# taz.de -- Kunst im öffentlichen Raum: Die ganze Zeit über da | |
> Die Kunsthäuser sind zwar zu, aber draußen gibt es viel Kunst zu | |
> entdecken. Vier Stationen in Hamburg – die auch vom Ringen mit der Zeit | |
> erzählen. | |
Bild: Gloria Friedmanns „Hier + Jetzt“ vorm Hamburger Landgericht | |
Hamburg taz | Man kann ja noch raus. Ein paar Schritte gehen, sich von dem | |
ganzen Geskype erholen, von den Nachrichten, den Sondersendungen, den | |
Mutmaßungen, wie lange das alles noch dauert. Dort, unterwegs, trifft man | |
mitunter auf Kunst, die nur so rumzustehen scheint und uns in dem Moment | |
erwischt, in dem wir gar nicht auf sie aus sind. | |
Man kann aber auch ausdrücklich nach der „[1][Kunst im öffentlichen Raum]“ | |
Ausschau halten, etwa in Hamburg. Gemäß einem Programm der dortigen | |
Kulturbehörde, [2][1981 aufgelegt], um die bis dato oft nur dekorative | |
„[3][Kunst am Bau]“ abzulösen, läuft es bis heute. In den ersten beiden | |
Jahrzehnten war sie stark von der Mahnmal-Diskussion geprägt – 1979 lief | |
die [4][Serie „Holocaust“] im deutschen Fernsehen, 1985 folgte die | |
[5][Weizäcker-Rede], ab 1995 die [6][Wehrmachtsausstellung], dazwischen die | |
Debatte um ein zentrales [7][Holocaust-Mahnmal] in Berlin. | |
Als Auftakt einer Tour durch die Hamburger Kunst im öffentlichen Raum | |
empfiehlt deshalb vielleicht die Arbeit [8][„Hier + Jetzt“ der | |
deutsch-französischen Künstlerin Gloria Friedmann] auf dem Sievekingplatz. | |
Eine lange Betonwand versperrt den direkten Zugang zum Hamburgischen | |
Oberlandesgericht. Kommt man von dort, schaut man auf eine schiefergraue | |
Wand, nur eine Zahl ist eingehämmert: 1933. Mehr nicht. | |
Auf der anderen Seite: ein die Wand füllendes Panoramafoto der Stadt | |
Hamburg im besten Postkarten-Sommerlicht. Und davor 90 Stelen, bestückt mit | |
90 eisernen Blumentöpfen, gefüllt mit den Trieben von Blumen, Wild- und | |
Heilkräutern, von Gemüse. Und so wie das Panorama-Bild längst ausgeblichen | |
ist, tragen die Töpfe soliden Rost, mühen sich erste Triebe und Knospen | |
durchzusetzen, es wird also. | |
Setzt Friedmann mit ihrem Mahnmal auf das Zusammenspiel von Monumentalität | |
und floraler Vergänglichkeit, die immer wieder pflegend gestützt werden | |
muss, vertraut Thomas Schütte mit seiner Installation „[9][Tisch mit zwölf | |
Stühlen]“ in Niendorf-Nord auf rustikale Dauerhaftigkeit: Zwölf Stühle aus | |
dem klassischen Hamburger Ziegel hat er in einem Parkstück um einen ovalen | |
Marmortisch versammelt. | |
Elf der Stühle tragen Plaketten mit den Namen von elf ermordeten Hamburger | |
Widerstandkämpfern und -kämpferinnen, die – so die Imagination, an der wir | |
gern teilhaben – sich hier zuweilen treffen: etwa das Ehepaar Paul und | |
Magda Thürey, die einer kommunistischen Gruppe angehörten, oder die | |
Thalia-Theater-Schauspielerin Hanne Mertens, die sich vom überzeugten | |
NSDAP-Mitglied zur Nazi-Gegnerin wandelte. Ein Stuhl ist freigehalten – auf | |
den setzen wir uns, schauen in die Runde der Abwesenden wie Erinnerten und | |
spüren die Kälte aus dem Stein aufsteigen, noch der Jahreszeit angemessen. | |
Als Schüttes Stühle hochgemauert wurden, war der erste Abschnitt des | |
„[10][Harburger Mahnmals gegen Faschismus]“ von Jochen Gerz und Esther | |
Shalev-Gerz bereits auf dem Weg, im Boden zu verschwinden. Es besteht aus | |
