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# taz.de -- Nazihinterlassenschaften im Wald: 40 Kesselwagen täglich
> Halb von Pflanzen überwuchert, liegt nahe Hitzacker ein riesiges Areal,
> auf dem im "Dritten Reich" Treibstoff gelagert wurde. Mit der "Wifo" kam
> der Wohlstand - dass hier Zwangsarbeiter geschunden wurden, daran
> erinnert sich nicht jeder gerne.
Bild: Als hätten Außerirdische einen Landeplatz in den Boden geschlagen: Klau…
HITZACKER taz | Ein schöner Tag. Der blaue Himmel ist verziert mit
leichten, flockigen Wolken. Es wird warm werden, aber noch nicht heiß. Vor
einem weiß getünchten Gebäude mit zahlreichen Anbauten machen wir Halt.
"Hier war der Schlagbaum und gleich dahinter saßen die Wachmannschaften der
SS", erzählt Klaus Lehmann, Leiter des Museums "Das alte Zollhaus" in
Hitzacker.
"Und dahinter war das Labor, da wurde geforscht", ergänzt sein Mitarbeiter
Paul Wicke. Lehmann sieht ihn ungläubig an und fragt: "Hier in der Wifo
wurde geforscht?" - "Doch", sagt Wicke. "Darüber schreibt ja auch Lorenz."
Lorenz? Wifo? Und das beides nahe der Stadt Hitzacker an der Elbe, dem Ort,
den die ganze Republik aus dem Fernsehen kennt, wenn das Winterhochwasser
der Elbe die Altstadt mediengerecht unter Wasser setzt: Nordwestlich der
Stadt, im Dötzinger Forst, hatte die reichsdeutsche Wissenschaftliche
Forschungsgesellschaft - kurz: Wifo - eines ihrer gigantischen
Treibstofflager.
"Die ersten, immer tief in die Erde gegrabenen Tankanlagen entstanden hier
ab 1936, gewissermaßen als kriegsvorbereitende Maßnahme", erzählt Lehmann.
"Man wollte unabhängig von ausländischen Importeuren sein. Vorzugsweise
leichteres Flugbenzin für die Luftwaffe wurde hier eingelagert,
Schmierstoffe und Öle für die Hydraulik der Flugzeuge hergestellt sowie
später Spezialantriebsstoffe für die V 1, die angebliche Wunderwaffe."
Seit Klaus Lehmann die Leitung übernommen hat, macht er das Wifo-Gelände zu
einem Thema des Museums. Nicht allein aus einem abstrakten, historischen
Interesse heraus, sondern weil die neuere Geschichte Hitzackers eng mit der
Wifo verknüpft ist: Mit der streng bewachten Rüstungsanlage kamen
Arbeitsplätze, kam Geld in den Ort.
Oder wie die Leute in Hitzacker noch heute sagen: "Die Wifo brachte Brot."
Eine eigene Siedlung entstand, die Zahl der Einwohner verdoppelte sich.
"Die Straßen dort hatten Namen wie ,Straße der SS' oder
,Adolf-Hitler-Straße', erzählt Paul Wicke.
Woran sich später niemand so recht erinnern wollte. Zum Glück aber gab es
den erwähnten Lorenz: Max Lorenz, der jahrelang bei der Wifo gearbeitet
hatte und aus der Erinnerung fein säuberlich aufzeichnete, wo welcher Tank
unter meterdicker Erde lag und wo die Leitungen verliefen. Fußend auf
diesen Angaben kartografiert Wicke das Gelände derzeit per GPS.
Lehmann und Wicke gehen voran, schlagen sich durchs Unterholz. Morsche Äste
knacken, dornigen Zweigen muss ausgewichen werden. Es geht leicht bergauf
und dann plötzlich wieder bergab. Und schnell wird deutlich, warum gerade
hier diese Anlage erbaut wurde: Das Gelände ist unübersichtlich, verworren.
Die Anlage blieb lange unentdeckt. Erst im März und April 1945 gab es
Luftangriffe.
Plötzlich öffnet sich eine Art Tal: Es wirkt, als hätten Außerirdische hier
einen Landeplatz in den Boden geschlagen. Hier wurde ab 1940 der so
genannte "Block 5" gebaut, für fünf gigantisch große Tanks. Die Anlage
wurde nie in Betrieb genommen.
Die Abdrücke der Nieten, mit denen die Stahlplatten zu runden Körpern
gefügt wurden, sind gut zu erkennen im inzwischen bröckelnden Beton, der
die Tanks ummantelte. Bäume und Sträucher haben sich darauf festgesetzt,
untergraben das Material mit ihren Wurzeln. "Es geht nicht darum, dieses
Gelände zu sanieren", sagt Lehmann. "Aber wir müssen es so weit erhalten,
dass die ungeheure Dimension der Anlage sichtbar bleibt." Deshalb werde er
demnächst wieder die Kettensäge schwingen.
Im Mai 1945 besetzten die Briten Hitzacker. Wie auch die nachrückenden
Amerikaner zeigten sie sich zuerst sehr interessiert am technischen
Standard der Wifo-Anlage. "Es gab am Anfang wohl Ideen, alles weiterhin zu
nutzen", sagt Lehmann, "aber auf der anderen Elbseite standen ja die
Russen, der Kalte Krieg bahnte sich schnell an, da wurde das denen hier zu
heiß."
Eine ähnliche Anlage der Wifo in Farge bei Bremen dagegen blieb in Betrieb
- und wird noch heute unter anderem von der Nato genutzt. In Hitzacker aber
erhielten damals örtliche Abbruchunternehmer die Erlaubnis, die Unmengen an
Stahl zu bergen. Im Gegenzug mussten sie die Betonkörper sprengen. "Die
Detonationen waren so gewaltig, dass in der Stadt Fensterscheiben zu Bruch
gingen", erzählt Lehmann: "Ich habe im Museum noch die Rechnungen für die
Glaser aus der Zeit liegen."
