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# taz.de -- Erinnerung: Militaria im Todeslager
> Zur Nazizeit war Sandbostel bei Bremervörde ein riesiges
> Kriegsgefangenlager, 1945 starben hier 2.700 KZ-Häftlinge. Heute befinden
> sich auf dem Gelände ein Heim für "Neufundlaender in Not" - und eine
> Gedenkstätte. Von der war die Bevölkerung anfangs nicht begeistert.
Bild: Verfallen: Eine Baracke im ehemaligen Kriegsgefangenenlager.
Erst ist es einer, der anschlägt. Sofort fällt ein Zweiter ein. Dann ein
Dritter, ein Vierter, ein Fünfter. Im Nu erhebt sich wildes Hundegebell
hinter dem mit grüner Plane abgetrennten Zaun, durchmischt von hektischen
Stimmen, die sich durchzusetzen versuchen.
Das Hundegebell sei besonders für die Überlebenden belastend, die hierher
zurückkehren, oft mit ihren Angehörigen, um zu zeigen, in welchen Baracken
sie leben mussten, sagt Werner Borgsen vom Gedenkstättenverein. Denn dieses
Geviert bei Sandbostel war Kriegsgefangenenlager, vom ersten bis zum
letzten Kriegstag. Hinter dem Zaun, absolut uneinsehbar, dafür hörbar,
residiert nun der Verein "Tiergnadenhof Rasselbande e.V.". Auch der Verein
"Neufundlaender-in-Not e.V" hat hier seine Basis.
Es ist ein absurder Ort: dort die mit buntem Schriftzug bedruckten
Fahrzeuge der Tierpension - hier die langen Reihen an Baracken, in denen
Menschen über Jahre festgehalten wurden, nachdem das Heeresbauamt Bremen
bereits im August 1939 sich nach einem Gelände umschaute, in dem 10.000
Gefangene untergebracht werden sollten. In Sandbostel bei Bremervörde wurde
man fündig, fand ein Areal, das einerseits leicht abzuschotten und dass
andererseits gut erreichbar war, auch für schwere Fahrzeuge und Maschinen.
Zuerst kamen polnische Kriegsgefangene. Dann Belgier, Holländer, Franzosen.
Schließlich sowjetische Kriegsgefangene. Besonders sie lebten bald unter
erbärmlichen Verhältnissen. Bis heute ist nicht ermittelt, wie viele von
ihnen starben. Zeitweise lebten in Sandbostel aufgeteilt auf rund 150
Baracken und anderen Gebäuden, auf einer Fläche von 35 Hektar mehr als
50.000 Menschen, während weitere in Außenstellen verwaltet wurden. Doch das
Grauen lässt sich steigern: Im April 1945 wurden tausende Häftlinge aus
Neuengamme hier hergetrieben. Sandbostel wird KZ-Auffanglager. Über 2.700
Menschen starben innerhalb weniger Tage am Rande des Lagers. Heute steht
dort dicht der Futtermais.
Nach dem Krieg wurden überwiegend Angehörige der Waffen-SS in den Baracken
eingesperrt, dann dienten sie als Auffanglager für jugendliche
DDR-Flüchtlinge. "Man hat es übrigens nie für nötig befunden, den
Jugendlichen zu erzählen, was das für Baracken waren, in denen sie
unterkamen", erklärt Borgsen und bleibt vor einer Baracke stehen. Im
Inneren finden sich noch die Sprüche, die die Jugendlichen in den Putz
geritzt haben: "Wir grüßen alle, die aus Magdeburg kommen."
Es gibt überhaupt vieles zu berichten - auch über die Nachkriegsgeschichte
des Lagers und die lange erfolgreichen Versuche, die Geschichte des Lagers
wenigstens zu nivellieren, wenn man sie denn nicht ganz verschweigen
konnte. 1974 wurde das einstige Lager zum Gewerbegebiet deklariert und
erhielt dafür den idyllischen Namen "Immenhain". Ein Ferienhof nebst
Pferdehof siedelte sich an, ein Holzhandel kam hinzu. Dort, wo früher die
Lagerkommandantur war, brachte die Gemeinde die örtliche Straßenmeisterei
unter. In einigen Baracken lagerte ein Militariahändler Gasmasken und
Uniformen.
Doch Anfang der 90er, als überall die Geschehnisse der NS-Zeit auf das
Lokale heruntergebrochen wurden, gründete sich auch in Sandbostel ein
Verein, der die Geschichte des Lagers erforschen und die örtliche
Bevölkerung darüber informieren wollte. Der Verein stieß auf heftigen
Widerstand: Mal seien gar nicht so viele Menschen hier gestorben, wie
behauptet, und wenn, dann sei alles nach geltendem Kriegsrecht geschehen.
Mal wollte man einfach nur seine Ruhe haben.
Unterstützung erhielt die Gruppe durch den Hamburger Bauunternehmer Ivar
Buterfas, dessen jüdischer Vater das KZ Sachsenhausen überlebte und der in
Hamburg versteckt selbst nur knapp der Deportation entging. Buterfas nutzte
seine Kontakte über alle Parteigrenzen hinweg: Er klopfte bei Christian
Wulf in Hannover an, holte Sigmar Gabriel nach Sandbostel. 2004 gründete
sich eine Stiftung und zum ersten Mal wurden vom Land Finanzmittel
bereitgestellt, mit denen sich auch arbeiten ließ. Etwa zehn Prozent der
Fläche und die ersten Baracken konnten aufgekauft werden. Das gesamte Areal
war bereits 1992 unter Denkmalschutz gestellt worden.
So gesehen haben die Initiatoren viel erreicht. Bald werden sie umziehen
können aus ihrem bescheidenen Domizil, in dem jetzt die Dauerausstellung
untergebracht ist, hinüber in einen lang gestreckten, frisch renovierten
Bau, wo bis 2013 das neue Dokumentationszentrum entstehen soll. Drei
Historikerstellen sind jüngst ausgeschrieben worden. Immer mehr Besucher
schauen vorbei.
Für die Baracken ringsum, die nicht der Gedenkstätte gehören und langsam,
aber sicher zerfallen, werden dagegen wohl keine Gelder bereitgestellt.
Dann und wann braust jemand vom Tierhof mit quietschenden Reifen vorbei. Es
kann auch vorkommen, dass jemand fragt, ob man nichts Besseres zu tun hat,
als hier herumzuspazieren.
Dort, wo früher die Gefangenen auf ihre Entlausung und die Desinfektion
ihrer Kleider warten mussten, wo Häftlinge drangsaliert und manchmal auch
getötet wurden, erhebt sich ein frisch erbautes Einfamilienhaus. Wo nur
wenige hundert Meter weiter einst Menschen verhungert sind, wird jetzt auf
der Terrasse gegrillt. Das dazu gehörige Grundstück ist aus dem
Denkmalschutz herausgenommen worden.
20 Sep 2010
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
NS-Verfolgte
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