# taz.de -- Gedenkort Israelitische Töchterschule: Zerstörte Biografien | |
> Die Israelitische Töchterschule war die letzte jüdische Schule während | |
> der NS-Zeit in Hamburg. Heute erinnert daran ein Gedenkort in dem | |
> Gebäude. | |
Bild: Gedenk- und Bildungsort: Israelitische Töchterschule | |
Hamburg taz | Es ist ein Ort, den man nur am Rande registriert, wenn man | |
von Hamburgs Messehallen ins Karolinenviertel radelt. Dabei ist er wirklich | |
nicht klein, der dreigeschossige, glatt in die Häuserzeile integrierte | |
gelbe Backsteinbau mit der fein restaurierten Inschrift „Israelitische | |
Töchterschule“ über dem Eingang. | |
Darunter prangt das Emblem der Hamburger Volkshochschule (VHS), und man | |
fragt sich, wie das zusammenpasst. In der Tat ist es ungewöhnlich, dass die | |
VHS als Trägerin der Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule | |
fungiert, der letzten Hamburger jüdischen Schule im NS-Staat. Im Mai 1942 | |
wurde sie geschlossen und die verbliebenen 300 Schülerinnen mit ihren | |
Familien ins [1][KZ Theresienstadt] deportiert. | |
Dabei zählte die Israelitische Töchterschule, aus der Zusammenlegung zweier | |
Armenschulen und 1939 auch mit der benachbarten [2][Talmud-Tora-Schule] | |
vereint, einst 600 Schülerinnen. Der Unternehmer Marcus Nordheim hatte das | |
jetzige, 1883 fertig gestellte Gebäude gestiftet. Später kamen Lehrküche, | |
Chemiesaal und eine Turnhalle dazu, in der Hamburgs Liberale Jüdische | |
Gemeinde derzeit ihre Gottesdienste feiert. | |
Die Töchterschule indes blieb keine „Armenschule“, sondern nahm Mädchen | |
aller Herkünfte auf. Als staatliche Volks- und Realschule anerkannt wurde | |
die Privatschule dann unter dem seit 1924 amtierenden Direktor Alberto | |
Jonas. Hierfür hatte Jonas, der 1942 im KZ Theresienstadt umkam, eigens den | |
Chemiesaal modernisieren lassen. Er ist gut erhalten, und was heute | |
altmodisch wirkt – Holzbänke mit Gashahn für den Bunsenbrenner an jedem | |
Platz, physikalische Messgeräte im verglasten Wandschrank sowie ein | |
Luftabzug für chemische Versuche –, war damals hochmodern. | |
## Kein Abitur für Mädchen | |
Was nicht hießt, dass Mädchen damals – ob jüdisch oder nicht – das Abitur | |
hätten ablegen können. Für sie gab es hierzulande eine kurze Ausbildung für | |
die künftige Ehefrau und Mutter, aber bis 1900 keine akademische | |
Ausbildung. Zwar konnten sie sich am Lehrerinnenseminar ausbilden lassen. | |
Bedingung für eine spätere Verbeamtung war allerdings der erst 1951 | |
abgeschaffte Lehrerinnenzölibat. | |
„An der Israelitischen Töchterschule waren die Lehrerinnen zwar nicht | |
verbeamtet, mussten aber, soweit ich weiß, dennoch unverheiratet bleiben“, | |
sagt die Historikerin [3][Anna von Villiez]. Sie leitet die Gedenk- und | |
Bildungsstätte und wird in den nächsten Jahren – neben Führungen, Kursen | |
und Vorträgen – auch die Sammlung an Briefen, Fotos und Zeugnissen | |
systematisieren und die Dauerausstellung neu konzipieren. | |
Den Wissens- und Dokumentenfundus hatte Ursula Randt gelegt. Die 2007 | |
verstorbene Lehrerin unterrichtete an der Sprachheilschule, die nach 1945 | |
hier residierte, bevor die VHS einzog und der Gedenkstätte die dritte Etage | |
abtrat. Als Randt durch Überlebende von der Bedeutung des Orts erfuhr, | |
beschloss sie, die Geschichte der jüdischen Schulen zu erforschen und eine | |
Gedenkstätte zu initiieren. Es gelang: 1989 eröffnete die Gedenkstätte, | |
getragen von der VHS, die auch die Leitungsstelle finanziert. | |
Immer weniger Schülerinnen | |
Dabei bleibt das Spezifische des Ortes für Anna von Villiez, die über | |
Entrechtung und Verfolgung der „nicht arischen“ Ärzte Hamburgs promovierte, | |
zentral: Da sind die im Flur aufgehängten Klassenfotos von Menschen, die | |
die Shoah oft nicht überlebten. Da sieht man Abgängerlisten, die mit | |
zunehmender Verfolgung und Emigration immer weniger Schülerinnen benennen. | |
Daneben liebevoll illustrierte Briefe von Schülerinnen an eine [4][nach | |
Palästina ausgewanderte] Lehrerin. | |
Diese subjektiven, von Nachfahren immer wieder angefragten Dokumente sind | |
es, die den Ort einzigartig und bedrückend machen. Zu einem Erinnerungsraum | |
für Menschen, deren Biografien brutal gebrochen wurden. | |
17 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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