# taz.de -- Schwarze in NS-Zeit und KZ: „Widersprüchlicher Umgang“ | |
> Trotz seiner rassistischen Ideologie verfolgte das NS-Regime nicht alle | |
> Schwarzen Menschen. In KZs kamen Schwarze oft als Widerstandskämpfer. | |
Bild: Aus den besetzten Gebieten verschleppt: Schwarzer Häftling im KZ Neuenga… | |
taz: Frau Lewerenz, was sagte die NS-Ideologie des Dritten Reichs über | |
Schwarze? | |
Susann Lewerenz: Das NS-Regime propagierte eine globale rassistische | |
Hierarchie mit der „arischen Rasse“ an der Spitze, die durch eine „jüdis… | |
Weltverschwörung“ gefährdet sei. Schwarze Menschen galten schon in der | |
Vorkriegszeit als „fremdrassig“ und im NS-Staat als nicht zur | |
„Volksgemeinschaft“ gehörig. Und im Kontext kolonialer Pläne sollten | |
Schwarze Menschen den Kolonisatoren untergeordnet und als Arbeitskräfte | |
„nutzbar“ gemacht werden. | |
Wer gehörte zu Beginn der NS-Zeit zur Schwarzen Community? | |
Da waren einmal Menschen aus den [1][ehemaligen deutschen Kolonien], die | |
sich hier niedergelassen und Familien gegründet hatten. Sie waren nach dem | |
Ersten Weltkrieg in einer prekären Lage. Denn sie verloren ihren Status als | |
deutsche „Schutzbefohlene“, weil die Deutschen ihre Kolonien an Frankreich | |
und Großbritannien verloren hatten. Damit waren diese Menschen staatenlos. | |
Ihre Anträge auf Einbürgerung wurden mit seltenen Ausnahmen nicht | |
bewilligt, sodass sie zum Beispiel, wenn sie aus rassistischen Gründen | |
entlassen wurden, keinen Anspruch auf Sozialhilfe hatten. | |
Welche Gruppen gab es noch? | |
Zum Beispiel AfroamerikanerInnen, von denen viele in den 1920er Jahren nach | |
Deutschland kamen – teils, um dem Rassismus in den USA auszuweichen, teils | |
als MusikerInnen und RepräsentantInnen Schwarzer amerikanischer | |
Populärkultur. Als US-BürgerInnen waren sie durch ihre Nationalität | |
zunächst vor Verfolgung geschützt, nicht aber vor der rassistischen | |
Verdrängung aus der Unterhaltungskultur. | |
Während die „Rheinlandkinder“ früh verfolgt wurden. Was waren das für | |
Menschen? | |
Das waren mehrere hundert Kinder aus Verbindungen afrikanischer und | |
asiatischer [2][Kolonialsoldaten der französischen Armee] mit deutschen | |
Frauen. Hintergrund war die französische Besetzung von Teilen des | |
Rheinlandes nach dem Ersten Weltkrieg. Da die Mütter in der Regel nicht mit | |
den Männern verheiratet waren, hatten ihre Kinder nicht die französische | |
Staatsbürgerschaft, die ihnen diplomatischen Schutz geboten hätte, sondern | |
die deutsche. | |
Was sie in der NS-Zeit angreifbar machte. | |
Ja, zumal sie der Mehrheitsgesellschaft schon in der Weimarer Republik ein | |
Dorn im Auge gewesen waren: Kurz nach dem Ersten Weltkrieg startete eine | |
Propagandakampagne, die diesen Besatzungssoldaten unterstellte, gezielt | |
deutsche Frauen zu vergewaltigen, um den „Volkskörper“ zu „verunreinigen… | |
Auch den Nazis galten sie als „rassische“ Bedrohung, die zudem die | |
Niederlage im Ersten Weltkrieg symbolisierte. | |
Was bedeutete das für die „Rheinlandkinder“? | |
Dass sie früh in den Fokus des NS-Regimes gerieten. Um sie trotz ihrer | |
deutschen Namen zu finden, organisierte man zum Beispiel fingierte | |
Klassenfotos. Etwa 400 dieser Kinder wurden 1937 illegal und im Geheimen | |
[3][zwangssterilisiert.] | |
Wie systematisch wurden Schwarze generell in der NS-Zeit verfolgt? | |
Der Umgang der NS-Behörden mit Schwarzen war insgesamt widersprüchlich. | |
Klar ist aber, dass es früh rassistische Ausgrenzung sowie individuelle | |
Verfolgung durch Polizei und politische Gruppierungen gab. Ein Einschnitt | |
war die Ermordung des Schwarzen Kommunisten Hilarius Gilges 1933 wohl durch | |
SS und SA in Düsseldorf. Überhaupt wurden Schwarze Linke, die sich in den | |