einer zwölf Meter hohen Säule aus Blei, anfangs aufgerichtet in der Nähe | |
des Harburger Rathaus und des dortigen Marktplatzes. | |
Die Bürger waren aufgefordert, das mahnmalskeptische Mahnmal, aufgestellt, | |
um zu verschwinden, zu kommentieren, was geschah: Zuspruch und Hakenkreuze | |
wurden eingeritzt, Empörtes und Rätselhaftes aufgetragen. War der Platz so | |
gefüllt, wurde die Säule abgesenkt, bis zum 10. November 1993 geschah dies | |
acht Mal. | |
Heute steht man auf einer Eisenplatte, unter einem die versenkte Säule, und | |
wer mag, geht ein paar Stufen hinunter, schaut durch eine Drahttür ins | |
Innere wie in eine Höhle, lauscht der Erzählung, dass an das Erinnern immer | |
wieder erinnert werden muss, damit es nicht vergessen wird und nicht | |
verschwindet. | |
Etwas verwegenes noch? Ein wenig, was den Bewegungsdrang betrifft, über die | |
Stränge schlagen? Dazu geht es mit der [11][Elbfähre Nummer 62] nach | |
Finkenwerder. Am Anleger angekommen ein paar Schritte leicht südwärts, bis | |
man auf dem Finkenwerder Neuen Friedhof steht. 1985 bat man den | |
Beuys-Schüler Felix Droese, bekannt durch seine auf der Documenta 7 | |
vorgestellte Arbeit „Ich habe Anna Frank umgebracht“, um einen Beitrag. | |
„[12][Boot]“ heißt der schlicht, Droese ließ sich von der nahen Elbe | |
inspirieren, von den Schiffsmotiven auf Grabsteinen ringsum. Droese ließ | |
ein ausrangiertes Rettungsboot aus Aluminium kieloben auf dem Feld ablegen, | |
auf dem man sich anonym beerdigen lassen kann. Droeses Rettungsboot fragt | |
so: Gibt es Rettung und also Hoffnung? Und nicht weit ist der Weg zu | |
spirituell-religiösen Vorstellungen, dass einen nach diesem Leben jemand | |
wohin auch immer hinüberfährt und auch bei einem bleibt, wenigstens solange | |
die Fahrt dauert – Droese ist Pfarrerssohn, einst auf Nordstrand | |
aufgewachsen. | |
Doch wo ist die Arbeit hin? Kein Boot als „Boot“ ist zu sehen. Während man | |
unschlüssig herumsteht, auch an sich zweifelt, fällt einem ein Hügel auf, | |
am Ende des Feldes: Überwuchert von Efeu liegt Droeses Boot wie eingesargt, | |
wie selbst begraben. Und man rupft am Efeu, arbeitet sich mit den Händen | |
hindurch und dann ist sie zu spüren, die harte Bootshaut und das Boot für | |
das „Boot“ ist wieder da, seit 35 Jahren im Dienst der Kunst vor Ort und | |
unterwegs. | |
5 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hamburg.de/bkm/kunst/179744/kunst-im-oeffentlichen-raum/ | |
[2] /!200130/ | |
[3] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/bauen-wohnen/bauen/bundesbauten/kunst-am-… | |
[4] /Regisseurin-ueber-Serie-Holocaust/!5559358 | |
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Zum_40._Jahrestag_der_Beendigung_des_Krieges_… | |
[6] /Legenden-ueber-die-Wehrmacht/!5237160 | |
[7] /Zehn-Jahre-Holocaust-Mahnmal/!5009447 | |
[8] https://www.gedenkstaetten-in-hamburg.de/gedenkstaetten/gedenkort/mahnmal-h… | |
[9] https://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/artists/scha.htm | |
[10] https://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/artists/gerz.htm | |
[11] https://www.hamburg.de/faehre/2170460/hadag-linie-62/ | |
[12] http://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/artists/droe.htm | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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