Es geht weiter durch den Wald. Lehmann und Wicke zeigen auf heute fast
zugewachsene, ehemalige Löschteiche. Oder auf einen befestigten Damm, der
sich durchs Gelände zieht: Hier transportierte einst eine Schmalspurbahn
Material zwischen den verschiedenen Anlagenteilen hin und her.
Immer wieder, ragen Metallrohre unvermittelt aus dem Boden, tun sich Löcher
im Boden auf: Reste von Schächten, in denen man sich gut die Beine brechen
könnte. "Das ist auch der Grund, warum nirgendwo Hinweisschilder zu finden
sind", sagt Lehmann. "Wir können einfach nicht empfehlen, auf eigene Faust
durch den Forst zu wandern. Es ist schlicht zu gefährlich."
Das Museum bietet geführte Touren an - auch deshalb, weil sich vieles hier
nicht erschließt, wenn es einem nicht erklärt wird. Bei den Führungen seien
"immer wieder Altnazis dabei", erzählt der Museumsleiter, "Leute, die alles
toll finden, was mit der Wehrmacht zu tun hat, und uns mit technischen
Fragen löchern."
Inzwischen halte er es für sinnlos, "vorweg einen moralischen Vortrag zu
halten", erzählt Lehmann. Aber am Ende weise ich sie darauf hin, dass diese
riesige Anlage von Menschen erbaut wurde, die kaum Maschinen zur Verfügung
hatten.
Und dass viele der Arbeiter zu dieser Arbeit gezwungen wurden - die
Zwangsarbeiter und die Kriegsgefangenen, die hier interniert waren. Dann
werden die allermeisten nachdenklich und das Technische rückt in den
Hintergrund."
Das mit den Zwangsarbeitern hören die Leute in Hitzacker bis heute nicht
wirklich gerne: "Die mögen nicht mal das Wort", sagt Lehmann. "Die sagen
dann: ,Ach, hier waren Polen, Russen oder Holländer beschäftigt', als wären
das ganz normale Arbeitskräfte gewesen."
Im Museum gibt es dazu eine Hörstation, basierend auf den Erinnerungen des
Rektors einer örtlichen Realschule: "Da der deutsche Mann den feldgrauen
Waffenrock trägt, sind als Arbeiter hier viele Ausländer eingestellt",
erzählt eine Stimme.
"Dänen, Norweger, Holländer und viele andere. Dazu kommen Gefangene: Polen,
Franzosen und Belgier. Tritt man auf die Straße oder geht man in ein
Gasthaus, dann hört man wie beim babylonischen Turmbau so viele fremde
Sprachen, dass man bass erstaunt ist."
Wo die Baracken für die Zwangsarbeiter und die Kriegsgefangenen standen,
hat heute ein Träger für Jugendfreizeiten seine einfachen Häuser stehen,
samt Fußballplatz. Von der ursprünglichen Anlage ist kaum noch etwas zu
erkennen. Lehmann und Wicke stecken die Köpfe zusammen: Hier müssten sie
wirklich mal eine Tafel aufstellen.
Der Museumsleiter stößt einen tiefen Seufzer aus: Er hat derzeit so einige
Baustellen zu betreuen: verschiedene Ausstellungen, die in Planung sind;
Projekte, die angeschoben werden müssen.
Und dann droht ihm auch noch Ungemach von Seiten des Landes und des Bundes:
die Zahl an Ein-Euro-Kräften, die in den Museen wie seinem eingesetzt
werden können, soll drastisch reduziert werden. "Ich weiß nicht, wie das
gehen soll, wenn wir diese Leute, die sich oft gut einarbeiten und die sehr
hilfreich sind, nicht mehr haben", sagt Lehmann. Schon die Besetzung der
täglichen Öffnungszeiten werde dann ein Problem. Erst am Abend zuvor haben
sich in dieser Sache zwölf Museen aus der Region getroffen.
## Mit Schulen kooperiert
Dabei hat Lehmann nie allein auf sein Personal gesetzt: Von Anfang an hat
das Museum eng mit Schulen zusammen gearbeitet, haben Schüler in
Projektwochen das Gelände entholzt oder in der Stadt nach Erinnerungen an
die Wifo gefragt. Aber auch da gebe es Schwierigkeiten: "Lehrern fällt es
zunehmend schwer, ihren Unterrichtsraum zu verlassen und sich auf andere
Vermittlungsformen einzulassen", sagt Lehmann. "Und dann kommen die Lehrer
ja heute von überall her, aus Scharnebeck, aus Lüchow. Es gibt bei ihnen
kaum noch so etwas wie ein regionales Bewusstsein, an das wir anknüpfen
könnten."
Es geht zurück in die Stadt, vorbei an weiteren weißgetünchten Gebäuden,
die im Wald stehen. "Hier war der Bahnhof; von hier wurden das Benzin und
die Maschinenöle per Schiene abtransportiert", erklärt Paul Wicke. In
Hochphasen 40 Kesselwagen täglich. Am Ende des Geländes zeigt sich ein
Reifenlager: Alte Reifen aus dem ganzen Landkreis werden hier gesammelt,
gelagert und weiter verschifft. Vorzugsweise nach Afrika.
## Museum "Das alte Zollhaus", Zollstraße 2, Hitzacker/Elbe. Internet:
Führungen durch die Wifo-Anlage an jedem 1. Samstag des Monats
20 Apr 2011
## AUTOREN
Frank Keil
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