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# taz.de -- Neue NS-Gedenkstätte im Emsland: Später Sinneswandel
> An die NS-Konzentrations- und Arbeitslager im Emsland erinnert nun eine
> Gedenkstätte. Vor nicht allzu langer Zeit wäre sie nicht durchsetzbar
> gewesen
Bild: Ausweg Abstraktion: Gefaltete Stahlwände symbolisieren Wachtürme und To…
HAMBURG taz | Spannend wird es später. Wenn die Festreden verweht sind, der
schnöde Alltag eingekehrt ist in die Gedenkstätte Esterwegen, zu deren
Einweihung an diesem Montag neben Niedersachsens Ministerpräsident David
McAllister auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann (beide CDU) im Emsland
erwartet werden. Nun also gibt es ihn: einen zentralen Gedenkort, der nicht
nur auf die insgesamt 15 entlang der Ems verstreuten ehemaligen Lager
verweist, sondern auf eines der ersten KZ, in dem die Nationalsozialisten
ab dem Frühsommer 1933 politische Gegner einsperren ließen.
Eine Gedenkstätte sei 1980 kein Thema gewesen, beschied jüngst der
scheidende Emsländer Landrat Hermann Bröring der Öffentlichkeit. Der
Christdemokrat ist Vorsitzender der Stiftung, die die Geschicke der
Gedenkstätte ab nun lenken und leiten wird. Bemühungen, "eine für die
Emslandlager zentrale Gedenkstätte" zu errichten, habe es sehr früh
gegeben, erzählt dagegen Kurt Buck, langjähriger Vorsitzender des
Dokumentations- und Informationszentrums Emslandlager (DIZ).
Das DIZ gründeten in den 1980ern Studierende der Universität Oldenburg als
eine Art geschichtliche Bürgerinitiative: Ende der 70er-Jahre hatte der
damalige Bundesverteidigungsministers Hans Apel eine Absichtserklärung
gegeben, neben dem frühen Lagergelände in Esterwegen, damals ein
Nachschubdepot der Bundeswehr, 5.000 Quadratmeter zur Verfügung zu stellen.
"Das ist später, nach einem Regierungswechsel in Bonn, zurückgezogen
worden", so Buck. Das DIZ fand vor Ort kein Gehör, musste abwandern nach
Papenburg und betrieb später recht weit entfernt von den ehemaligen
Lagergegeländen eine Informationsstätte.
Der Meppener Lehrer Henning Harpel hat die Nachkriegsgeschichte der Lager
untersucht und ist dabei auf eine eigene Dynamik von Scham und Verdrängung
gestoßen: "Im Emsland war lange die Legende verbreitet, dass man den
Nationalsozialismus stark abgelehnt hat, und das ist zumindest für den
Anfang nicht ganz falsch. Aber als die Nazis dann da waren, hat man sich
gut angepasst oder musste sich anpassen - je nachdem. Und so haben viele
Emsländer das Gefühl, das sie doch tief verstrickt waren." Dazu komme eine
oft unreflektierte, kollektive Heimatliebe: "Gerade in einer Region wie dem
Emsland schämt man sich auch für das, was der Nachbar verbrochen hat, der
Verwandte oder jemand aus dem eigenen Dorf."
Dass sich die Abwehr gegen jede Art der Beschäftigung mit der Vergangenheit
so lange hielt, ist auch dem politischen Klima geschuldet: In Esterwegen
wurden anfangs vorwiegend Kommunisten und dann Sozialdemokraten interniert
- und mit denen konnte man eben auch nach dem Krieg wenig anfangen im
Emsland, wo die CDU mancherorts noch heute die 60- oder gar die
70-Prozent-Marke knackt.
Eine zweite große Gruppe in den Lagern waren sogenannte Strafgefangene oder
von der Militärjustiz Verurteilte: Lange war daher in der Region davon die
Rede, "die" wären zu recht eingesperrt gewesen. Und so tat man viel, um das
Geschehene vergessen zu machen: "Mit den Lagerorten", sagt Buck, "wurde
sehr rücksichtslos umgegangen."
