# taz.de -- Jüdische Polizisten im Dritten Reich: „Einige mussten Trümmer r… | |
> Hamburgs Polizeimuseum zeigt eine Ausstellung über die Verfolgung | |
> jüdischer Polizisten im NS-Staat. Ex-Kommissar Bähr hat 47 Biographien | |
> recherchiert | |
Bild: Zur Zwangsarbeit abkommandiert: der ehemalige Polizist Friedrich Müller … | |
Interview | |
taz: Herr Bähr, wie erging es Hamburger jüdischen Polizisten im Dritten | |
Reich? | |
Martin Bähr: Es war ja damals ein reiner Männerberuf, und es erging ihnen | |
unmenschlich. Der Grad ihrer Drangsalierung hing davon ab, wie viel | |
„Jüdischsein“ ihnen das NS-Regime zuschrieb. Wer keinen „Ariernachweis“ | |
erbringen konnte, wurde entlassen bzw. gedrängt, „aus gesundheitlichen | |
Gründen“ darum zu ersuchen. Ausgenommen waren zunächst diejenigen, die | |
schon vor dem Ersten Weltkrieg bei der Polizei waren oder im Krieg gedient | |
hatten. Sie wurden „erst“ 1935 entlassen. Bis 1940 hat man auch | |
„Mischlinge“ mit einem jüdischen Eltern- oder Großelternteil entlassen, | |
aber nicht deportiert. | |
Sondern zur Zwangsarbeit verpflichtet. | |
Ja, ab 1944 mussten „Mischlinge“ Trümmer räumen und Gräber ausheben, unt… | |
anderem auf dem Ohlsdorfer Friedhof. | |
Hat sich niemand gegen die Entlassung gewehrt? | |
Der Widerstand war gering. Ein Kollege hat die Annahme des | |
Entlassungsschreibens mit der Begründung abgelehnt, die Frist sei | |
überschritten. Man hat dann drei Jahre gebraucht, ihn zum Entlassungsgesuch | |
zu bewegen. Der Apparat war bemüht, im Rahmen der damaligen Gesetze | |
rechtlich „sauber“ zu agieren. | |
Haben Kollegen gegen die Entlassungen protestiert? | |
Die Akten sagen darüber nichts. Generell agierte die [1][Polizei] | |
willfährig gegenüber dem Regime. Es gab Versuche, „Mischlinge“ zu halten, | |
weil sie wichtig für die Dienststelle waren, aber ohne Erfolg. Ein | |
Denunziant ist nach 1945 entlassen worden. Das fanden selbst die | |
PolizistInnen der damaligen Zeit schändlich, einen Kollegen anzuschwärzen. | |
Konnten einige emigrieren? | |
Ja, der jüdische Jurist Oswald Lassally etwa wurde nach einer Haft wegen | |
„Rassenschande“ – seine Frau war Nichtjüdin – vor die Wahl gestellt: KZ | |
oder Emigration. Er ging nach Brasilien. | |
Gab es auch Deportationen? | |
Ja. Die Familie eines Büromitarbeiters wurde nach [2][Minsk] deportiert und | |
dort ermordet. Und Gertrud Weidner, jüdische Ehefrau eines nichtjüdischen | |
Polizeihauptwachtmeisters, war nach dessen Tod nicht mehr durch die | |
„privilegierte Mischehe“ geschützt und wurde in Auschwitz ermordet. | |
Kehrten einige Überlebende nach 1945 zur Polizei zurück? | |
Ja, viele. | |
Täter und Opfer arbeiteten wieder zusammen? | |
Dazu habe ich in den Akten wenig gefunden. Tatsache ist, dass 1.500 | |
Polizisten im Zuge der Entnazifizierung entlassen wurden. Die musste man | |
ersetzen, und für die Kollegen war es eine Chance, wieder Geld zu | |
verdienen. | |
Ist dies die erste Ausstellung über jüdische Polizisten im NS-Regime? | |
Vermutlich. Einzelfälle waren bekannt, aber eine systematische | |
Durchleuchtung einer Behörde gab es wohl nicht. Für Hamburg ist das | |
möglich, weil die [3][Geschichte der Polizei] besonders gut dokumentiert | |
ist. | |
31 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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