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# taz.de -- Gedenkstätte "Elbberg" in Boizenburg: Schnittstelle zweier Diktatu…
> Sommer im Museum (4): Der Erinnerungsort "Elbberg" in Boizenburg ist
> ambivalent, war dort doch zunächst ein Zwangsarbeiterinnen-Lager der
> Nazis und später DDR-Grenzkontrollposten. Eine Vermischung beider
> Geschichten vermeidet die Gedenkstätte zum Glück.
Bild: Vermengung und Relativierung vermieden: Gedenkstätte Boizenburg.
BOIZENBURG taz | "Nach Auschwitz waren die Baracken hier phantastisch",
sagt die Stimme. Und sie erzählt, dass es in den Baracken einen Tisch und
einen Ofen gegeben habe, zu ihrer Freude: "Weil wo Ofen ist, wird man auch
heizen - und so war es", hört man.
Die Stimme kommt vom Band. Sie gehört Edith Feher, die im Sommer 2002 noch
einmal nach Boizenburg an die Elbe kam, diesmal nicht als Gefangene,
sondern auf Einladung der Stadt. Sie war eine von 400 ungarischen Jüdinnen,
die im Juli 1944 von Auschwitz hierher gebracht wurden - 400 von
geschätzten 100.000 ungarischen Juden, die die Nazis als
Zwangsarbeiterinnen vorzugsweise in der Rüstungsproduktion einsetzten.
300.000 von ihnen brachten sie während dieser Zeit innerhalb weniger Wochen
in Auschwitz und anderen Lagern um. Denn die bis dato kollaborierende
ungarische Regierung hatte sich angesichts der bevorstehenden Niederlage
Nazideutschlands doch noch den Alliierten zugewandt. Zudem war das Land
jetzt von den Deutschen besetzt.
Von den Gebäuden im mecklenburg-vorpommerschen Boizenburg ist nur die
einstige Küchenbaracke erhalten geblieben. Heute fungiert sie als
Außenstelle des Heimatmuseums der Stadt Boizenburg, die jahrzehntelang
DDR-Grenzstadt war. Es ist ein langer, gestreckter Bau, und er wirkt, als
habe man ihn damals halb in die Erde eingegraben. Nun steht der Besucher in
ihr und blickt auf das solide Mauerwerk und auf ein gutes Dutzend
Texttafeln, auf denen sehr komprimiert nicht nur die Geschichte dieses
Lagers, sondern die des nationalsozialistischen Lagersystems erklärt wird.
Auch ein Modell steht da, das das einstige Lager mit seinen Baracken, den
Nebengebäuden und den Wachtürmen zeigt. Dazu hört man eben jene Stimmen
Edith Fehers und Lea Eisdörfers, die in einem leichten Singsang vom Hunger,
der Willkür und den Misshandlungen erzählen. All dies stand auf der
Tagesordnung, wenn sie zurückkamen, von den Zwölf-Stunden-Schichten in der
damaligen "Thomsen & Co., Werft, Fahrzeug- und Maschinenfabrik GmbH", wo
sie meist Flugzeugtragflächen montieren mussten.
Auch diese Interviewpassagen sind kurz und knapp gehalten. Jeweils ein paar
Minuten nur dauern die Berichte. Aber sie reichen aus, um sich dem
damaligen Geschehen auf eine ganz eigene Weise zu nähern. Und so ist diese
Gedenkstätte am Boizenburger Elbhang, von wo aus man in aller Ruhe auf den
sacht dahin fließenden Fluss blicken kann, geradezu ein Paradebeispiel für
einen gelungenen Geschichtsort, den man all den Verantwortlichen und
Zuständigen von Städten, Gemeinden und Kommunen nur empfehlen kann, wenn
sie mal wieder leicht aufstöhnen und sagen: ,Ja, muss denn an jeder Ecke,
wo damals Schlimmes passiert ist, nun auch eine Gedenkstätte errichtet
werden?'
Erstens: Ja, es muss, und das grundsätzlich, um den Schrecken, den Terror
und das Leid jener Tage nicht vergessen zu lassen. Und zweitens wird gerade
ein solch komprimierter und didaktisch gut durchdachter Museumsort vom
Publikum - wie es im Jargon des Tourismusmarketing heißt - ,gern
angenommen'.
Das ist gut zu beobachten, wenn man sich draußen auf einer der
bereitstehenden Bänke in die Sonne setzt. Denn die Gedenkstätte liegt am
Fahrradwanderweg, der von der Elbmündung bei Cuxhaven bis zurück zur Quelle
in Tschechien führt - und umgekehrt. Jede Menge Fahrradfahrer machen in
Boizenburg Rast, steigen in ihren zuweilen quietschbunten Zweckbekleidungen
die Stufen der einstigen Küchenbaracke hinab und treten in der Regel nach
einer halben Stunden mit ernsten, aber keineswegs mürrischen Gesichtern
wieder ans Tageslicht.