1920er Jahren im Zuge der Antikolonialismus-Bewegung zusammengefunden | |
hatten, gleich nach der Machtübergabe an Hitler 1933 massiv verfolgt. | |
Aber es gab Ausnahmen. | |
In gewisser Weise. 1934 gab es eine Diskussion zwischen dem Auswärtigen Amt | |
und dem Reichsinnenministerium darüber, ob man Menschen aus den ehemaligen | |
Kolonien aus der Diffamierung ausnehmen könnte. Das hatte nichts mit | |
Menschenfreundlichkeit zu tun, sondern man glaubte die an Frankreich und | |
Großbritannien verlorenen Kolonien auf diplomatischem Wege zurückbekommen | |
zu können. Daher sollten die Siegermächte des Ersten Weltkriegs, die den | |
Deutschen ohnehin ihre [4][Grausamkeit in den Kolonien] vorwarfen, nicht | |
sagen können, dass Schwarze Menschen aus den Kolonien auch hierzulande | |
diskriminiert würden. | |
Stattdessen griffen die Nazis auf den „treuen Askari“ zurück. | |
Ja, das war eine Propagandafigur aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, um | |
den Vorwurf, Deutschland sei zu grausam zum Kolonisieren, zu entkräften. | |
Die „[5][treuen Askari]“, also Kolonialsoldaten, hatten angeblich im Ersten | |
Weltkrieg bis zum Tode für Deutschland gekämpft. Wie viele Askari wirklich | |
freiwillig kämpften, ist unklar, aber diese „Treue“ galt als Beweis dafür, | |
dass die Deutschen gute Kolonisatoren seien. Als Schwarze im NS-Staat | |
zunehmend entlassen und aus ihren Berufen verdrängt wurden, spielten einige | |
gegen Gage in „Völkerschauen“ und Propagandafilmen den „treuen Askari“… | |
auch, um sich gegen den zunehmenden Rassismus zu schützen. | |
Was änderte sich mit Beginn des Zweiten Weltkriegs? | |
Wie die antisemitische verstärkte sich auch die rassistische Gewalt mit | |
Kriegsbeginn. Zudem startete 1940 in Vorbereitung des „Westfeldzugs“ eine | |
Kampagne gegen den Einsatz afrikanischer Kolonialtruppen durch Frankreich. | |
Wie schon im Ersten Weltkrieg unterstellte man den Kolonialsoldaten | |
besondere Brutalität. Deutsche Soldaten wurden angewiesen, mit Schwarzen | |
Kriegsgefangenen besonders streng umzugehen. In der Folge verübten SS und | |
Wehrmacht 1940 Massaker an etwa 1.500 Schwarzen französischen | |
Kriegsgefangenen. Geahndet wurde dieses rassistische Kriegsverbrechen | |
damals nicht. Und auch in Deutschland verschärfte sich der Rassismus gegen | |
Schwarze Menschen stark. | |
Und wer waren die Schwarzen in KZs? | |
Auch das ist komplex. Im KZ Neuengamme gab es, anders als etwa in | |
[6][Sachsenhausen], Ravensbrück und Buchenwald, unseres Wissens keine | |
Schwarzen Häftlinge aus Deutschland. Die in [7][Neuengamme – lange reines | |
Männerlager] – inhaftierten Schwarzen Männer waren meist Widerstandskämpfer | |
und kamen aus deutsch besetzten Gebieten vor allem in Frankreich und den | |
Niederlanden. Biografische Angaben haben wir nur zu einem guten Dutzend | |
dieser Menschen. Auch wissen wir nicht, wie viele Schwarze NS-Opfer es | |
deutschlandweit gab, denn in den Häftlingslisten wurde in der Regel nur die | |
Nationalität notiert. Außerdem hat die SS zum Beispiel in [8][Neuengamme] | |
bei Kriegsende alle Dokumente vernichten lassen. | |
Erhielten Überlebende eine Entschädigung? | |
Auch dazu gibt es bislang wenig Forschung. Der britische Historiker Robbie | |
Aitken, der sich auch für die Verlegung von Stolpersteinen für Schwarze | |
NS-Opfer eingesetzt hat, fand heraus, dass es in einigen Fällen, meist nach | |
mehreren Anläufen, Entschädigung gab, in anderen nicht. Deutsche Behörden | |
hatten nach 1945 kein Bewusstsein für antischwarzen Rassismus im | |
Nationalsozialismus und wussten vermutlich oft nicht, dass es hierzulande | |
eine Schwarze Minderheit gab. | |
16 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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