrauen nach Wandsbek | |
- viele von ihnen waren dem Tode näher als dem Leben. | |
Bernhard Esser erzählt, was er von einer Zeitzeugin gehört hat: Bei den | |
schweren Bombardierungen auf Hamburg und damit auch auf Wandsbek hätten die | |
Frauen, eingesperrt in die hölzernen Baracken, um ihr Leben geschrien - | |
hörbar für die Bewohner aus den umliegenden Wohnhäusern. Die meldeten sich | |
daraufhin bei der nächsten Polizeiwache, um zu erreichen, dass den Frauen | |
erlaubt werde, die Bunker zu benutzen. | |
Am nächsten Tag sei ein Trupp Arbeiter vorbeigekommen und habe bei den | |
Leuten, die von ihren Wohnungen auf das Lagergelände blicken konnten, die | |
Fensterscheiben schwarz angestrichen. Die Häuser stehen noch heute und | |
erlauben einen Eindruck davon, wie dicht das KZ-Außenlager einst an das | |
Wohngebiet grenzte. Damals fuhr auch die Straßenbahn am Lagergelände | |
vorbei. | |
Am 1. Mai 1945 kann das schwedische Rote Kreuz viele ZwangsarbeiterInnen | |
über Dänemark nach eben Schweden evakuieren. Wer übrig bleibt, hält sich | |
bis zum Eintreffen der britischen Armee versteckt, während die einstigen | |
SS-Wachmannschaften unterzutauchen versuchen. Nur wenige der Täter werden | |
1947 im sogenannten Curiohaus-Prozess vor Gericht gestellt. Wenn überhaupt | |
Haftstrafen verhängt werden, fallen diese recht gering aus. | |
Im Kontext der neueren Geschichtsforschung wuchs das Interesse an der | |
lokalen Dimension dieses Ortes, die Alternative Stadtrundfahrt macht hier | |
Halt. Im Jahr 2000 weichen die Fabrikhallen einem Wohngebiet. Als die | |
ersten Bewohner 2004/2005 ihre Eigenheime auf dem ehemaligen Lagergelände | |
beziehen, zeigen sie sich wenig begeistert, dass auf die Geschichte dieses | |
Ortes hingewiesen werden soll. "Man hatte seinerzeit vergessen, in dem | |
Bebauungsplan unmissverständlich festzulegen, dass auf dem Gelände eine | |
jederzeit öffentlich zugängliche Gedenkstätte errichtet werden wird", | |
erklärt Esser. Stattdessen habe es nur die vage Maßgabe eines Gedenkortes | |
gegeben. | |
Und so fühlen sich die Anwohner im Recht, als sie es ablehnen, das diese | |
für jeden zugänglich sei. Und außerdem: Muss nicht irgendwann mal Schluss | |
sein? Das ist doch nun alles so lange her! Und wenn schon ein Hinweis sein | |
muss, warum dann ausgerechnet hier in ihrer idyllischen Siedlung und nicht | |
woanders, wo es niemanden stört? | |
Erst 2007 werden überhaupt erste Gedenktafeln aufgestellt. Ein historischer | |
Betontrog, an dem sich die Häftlingsfrauen einst waschen mussten, wird gern | |
als Spielgerät genutzt. | |
Lange schwelt der Konflikt. Der Bezirk Wandsbek bietet der | |
Siedlungsgemeinschaft zwischendurch erfolglos an, die Fläche der | |
Gedenkstätte zurückzukaufen. Dann stellt er Mittel bereit, eine zweite | |
Gedenkstätte zu errichten: Diesmal nicht auf dem einstigen Lagergelände, | |
dafür außerhalb der Siedlung und damit auf öffentlichem Grund und Boden - | |
in Form eines gleichschenkligen Dreiecks, dass an den Häftlingswinkel | |
erinnert, der auf die Kleidung der KZ-Häftlinge aufgenäht war. Dazu kommen | |
erstmalig in den Boden eingelassene und gleichfalls dreieckige Tafeln, auf | |
denen die Namen von 483 Frauen sowie noch einmal 24 Geburtsdaten namentlich | |
nicht ermittelter Arbeiterinnen verzeichnet sind. | |
So gibt es nun also zwei Gedenkstätten: die alte, auf privatem Grund mit | |
dem ehemaligen Waschtrog, und eine zweite, öffentliche, im Mai 2010 | |
eingeweihte, voneinander getrennt durch einen Zaun. | |
"Mittlerweile haben sich die Wogen weitgehend geglättet", sagt Esser. | |
Vorbei seien die Zeiten, als spielende Kinder im Unterholz des Rahlauufers | |
die abmontierten Texttafeln der neuen Gedenkstätte fanden, auf denen etwa | |
die Hinrichtung von Raja Ilinauck beschrieben wird: erhängt, weil sie eine | |
Gussform für Gasmaskenteile fallen ließ, was ihr als Sabotage ausgelegt | |
wurde. | |
Bernhard Esser sagt: "Wir wollen das jetzt hier so belassen, wie es ist." | |
Und so erzählen die beiden Gedenkorte auf eine ganz eigene Weise davon, wie | |
lange es dauert, bis die Erinnerung an die Geschichte selbstverständlich | |
geworden ist und welche Verwerfungen es bis dahin gibt. Bernhard Esser ist | |
trotzdem zuweilen unruhig: Ein- oder zweimal in der Woche steigt er aufs | |
Rad, fährt vorbei und schaut, ob alles an seinem Platz ist. Und wenn in der | |
Zwischenzeit Müll herumliegen sollte, dann rufen ihn schon mal Bewohner der | |
einst so ablehnenden Siedlung an. | |
20 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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