Es ist also durchaus möglich, sich mitten im Urlaub, wo Entspannung und
Kontemplation auf der Tagesordnung stehen, mit etwas ganz anderem zu
konfrontieren und von beidem zu profitieren.
Ohnehin bietet sich in Boizenburg ein Stopp an, stand doch an dieser Stelle
einst ein Kontrollposten, der die DDR-Grenze überwachen sollte. Und so wird
nebenher auch die ostdeutsche Nachkriegsgeschichte des einstigen
Zwangsarbeiterinnenlagers erzählt: In einer der beiden Vitrinen lagert etwa
der zerbrochene Gedenkstein, den die örtliche SED-Kreisleitung im Jahre
1969 aufstellen ließ - nachdem sie den Auftrag für diesen 25 Jahre zuvor
vergeben hatte.
Eine Kopie eines damaligen lokalen Zeitungsartikels verrät hingegen, wie
man mit der einzigen ermittelten Täterin verfuhr: Die SS-Lagerführerin
Gertrud Krüger wurde 1948 zu drei Jahren Haft und "weiteren vorgesehenen
Sühnemaßnahmen" verurteilt. In einer kleinen, ebenfalls sehr informativen
Broschüre, die man gegen eine Spende mitnehmen kann, wird Weiteres erzählt:
etwa, dass man es zu DDR-Zeiten vermied, darauf zu verweisen, das es sich
bei den hierher Verschleppten um Jüdinnen handelte - und das man es nicht
wichtig fand, Boizenburger Zeitzeugen über die NS-Zeit zu befragen und ihre
Auskünfte festzuhalten. Systematisch geforscht wurde erst, als viele der
potentiellen Zeitzeugen nicht mehr am Leben waren - nach der Wende.
Und im Nu ist der Besucher auch dort angekommen, wo sie sich am
konkretesten manifestiert: an der einstigen Grenze. Exakt gegenüber der
Gedenkstätte betritt man eine Art größere Verkehrsinsel mit
Beobachtungsturm. Hier befand sich bis zum Spätherbst 1989 eine
Kontrollstelle der DDR-Grenztruppen, stets bereit, dem Klassenfeind ebenso
entgegen zu treten wie den eventuellen Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung,
sich diesen vielleicht einmal aus der Nähe anzuschauen.
Es ist also zunächst die Geschichte einer fortschreitenden Selbstisolation,
die in dieser zweiten Außenstelle des Boizenburger Heimatmuseums zu
erfahren ist, die sich in den Jahren der Zwangsumsiedelungen ab 1952 bis
zum Jahr des Mauerbaus 1961 steigerte und festigte. Bis 1972 Boizenburg -
im Vorgriff auf den Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR 1973 und
dem damit verbundenen ,kleinen Grenzverkehr' - wieder aus dem eigentlichen
Grenzgebiet ausgegliedert wurde, während zugleich die Grenzanlagen
verstärkt und ausgebaut wurden.
Um dies aus der Nähe zu erfahren, kann man den ehemaligen Beobachtungsturm
betreten; auf den dort aufgestellten Stelen erfährt man Weiteres über die
Geschichte des Grenzortes Boizenburg: Engagierten sich anfangs freiwillige
Helfer, die mit Fernglas und Schlagstock nach Fluchtwilligen Ausschau
hielten, übernahmen dies bald bewaffnete Einheiten, bestehend auch aus
Wehrpflichtigen. Auch sieht man, wie die Grenze vom Westen - genauer: von
Lauenburg aus - wahrgenommen wurde.
Dies alles wird nun schon gewohnt unaufgeregt präsentiert und zugleich
äußerst informativ gehalten - ohne dass es zu leichtfertigen Analogien oder
Gleichsetzungen käme: Diese Präsentation legt in keiner Weise nahe, dass
die NS-Diktatur der der DDR vergleichbar gewesen wäre.
Und der Raum zwischen der Gedenkstätte und dem ehemaligen Beobachtungsturm
samt Informationstafeln? Hier läuft die Bundesstraße 5, die das einst
westdeutsche Lauenburg und das einst ostdeutsche Boizenburg parallel zum
Elbfluss verband und heute eine normale Städteverbindung ist. Eine
entsprechend gut ausgebaute Straße, gesäumt von Bäumen, ab dem Boizenburger
Ortseingang auch von Plakaten, die auf die bevorstehenden Kommunalwahlen
verweisen. "Wir bleiben hier. Wir packen an" ist da zum Beispiel zu lesen,
während ein kleines Mädchen mit Haarkranz vor einem wogendem Kornfeld
steht.
Ein älteres Ehepaar dagegen wandert recht zufrieden durch den Wald, umrahmt
von der Parole ,Kriminelle Ausländer raus!' Es ist ein Plakat der NPD, die
aktuell nur deshalb nicht in der Stadtversammlung vertreten ist, weil ihr
Vertreter aus Boizenburg wegzog. All dies rezipierend, ist nun der Besucher
gefordert, sich der Gegenwart zu widmen - gerüstet mit wichtigen
Erkenntnissen aus der Geschichte.
2 Aug 2011
## AUTOREN
Frank Keil
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