Auch in Esterwegen ist nichts an historischer Substanz erhalten geblieben.
Auf eine naive Rekonstruktion des Lagergeländes durch neu erbaute Baracken
oder Zäune verzichtete man, und so blieb der Ausweg in die Abstraktion:
Gefaltete Stahlwände symbolisieren Wachtürme und Tore, Stahlkanten zeigen
ehemalige Barackengrundrisse an. Ein metallener Steg mit Aussichtspunkt
führt hinaus ins Moor, wo einst die Häftlinge arbeiten mussten.
Das DIZ in Papenburg wird in der neuen, nun kommunalen Gedenkstätte
aufgehen. "Alle unsere Mitarbeiter, die bisher beim DIZ angestellt sind und
die alle fast von Anfang an dabei sind, gehen in die neue Gedenkstätte
hinein", sagt Kurt Buck. Ebenso alles, "was wir in unseren nun 26 Jahren an
Exponaten, Briefen, Zeichnungen und Schnitzereien ehemaliger Lagerinsassen
gesammelt haben". Er gehe "davon aus, dass wir voll integriert sind".
Auch die Nachkriegsgeschichte der Lager, in denen geschätzt 30.000 Menschen
ums Leben gekommen sein dürften, berücksichtige man: "Die Geschichte hört
ja nicht 1945 auf. Und so wird es neben der Dauerausstellung, die die
unmittelbare Lagerzeit thematisiert, einen zweiten Ausstellungsraum geben,
der sich allein damit beschäftigt, wie man nach dem Kriege hier im Emsland
mit seiner Geschichte umging." Die Beschäftigung mit der eigenen
Verdrängungsleistung sei heute auch vom Landkreis ausdrücklich erwünscht.
Einer, der in die derzeitige Lobgesänge auf den Landkreis Emsland nur
bedingt einstimmen will, ist der Journalist Gerhard Kromschröder. Sein
beruflicher Werdegang ist auf eigene Weise mit der Geschichte der
Emslandlager verknüpft: Kromschröder war zusammen mit Hermann Vinke von
1963 bis 1967 Mitarbeiter der Ems-Zeitung in Papenburg. Sie begannen die
Geschichte der Lager zu recherchieren - und wurden entlassen. "Wir haben
ein bisschen zu viel über die Lager berichtet", sagt Kremschröder, "und die
Kirche kam auch nicht so gut weg."
Vinke ging zum NDR, war später Japan-Korrespondent der ARD, Hörfunkdirektor
von Radio Bremen. Kremschröder landete bei der Zeitschrift Pardon,
arbeitete mit Günter Wallraff, wurde Redakteur beim Stern. "Es gab diese
Moorsoldatentreffen", erinnert er sich. "Wenn du da hinkamst, wurdest du
vom Verfassungsschutz fotografiert und am nächsten Tag gab es einen Anruf
von der Chefredaktion aus Osnabrück, wo man sich denn rumgetrieben hätte."
Entsprechend kommentiert er ein wenig spöttisch den Hype um die Eröffnung
der kommenden Gedenkstätte: "Da sind ja Millionen reingeflossen nach dem
Motto: ,Wir haben jetzt auch Erinnerungskultur - auf Weltniveau!'" Nur ein
paar Kilometer weiter, in Börgermoor, "wo das Lied von den ,Moorsoldaten'
geschrieben wurde", da sei "1968 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion komplett
alles abgerissen" worden. "Nach mehr als sechs Jahrzehnten", sagt
Kremschröder, "haben sie ein wunderbares Haus gebaut - kann man nur hoffen,
dass die Erinnerung auch einzieht."
## Erstmals öffentlich zugänglich ist die Gedenkstätte heute ab 14 Uhr.
Internet:
30 Oct 2011
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
KZ
NS-Dokumentationszentrum
Osnabrück
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